„Jeff Bezos wird eine Vorreiterrolle einnehmen“

16. August 2013 • Digitales, Medienökonomie • von

Mit dem Kauf der Washington Post hat Amazon-Chef Jeff Bezos für einige Überraschung gesorgt. Seitdem der Deal bekannt geworden ist, rätseln viele über seine Kaufmotive. Sie fragen sich: Was hat der Mann mit dem renommierten Blatt vor, jener Mann, der sagt, in zwei Jahrzehnten gebe es keine gedruckten Zeitungen mehr und der selbst schon längst auf digitale Angebote umgestiegen ist?

Das EJO hat mit zwei US-amerikanischen Medienexperten über den Verkauf der Washington Post gesprochen.

Medienanalyst Ken Doctor, Gründer der Website  Newsonomics.com und Autor der wöchentlichen Newsonomics Of-Kolumne für das Nieman Journalism Lab, war zwar überrascht, als er vom Bezos-Deal erfahren hat, „aber dann passte alles zusammen“, sagt er. Der Kauf passe zum Trend, dass immer mehr Zeitungen in den USA von Millionären und Milliardären aufgekauft werden, die keinerlei Erfahrungen als Verleger haben. Kurz bevor Bezos die Washington Post kaufte, erwarb der Eigner des Baseball-Teams Red Sox, John Henry, den Boston Globe. Milliardär Warren Buffett übernahm innerhalb eines Jahres über 60 Zeitungen.

„Da die Washington Post ihren Wettbewerbern nicht mehr das Wasser reichen konnte und auf der Suche nach einer neuen Strategie war, ist es wirklich nicht so eine große Überraschung, dass sie verkauft wurde“, meint Doctor. Der Bildungsdienstleister Kaplan, eine Tochterfirma der Washington Post, sei jahrelang der Goldesel des Unternehmens gewesen, sei aber nun auch wie die Zeitung selbst unprofitabel geworden. Der Graham-Familie, in deren Besitz die Post acht Jahrzehnte lang war, habe es einfach an Geld und auch an Gespür gefehlt, mit der notwendigen digitalen Transformation des Zeitungsunternehmens fortzufahren, so Doctor.

„Was mich noch mehr als der unerwartete Verkauf der Washington Post überrascht hat, war die überwiegend positive Reaktion auf den Käufer Jeff Bezos“, meint Scott Maier, Professor für Journalismus an der University of Oregon und Mitglied im EJO-Netzwerk. Selbst die Belegschaft der Washington Post scheine bemerkenswert offen gegenüber einen Neuanfang mit Bezos und dem Ende des Verlegererbes zu sein. „Ich deute die Reaktionen so, dass Medienunternehmen inzwischen eine digitale Vision für Zeitungen begrüßen“, so Maier.

In einem Interview mit der Berliner Zeitung im November vergangenen Jahres hatte Jeff Bezos folgendes gesagt: „Über eines bin ich mir sicher: In zwanzig Jahren wird es keine gedruckten Zeitungen mehr geben. Wenn doch, vielleicht als Luxus-Artikel, den sich bestimmte Hotels erlauben, als extravaganten Service für ihre Gäste. Gedruckte Tageszeitungen werden in zwanzig Jahren nicht mehr normal sein.“

Dennoch hält Medienanalyst Ken Doctor Befürchtungen, dass Bezos schon ab sofort alles aufs Digitale setzt und die Printausgabe der Washington Post so bald wie möglich einstellt, für übertrieben. Er denke nicht, dass Bezos die Einnahmen aus dem Printgeschäft, die momentan mehr als 75 Prozent des Gesamtumsatzes ausmachten, verlieren wolle. Den Übergang von Print zu Digital hält Doctor auf lange Sicht gesehen aber für unausweichlich, er sollte bei der Washington Post innerhalb der nächsten fünf Jahre geschehen.

Doctor denkt zwar nicht, dass es in 20 Jahren gar keine Printprodukte mehr geben wird, sieht sie aber als zukünftiges Nischenprodukt, das weitestgehend durch Tablet-PC-Formate ersetzt wird: „Es ist billiger und ökologischer“, sagt Doctor. Er verweist zudem auf Studien der Consulting-Firma Mequoda, des Pew Research Center und des Reynolds Journalism Institute der University of Missouri, nach denen in den USA immer mehr Rezipienten – darunter auch langjährige Zeitungsleser – Tablets dem Papier vorziehen. Der gedruckten Tageszeitung gibt er nur noch fünf bis zehn Jahre; eine Perspektive hätten eher die Sonntags- oder Wochenzeitung, ebenso wie Magazine.

„Ich rechne schon früher mit dem Verschwinden der gedruckten Zeitungen“, sagt Journalismusforscher Maier, sieht darin aber keine negative Entwicklung. Nicht nur die finanziellen und ökologischen Gründe sprächen dafür. Auch die multimedialen Möglichkeiten, mit denen journalistische Inhalte interaktiver und personalisierter gestaltet werden könnten, würden Verlegern den Weg in die digitale Zukunft weisen.

Bezos sieht er als digitalen Pionier: „Meiner Ansicht nach wird er nicht nur die Washington Post wieder rentabel machen, sondern für alle Medien eine Vorreiterrolle spielen, so wie er es im Buchverlagswesen schon mit dem Kindle-E-Reader von Amazon getan hat.“

Auch wenn der Amazon-Chef die Washington Post von seinem Privatvermögen gekauft hat: Medienanalyst Doctor rät, Synergien zu bündeln. Amazon hat seiner Ansicht nach einen sehr großen Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen Online-Shopping-Anbietern: mit der 1-Click-Bestellung bietet er Kunden einen sehr hohen Standard und Komfort beim Einkauf in der digitalen Welt. Dies ließe sich auch auf die Nachrichtenwelt übertragen. Doctor schwebt dabei ein „Netflix for News“ vor. Das sehr erfolgreiche US-amerikanische Unternehmen Netflix bietet Video-on-Demand-Streams an. Neben ihrem journalistischen Kerngeschäft könnte die Washington Post die Federführung für ein News-on-Demand-Portal übernehmen, auf dem Beiträge von verschiedenen Zeitungen und Blogs gesammelt und kostenpflichtig abgerufen werden könnten. Auch die Integration von Nachrichtenarchiven, die Beiträge von verschiedenen Publikationen nach Themen bündelten, wäre laut Doctor eine Geschäftsidee, die mit Sicherheit Erfolg hätte.

Als erstes aber sollte Bezos sich um die mobilen Versionen der Washington Post kümmern und für Nutzer eine angenehme und unkomplizierte Leseerfahrung schaffen. Was der Amazon-Chef auch schnell anleiern könnte, wäre, jeden Kindle-Tablet-PC mit einem kostenlosen Probe-Abo der Washington Post auszustatten, so Doctor.

Trotz aller Euphorie über Bezos Kauf der Washington Post – wie Medienforscher Maier betont, bringt der Wandel in der US-Zeitungswelt auch Fragen über die Zukunft des Journalismus mit sich: „Werden Privatbesitzer wie Bezos die Transparenz und Unabhängigkeit der Presse gewährleisten können? Werden sich alle Zeitungen in der digitalen Welt behaupten können? Wird es weiterhin Journalismus geben, der in die Tiefe gehen kann, oder werden Nachrichten dominieren, die leicht erfasst und verbreitet werden können?“ Fest steht: es wird sich einiges ändern – die Branche ist im Aufbruch.

Bildquelle: Esther Vargas / Flickr

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