Vier Jahre nach dem Streit um die Besetzung des ZDF-Chefredakteurs verhandelt das Bundesverfassungsgericht im November über den ZDF-Staatsvertrag. Es geht dabei um die Besetzung der Aufsichtsgremien des Senders.
Nach Ansicht der Länder Rheinland-Pfalz und Hamburg sitzen im Fernsehrat und im Verwaltungsrat zu viele Vertreter von Staat und Parteien, was gegen das Gebot der Staatsferne des Rundfunks verstoße.
Dass beim ZDF aber noch lange keine italienischen Verhältnisse herrschen, zeigt die kürzlich im European Journal of Communication veröffentlichte Studie des italienischen Politikwissenschaftlers Antonio Ciaglia. Er hat die Beziehungsgeflechte zwischen Medien und Politik in Deutschland, Italien und Großbritannien untersucht und ist zu dem Ergebnis gekommen, dass die politischen Akteure zwar in allen drei Ländern Einfluss auf die Medien nehmen, allerdings in sehr unterschiedlichem Ausmaß.
Im ersten Teil seiner Analyse fokussiert sich Ciaglia auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk der drei Länder – ZDF, RAI und BBC – und vergleicht, wie viele Politiker jeweils in den Aufsichts- und Verwaltungsräten der Unternehmen sitzen und wie stark sie in das Management des öffentlich-rechtlichen Rundfunks eingreifen. Im zweiten Teil widmet er sich der Frage, inwiefern Medien das jeweilige politische System durchdringen und zeigt auf, wie viele Parlamentsmitglieder in Deutschland, Italien und Großbritannien journalistisch tätig waren oder – wie in Italien – es noch sind.
In Großbritannien werden die elf Mitglieder des Rundfunkrats ‚BBC Trust‘, die sogenannten ‚Trustees‘, zwar von der Queen auf Vorschlag der Regierung berufen, aber sie müssen sich vorher bewerben und einen Auswahlprozess durchlaufen. Erst nach einem persönlichen Gespräch empfiehlt der Ausschuss, der aus einem Vertreter des Ministeriums für Kultur, Medien und Sport, dem Vorsitzenden des ‚BBC Trust‘ und einem unabhängigen Gutachter besteht, geeignete Kandidaten an die Regierung weiter. Mit Ausnahme des Vorsitzenden des ‚BCC Trust‘, der angesehene Positionen in öffentlichen und kulturellen Einrichtungen des Landes innehat, kann kein Trustee einer bestimmten politischen Richtung zugeordnet werden, so Antiono Ciaglia in seiner Studie. Deshalb stelle die Berufung der Trustees durch die Regierung noch kein hohes Risiko für eine Politisierung des öffentlich-rechtlichen Fernsehens dar.
In Italien sieht die Situation ganz anders aus. Im Consiglio d’Amministrazione (CdA), dem Verwaltungsrat des öffentlich-rechtlichen Senders RAI, können alle neun Mitglieder einer politischen Partei zugeordnet werden. Der Verwaltungsrat steht seit 2004, nachdem eine Novelle des Mediengesetzes verabschiedet wurde (‚Legge Gasparri‘), an der Spitze des Senders. „Der Rundfunk in Italien ist seitdem noch politischer geworden“, formuliert es Ciaglia, denn die Zusammensetzung des Rats spiegelt die politischen Kräfteverhältnisse in der Abgeordnetenkammer wider.
Sieben Mitglieder des Verwaltungsrats werden von einem parlamentarischen Kontrollausschuss ernannt, zwei durch das Ministerium für Wirtschaft und Finanzen, das RAI-Aktionär ist. Der Präsident des Rats wird von der Opposition vorgeschlagen.
Im deutschen öffentlich-rechtlichen Fernsehen dagegen sitzen nicht nur politische Akteure im Rundfunkrat (ARD) und Fernsehrat (ZDF). Hier wird die Macht unter einer Vielzahl von gesellschaftlich relevanten Akteuren aufgeteilt.
