Das Geschäft mit den Nachrichten

15. August 2013 • Digitales, Medienökonomie • von

„Ein weiteres Medienunternehmen in Deutschland verschwindet vom Markt: Die zahlungsunfähige Nachrichtenagentur dapd hat heute ihren Betrieb eingestellt“, verkün­det Judith Rakers am 11. April 2013 in der 20-Uhr-Tagesschau. Diese zwei Sätze kennzeichnen nicht nur das offizielle Ende der Nachrichtenagentur dapd, sondern lassen auch Rückschlüsse auf eine gesamte Branche zu.

Denn schon lange scheint es an der Tagesordnung zu sein, dass Medienunternehmen ihren Dienst einstellen. Nun also auch die erste Nachrichtenagentur. Doch warum eigentlich? Hat sich das ursprüngliche Konzept der Nachrichtena­genturen als reiner Dienstleister hinter den Medien im Zeitalter von Smartphones, Facebook und Twitter etwa überholt?

Fest steht, dass sich in Zeiten von Digitalisierung, Technisierung und Social Media die Rezeptionsge­wohnheiten des Publikums verändert haben und mit ihnen nicht nur die Ansprüche des Publikums an die Medien. Bisherige Geschäftsmodelle im Journalis­mus funktionieren nicht mehr und neue sind noch nicht in Sicht. Die gesamte Medienbranche muss sich mit einem strukturellen Wandel auseinanderset­zen, der sich in alle Bereiche auswirkt: auf die Pro­dukte, Formate, Inhalte, Quellen, Finanzierung und auch den Produktionsalltag in den Redaktion.

Dieser Wandel hat nicht nur Auswirkungen auf die klas­sischen Medien Zeitung, Hörfunk- und TV-Stationen, sondern auch auf deren Lieferanten: Die Nachrich­tenagenturen. Immerhin stammt nach Schätzungen des International Press Institutes (2005) wenigstens die Hälfte aller Artikel, die in einer Tageszeitung erscheinen, von den Nachrichtenagenturen; für das Nachrichtenmaterial im Fernsehen und Radio gilt dies in noch größerem Maße.

Die heutige Rolle der Agenturen

Aber sind Nachrichtenagenturen vor dem Hinter­grund dieses Wandels überhaupt noch überlebensfä­hig oder haben sie Ihre Bedeutung für das Medien­system in Deutschland längst verloren? In einer Delphi-Studie befragte die Autorin Mit­glieder der Geschäftsführung, Chefredaktionen und Redaktionsleitungen von Nachrichtenagenturen, Zei­tungen, Hörfunk- und TV-Stationen, Onlineredakti­onen sowie Wissenschaftler, wie sich die Nachrichten­agenturen in Deutschland vor dem Hintergrund des Wandels im Journalismus in den kommenden zehn Jahren entwickeln werden und skizzierte auf Basis der Ergebnisse ein Szenario für die Zukunft.

Nachrichtenagenturen als Gatekeeper

Insgesamt zeigte sich, dass die Nachrichtenagen­turen auch weiterhin ein zentraler Anker im Jour­nalismus in Deutschland sind. Rund Dreiviertel der Teilnehmer erwartet, dass die Agenturen für ihre Arbeit in den Redaktionen auch künftig von gleich­bleibender Bedeutung sein werden. Als Grund für diese Prognose nennen die Teilnehmer die Rolle der Nachrichtenagenturen als „Gatekeeper“ oder „Vor­sortierer“. Zugleich schätzen sie, dass es sich bei dem Material der Nachrichtenagenturen um verlässliche Nachrichten handelt.

Ein Mitglied der Geschäftsfüh­rung einer Zeitung fasst das so zusammen: „Die Sammlung, Strukturierung und zeitnahe Zurverfügungstellung geprüfter und von Medien mehr oder weniger direkt übernehmbarer Texte sowie von multimedialen Elementen kann aus­schließlich durch Organisationen wie Nachrichtena­genturen bewältigt werden. Die Arbeitsverdichtung in den abnehmenden Redaktionen macht eine ande­re Arbeitsweise unmöglich. Weitere Informations­quellen wie Webseiten, deren Wahrheitsgehalt dann aber immer erst überprüft werden muss, können allenfalls Ergänzungen darstellen.“ Ein anderer Zeitungschefredakteur betont, für ihn sei „nicht abzusehen, dass künftig über einen ande­ren Kanal als über die Nachrichtenagenturen Infor­mationen in dieser Qualität, Seriosität und Schnellig­keit geliefert werden.“

