Die Anatomie der Mega-Deals

9. September 2013 • Medienökonomie • von

Angesichts der Mega-Deals um die Verkäufe von Washington Post und Boston Globe in den USA, aber auch von Hamburger Abendblatt, Berliner Morgenpost und Hörzu in Deutschland ist in der bisherigen Berichterstattung der Medien die medienökonomische Analyse der Transaktionen zu kurz gekommen. In der öffentlichen Diskussion blieben Aspekte unterbelichtet, die zu einer realistischen Einschätzung der Risiken und Nebenwirkungen des Zeitungs-Ausverkaufs in der westlichen Welt verhelfen.

Wenn Springer durch und durch ein Digitalunternehmen werden möchte, heißt das zunächst einmal nicht, dass sich das Verlagshaus vom Journalismus verabschiedet – im Gegenteil, Döpfners Aussage, dass das Unternehmen auch in Zukunft in Journalismus investieren wird, ist glaubwürdig. Sie ist allerdings mit einem betriebswirtschaftlichen „wenn und aber“ zu versehen:  Aber nur, wenn sich das Investment rechnet – soll heißen, wenn es gelingt, Bezahlschranken zu einzuführen. Sollte dieser Versuch scheitern, wird es online bei Springer genau so viel Journalismus geben, wie nötig ist, um mit Werbung und Kollateralgeschäften das Geld zu verdienen, das sich mit Journalismus noch nie hat verdienen lassen.

Die Aussicht, dass dies gelingt, ist allerdings erheblich größer, wenn sich Springer auf zwei statt zwanzig Online-Plattformen konzentrieren kann. Das Unternehmen hat bekanntlich gerade seine halbe Führungscrew monatelang ins Silicon Valley entsandt, um die Zukunft des Journalismus zu studieren. Spätestens dort dürften die hohen Herren auch über Chris Anderson‘s Long Tail-Theorie gestolpert sein: Im Internet ist Platz für eine unendliche Vielzahl von Anbietern, die eher von marginaler Bedeutung sind. Geld verdienen lässt sich aber nur, wenn man unter den zwei, drei Marktführern ist.

Deshalb ist Springer für die Zukunft besser aufgestellt, wenn es mit den Marken Welt und Bild im E- und U-Segment des Mediensektors eine starke Präsenz hat, als wenn das Haus weiter online mit Hamburger Abendblatt, Berliner Morgenpost und Co gegen die eigenen Premium-Marken konkurrieren würde. Um zu dieser Einsicht zu gelangen, hätte es des Bildungsurlaubs von Kai Diekmann und der teuren PR-Inszenierung im Silicon Valley allerdings nicht bedurft.

Kurz vor dem Mega-Deal in Deutschland hat im Übrigen der US-Medienexperte Alan Mutter vorgerechnet, weshalb drei andere Mediengiganten – Time Warner, Murdoch’s News Corp. und die Tribune Co., zu der neben der Chicago Tribune auch die Los Angeles Times gehört  –, entweder Kasse machen oder ihre schwindsüchtigen Print-Besitztümer in eigene Gesellschaften auslagern, nicht ganz unähnlich den „bad banks“, die die Bankenkrise bereinigen helfen sollten. Seither haben außerdem die Washington Post für 250 Millionen Dollar und der Boston Globe für 70 Millionen Dollar die Eigentümer gewechselt.

Der Medienökonom Ken Doctor machte im Nieman Journalism Lab darauf aufmerksam, dass das bisherige Mutterhaus, die New York Times Co., vor 20 Jahren noch 1,1 Milliarden Dollar für den Globe bezahlt hatte – inflationsbereinigt wären das heute 1,78 Milliarden. Das wiederum „heißt, dass der Globe heute gerade noch vier Prozent dessen wert ist, was er seinerzeit gekostet hat, ohne zu berücksichtigen, dass im jetzigen Deal auch noch die Worcester Telegram & Gazette und andere Besitztümer mit eingeschlossen sind.“

So gesehen hat Springer eher zu spät als zu früh verkauft. Und es war womöglich ein kluger Schachzug, die Leichenfledderei einem Wettbewerber zu überlassen, der weniger skrupellos journalistische Mindeststandards unterbietet, als das Springer bei seinen Regionalzeitungen je getan hat.

Last not least: Unter dem Blickwinkel der Medienkonzentration ist der Verkauf von Springer an Funke eigentlich erfreulich. Wer – wie zahlreiche Publizistikwissenschaftler – jahrzehntelang die dominante Marktposition von Springer auf dem deutschen Zeitungsmarkt kritisiert hat, kann sich eigentlich nur freuen, wenn das größte Zeitungshaus schrumpft und das zweitgrößte seine Marktstellung ausbaut, auch wenn das natürlich nicht bedeutet, dass sich der Wettbewerb in der Branche wieder verstärkt.

Erstveröffentlichung: Schweizer Journalist Nr. 08+09/2013

Bildquelle: Mediathek Axel Springer

 

 

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