Der ZDF-Fernsehrat besteht aus 77 Mitgliedern, darunter Vertreter der Bundesregierung, der 16 Bundesländer und der Kommunen sowie Vertreter von Gewerkschaften, Kirchen-, Arbeitgeber-, Journalisten- und Umweltverbänden. Die Ministerpräsidenten berufen die Mitglieder des Fernsehrates nach den Vorschlägen der jeweiligen Verbände und Organisationen. Der ZDF-Staatsvertrag regelt, welche Verbände und Organisationen Vertreter in den ZDF-Fernsehrat entsenden dürfen.
Etwa die Hälfte der Mitglieder weisen klare Verbindungen zur Politik auf – doch in Wirklichkeit sitzen deutlich mehr Politiker im ZDF-Fernsehrat als die Zusammensetzung erahnen lässt, da auch viele Vertreter von Verbänden oder Organisationen einer politischen Partei nahestehen oder sogar Mitglied sind. Ein großer Kritikpunkt, den auch Studienautor Ciaglia aufführt – und der im November vor dem Bundesverfassungsgericht verhandelt werden soll. Dennoch, betont Ciaglia, liegt die Entscheidungsmacht beim ZDF auf keinen Fall allein bei den politischen Parteien, wie es bei der italienischen RAI der Fall ist. So stuft Ciaglia das ZDF auch als sogenanntes bürgerliches Rundfunkmodell ein, die RAI ordnet er dem sogenannten Regierungsmodell zu.
Um die Frage zu beantworten, ob auch die Politik eines Landes eher von Medien durchdrungen wird, wenn die Medien stark politisiert sind, hat Ciaglia die Zusammensetzung der Parlamente in Großbritannien, Deutschland und Italien aufgedröselt:
Im britischen ‚House of Commons‘ sind über ein Viertel der Parlamentarier ‘professionelle’ Politiker, die nur ihre politischen Karriere verfolgen. 22 Prozent der Abgeordneten sind Manager, 12 Prozent sind Anwälte. Journalisten machen nur 6,5 Prozent der Parlamentsmitglieder aus. Im deutschen Bundestag sind nur 9,5 Prozent der Abgeordneten ‚professionelle‘ Politiker. Der Großteil der Mitglieder – 21 Prozent – sind Anwälte. Geschäftsführer machen 19 Prozent der Parlamentarier aus. Journalisten sind nur mit knapp 4 Prozent im Bundestag vertreten.
Die Struktur des italienischen Parlaments unterscheidet sich deutlich von denen der beiden anderen Länder. Journalisten und Anwälte sind mit jeweils 12,4 Prozent die meistvertretenen Berufe im Parlament. Das heißt, dass 118 Abgeordnete auch gleichzeitig Mitglied im ‚Ordine dei Giornalisti‘, dem Berufsverband italienischer Journalisten, sind. Einige der italienischen Parlamentarier arbeiten auch noch weiterhin parallel als Journalist. Knapp 11 Prozent der Parlamentsmitglieder sind Unternehmer, knapp 10 Prozent sind Manager.
Damit hat Italien laut Ciaglia sowohl einen stark politisierten öffentlich-rechtlichen Rundfunk als auch ein stark von Medien durchdrungenes politisches System. Die Verbindung zwischen Medien und Politik ist fest in der italienischen Gesellschaft verankert und es scheint sehr schwierig, sie zu lockern, schlussfolgert Ciaglia – auch ohne Medienmogul Silvio Berlusconi an der Macht.
Ciaglia, Antonio (2013): Politics in the media and the media in politics: A comparative study of the relationship between the media and political systems in three European countries. In: European Journal of Communication, 28. Jg. , H.5, S. 541-555.
Bildquelle: Thommy Weiss (Italien-Flagge) / Sigrid Rossmann (Fernseher) / beide pixelio.de
Schlagwörter:BBC, BBC Trust, Bundestag, Deutschland, Fernsehen, Fernsehrat, Großbritannien, House of Commons, Italien, Medien, öffentlich-rechtlicher Rundfunk, Parlament, Politik, RAI, ZDF, ZDF-Staatsvertrag