Das Rückgrat der Berichterstattung

Die Teilnehmer der Gruppe Online prognostizieren eine schwindende Bedeutung. Ihre Argumente: Ver­lagerung des Berichterstattungsschwerpunktes auf regionale und lokale Themen, verbunden mit dem Trend weg vom austauschbaren Agenturmaterial und hin zu mehr exklusiven eigenen Inhalten eine schwindende Bedeutung der Agenturen. Zugleich schätzen sie die Agenturen als „Rückgrat der aktu­ellen Berichterstattung“, „Sicherheitsnetz zur Verge­wisserung“ und „seriöse Quelle“. Für die Fachleute von Radio und Fernsehen sind die Nachrichtenagenturen vor allem als „Korrektiv und Ideengeber“ für eigene Geschichten wichtig.

Nach Ansicht eines Leiters einer Fernsehnachrichtensendung werden „Social Media und andere Quellen aus dem Netz eine starke Ergänzung und Konkurrenz zu Nachrichtenagenturen. Sie vermit­teln unmittelbare Eindrücke, teilweise mit Augen­zeugenqualität. Die schnelle Zugriffsmöglichkeit auf Bewegtbild ist für ein TV-Nachrichtenmagazin besonders attraktiv, was die Konkurrenz im Netz betrifft. Nachrichtenagenturen werden aber immer die Leitplanke der Gründlichkeit bleiben.“

dpa als Liebling der Redaktionen

Trotz dieser Zufriedenheit und der mehrheitlich positiven Einschätzung für die Zukunft zeigt die Studie deutliche Unterschiede bei der Prognose für die einzelnen Nachrichtenagenturen auf dem deutschen Markt, der mit seinen zum Zeitpunkt der Erhebung der Studie zwei Vollagenturen und zwei Komplementäragenturen als der weltweit am här­testen umkämpfte Markt der Nachrichtenagenturen galt. Zum Vergleich: In anderen Ländern bietet meist nur eine Nachrichtenagentur ihre Dienste an. Die Vollagentur dpa wird auch in Zukunft der Lieb­ling der Redaktionen bleiben. Die Mehrheit der Be­fragten – und dabei vor allem Experten aus den Bereichen Zeitung, Radio und Online – prognostiziert, dass dpa auch in zehn Jahren nicht verzichtbar sein wird. Immer­hin jeder Vierte meint aber, dass dpa dann zumindest eher verzichtbar sein wird.

Die zweite Vollagentur dapd hätte das Potenti­al gehabt, ihre Beliebtheit noch weiter zu steigern und war – zumindest bis zur ersten Insolvenz – auf einem guten Weg, sich zum unverzichtbaren Part­ner für die Medienkunden zu entwickeln. Denn die Mehrheit der Befragten prognostizierte, die Agentur werde mindestens „eher nicht verzichtbar“ sein. Dabei gaben die Experten von TV und Radio eine deutlich positivere Einschätzung ab als die Experten von Zeitung und Online.

Die beiden Komplementäragenturen AFP und Reu­ters schneiden insgesamt weniger gut ab; die Mehr­heit der Befragten halten diese Agenturen künftig für tendenziell eher verzichtbar. Rund 63 Prozent der Experten schätzen AFP als mindestens eher verzicht­bar ein; bei Reuters sind es mit 55 Prozent etwas mehr als die Hälfte.

Vom Wettbewerb zum „Agenturkrieg“

Erst 2010 kam es auf dem Nachrichtenagenturmarkt in Deutschland zu einem einschneidenden Umbruch, als die kleine Agentur Deutscher Depeschendienst ddp mit der deutschen Tochter der amerikanischen Weltagentur Associated Press AP zur Vollagentur dapd fusionierte und somit statt vier Komplementäragen­turen und einer Vollagentur plötzlich jeweils zwei Voll- und Komplementäragenturen auf dem Markt waren. Der Agenturkampf war eröffnet. Zahlreiche rechtliche Auseinandersetzungen, Klagen und Perso­naldebatten unter den Agenturen folgten und zeigten, wie erbittert der vom damaligen AFP-Geschäftsführer Wortmann als „Agenturkrieg“ bezeichnete Kampf der Agenturen bis zur Insolvenzanmeldung des dapd im Oktober 2012 geführt wurde.

Die Delphi-Experten prognostizierten in diesem Zusammenhang, dass es zu mindestens einer weite­ren Reduzierung auf dem Markt innerhalb der näch­sten zehn Jahre kommen werde. Rund 65 Prozent der Experten gingen von einer Reduzierung auf drei Agenturen innerhalb der nächsten zehn Jahre aus; sogar jeder Fünfte prognostizierte, dass es zu diesem Zeitpunkt nur noch zwei Agenturen geben wird. Die Kompletteinstellung des dapd zeigt, dass sich die Pro­gnose der Delphi-Experten bereits bewahrheitet hat.

Doch nicht nur durch die Konkurrenz unterei­nander werden die Nachrichtenagenturen weiterhin auf den Prüfstand gestellt. Auch die Konkurrenz aus dem Internet setzt sie unter Druck. Nicht überra­schend, dass fast 85 Prozent der Befragten in den Onlinenachrichtenportalen tendenziell eine Konkur­renz sehen; für mehr als die Hälfte der Experten ist sogar klar, dass es sich dabei um eine (starke) Kon­kurrenz handelt.

Kundenportale und journalistische Qualität

Nicht zuletzt aufgrund der beschriebenen Entwick­lungen und einer zu beobachtenden stärkeren Publi­kumsorientierung der Medien werden sich die Nach­richtenagenturen in Zukunft noch stärker an den Wünschen und Ansprüchen der Kunden orientieren, etwa über ein Kundenportal oder andere Tools. Fast 90 Prozent der Experten gehen von einem positiven Einfluss eines Kundenportals auf die Qualität der Produkte der Nachrichtenagenturen aus – ein Ergeb­nis, das die beiden Agenturen Reuters und AFP, die bislang kein solches Portal betreiben, nachdenklich stimmen sollte. Vor allem Zeitungsexperten erwar­ten eine große Qualitätssteigerung der Produkte nach Einführung solcher Por­tale. Die Kunden können durch gezielte Fragen und Wünsche an die Redaktion (via Kundenportale) nun noch leichter und schneller Einfluss auf die Angebote der Nachrichtenagenturen nehmen.

Trotzdem werden die Agenturen ihre Produkte auch künftig hauptsächlich aus Eigeninitiative produzieren. Laut der Prognose werden in Zukunft jedoch rund 20 Prozent des Angebots auf durch spezielle Anregungen und Wünsche entstandene Auftrags­arbeiten beruhen. Das wird die Nachrichtenagenturen zumindest ein Stück weit deutlicher als jetzt zu einem „work-on-demand“- Anbieter machen.

Suche nach Finanzierungsmöglichkeiten

Angesichts der Umbrüche auf dem Markt wurde in der Befragung auch nach den künftigen ökono­mischen Entwicklungen der Agenturen gefragt. Unverändert zeichnet sich für die Zukunft jedoch nicht ein perfektes Geschäftsmodell für die Nach­richtenagenturen ab. Stattdessen werden weiterhin mehrere Modelle nebeneinander existieren. Die Mehrheit der Befragten hält die Modelle „genos­senschaftlicher Zusammenschluss“ sowie die des „privaterwerbswirtschaftlichen Unternehmens“ für am besten geeignet. Eine Aktiengesellschaft wurde dagegen als eher ungeeignet empfunden, während das Modell einer Förderung durch eine Stiftung zumindest als eine mögliche neue Variante angese­hen wird. Ausgeschlossen wird dagegen eine Sub­vention der Nachrichtenagenturen durch den Staat; lediglich etwa jeder Zehnte befindet diese Art der Finanzierung als künftig geeignet oder zumindest eher geeignet.

Rund 52 Prozent gehen davon aus, dass die Agen­turen ihren Umsatz künftig hauptsächlich abseits ihres Kerngeschäfts, nämlich durch Tochterunter­nehmen und Beteiligungen, machen werden. Dass die Nachrichtenagenturen sich vor diesem Hinter­grund auch dem Endverbraucher als Kunden zuwen­den werden, erscheint zumindest als möglich, wenn­gleich laut Prognose der Mehrheit der Experten die Agenturen aber nicht vermehrt den Endverbraucher in den Fokus nehmen werden.

Redaktionelle Umstellung auf Newsrooms

Ähnlich wie in den Redaktionen ihrer Kunden haben auch in den Redaktionen der Agenturen bereits Umbrüche stattgefunden. Damit einher­gehend ist häufig eine Umstrukturierung auf das Konzept eines Newsrooms, was sich nach Ansicht von mehr als 80 Prozent der Experten positiv auf die Qualität der Produkte der Nachrichtenagen­turen auswirkt. In solchen Newsrooms werden die Agenturjournalisten künftig nicht mehr dauerhaft in strikt festgelegten Ressorts, sondern nur tempo­rär in festen thematischen Gruppen arbeiten.

Die Ergebnisse weisen darauf hin, dass es zu einer deut­lichen Aufweichung der Strukturen kommen wird. Als die beiden künftig zentralen Qualitätskriterien bei der Arbeit der Agenturen werden Glaubwürdig­keit und Zuverlässigkeit empfunden. Das lange Zeit wichtigste Merkmal für Nachrichtenagenturen, die Schnelligkeit, wird dagegen künftig weniger wich­tig. Dabei bleibt eine eher nachrichtlich geprägte Sprache auch in Zukunft der Standard.

Agenturen als multimediale Dienstleister

Auch im Bereich der Produkte und des Angebotes der Nachrichtenagenturen lassen sich einige Trends ablesen. So ist deutlich zu er­kennen, dass sich die Agen­turen künftig noch mehr zu einem multimedialen Dienstleister entwickeln werden, der Inhalte in zahlreichen Formaten und für unterschiedliche Be­triebskanäle – auch mobile Endgeräte – produziert und anbietet.

Inhaltlich wird der Schwerpunkt der Berichter­stattung weiterhin auf dem aktuellen Geschehen liegen. Die Studienteilnehmer prognostizieren, dass der aktuelle Dienst künftig mehr als 70 Prozent des Gesamtangebots ausmachen wird. Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass nahe­zu 30 Prozent des Angebots aus dem Bereich des Nicht-Aktuellen stammen wird, nämlich aus Ratge­ber- und Servicestücken.

Mehr bunte und vermischte Themen

Thematisch wird sich der Schwerpunkt der Bericht­erstattung insgesamt mehr zu den vermischten und bunten Themen unter anderem über Prominente und Lifestyle verschieben, was auf eine zuneh­mende Boulevardisierung der Agenturen hindeu­tet. Rund 90 Prozent der Befragten prognostiziert eine Steigerung im Bereich Kurioses, Kriminalität und Buntes; im Bereich Promis und Lifestyle sind es rund 80 Prozent. Die Bereiche Politik, Wirt­schaft und Sport behalten weitgehend ihre Bedeu­tung in der Berichterstattung. Klarer Verlierer ist der Themenbereich Kultur: Mehr als die Hälfte aller Befragten rechnet mit einem Bedeutungsverlust, rund 32 Prozent erwarten keine Veränderung im Vergleich zum jetzigen Stand. Für die Berichter­stattung in allen Themenbereichen werden Soziale Netzwerke und Blogs zusätzlich zu den klassischen Quellen an Bedeutung gewinnen, sagen neun von zehn Befragten.

Wissenschaftliche Methode

In einer Delphi-Studie im Rahmen einer Dissertation bei Prof. Klaus Meier am Institut für Journalistik an der TU Dortmund wurden Experten aus Nachrichtenagentur-, Zeitungs-, Hörfunk-, TV- und Onlineredaktionen sowie aus der Wissenschaft anonym befragt, wie sie die Zukunft der Nachrichtenagenturen in Deutschland einschätzen. Teilgenommen haben in der ersten Befragungsrunde im Sommer 2011 insgesamt 111 und in der zweiten Runde im Spätherbst des gleichen Jahres 74 Mitglieder von Chefredaktionen, Redaktionsleitungen sowie Geschäftsführungen. In der Befragung thematisierte Gebiete waren unter anderem die künftige Rolle und Bedeutung der Nachrichtenagenturen auf dem Medienmarkt, redak­tionelle Veränderungen, Themen-, Inhalts- und Angebotsspektrum, Geschäftsmodelle und Kundenkreise sowie Publikums-/Kundenori­entierung der Nachrichtenagenturen.

Schulten-Jaspers, Yasmin (2013): Zukunft der Nach­richtenagenturen. Situation, Ent­wicklungen, Prognose. Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft.

Erstveröffentlichung des Beitrags: Message – Internationale Zeitschrift für Journalistik Nr. 3 / 2013

 

 

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