Angehende Journalisten übernehmen Vorgänger-Rolle

8. Januar 2014 • Ausbildung • von

Journalisten entwickeln ihr berufliches Selbstverständnis nicht erst, wenn sie im Beruf stehen, sondern schon während ihres Studiums, zeigt eine aktuelle Studie eines internationalen Forscherteams.

Die Wissenschaftler rund um Claudia Mellado (Universität Santiago in Chile) haben in Australien, Brasilien, Chile, Mexiko, der Schweiz, Spanien und den USA Studierende der Fächer Journalismus und Massenkommunikation über ihr journalistisches Rollenverständnis befragt. Insgesamt haben 3880 Studierende von 30 staatlichen und privaten Universitäten in den sieben Ländern den Fragebogen zwischen 2010 und 2012 ausgefüllt.

In allen Untersuchungsländern – mit Ausnahme der USA – betrachten die angehenden Journalisten ihr Publikum vor allem als ‚Bürger‘. Sie wollen als Journalisten „die intellektuellen und kulturellen Interessen der Öffentlichkeit fördern“, die Bürger „mit den nötigen Informationen für politische Diskussionen“ versorgen und sie „neutral über kontroverse und komplexe Themen informieren“. In den USA sehen sich die angehenden Journalisten vor allem den Konsumenten verpflichtet. Sie möchten über das berichten, „was das Publikum wissen will” und dazu gute Unterhaltung bieten.

Auch wenn für die Schweizer sowie die australischen Journalismus-Studenten die Orientierung am Konsumenten nicht oberste Priorität hat, messen sie ihr wesentlich mehr Bedeutung bei als ihre Kollegen in den iberoamerikanischen Ländern. Die Forscher begründen dies damit, dass sowohl die USA als auch die Schweiz und Australien zu den wirtschaftlich am meisten entwickelten Staaten unter den Untersuchungsländern gehören, dort wende sich die Berichterstattung generell an ‚Konsumenten‘, was sich auch am wachsenden Trend des Lifestyle-Journalismus zeige.

Dass die angehenden Journalisten in Brasilien, Chile, Mexiko und Spanien es viel wichtiger finden, ihr Publikum als Bürger statt als Konsumenten zu adressieren, erklären die Wissenschaftler mit der historischen Entwicklung dieser Länder. Da die Bevölkerung in allen vier Ländern innerhalb der vergangenen fünf Jahrzehnte Diktaturen und Repressionen ausgeliefert war und jahrzehntelang nicht ihre Meinung äußern durfte, gehörte es nach dem jeweiligen politischen Umbruch zu den zentralen Aufgaben der Journalisten, die Bürger zu bilden. Dies erreichten sie, indem sie das Publikum mit Informationen versorgten, die es brauchte, um beispielsweise politische Diskussionen führen zu können.

Eine loyale Rolle gegenüber der Regierung ihres Landes einzunehmen, lehnen die Journalismus-Studenten aller sieben Länder ab. Die angehenden Journalisten in Mexiko sehen es aber nicht ganz so kritisch wie ihre Kollegen in den anderen Ländern, wenn Journalisten aktiv die Regierung unterstützen, Nationalismus und Patriotismus kultivieren, die Vorzüge des derzeitigen Wirtschaftsmodells betonen und ein positives Image der politischen Führung vermitteln.

Zudem messen sie der Rolle des Journalisten als vierte Gewalt nur eine geringe Bedeutung bei. Ein möglicher Grund dafür, so die Forscher, könnte der jahrzehntelange Einfluss der Partei der Institutionellen Revolution (PRI) sein, die Mexiko 70 Jahre lang regierte. Während dieser Zeit wurden die Journalisten des Landes als „Schoßhunde“ der Regierung betrachtet und entwickelten einen Berichterstattungsstil, der als „oficialismo“ bezeichnet wurde. Es sei gut möglich, schreiben die Studienautoren, dass die Vergangenheit auch noch heute die Wahrnehmung der Journalismus-Studenten beeinflusse.

Auch die angehenden Journalisten in den USA legen laut der Befragung keinen großen Wert auf die Rolle der Journalisten als vierte Gewalt – obwohl die USA als Bastion des Wachhund-Journalismus gelten. Die Ergebnisse von Mellado und ihren Forscherkollegen spiegeln damit die Ergebnisse von früheren Befragungen von US-amerikanischen Journalisten wider (zum Beispiel von Beam, Weaver und Brownlee 2009*), die in den USA einen generellen Trend weg vom Watchdog-Journalismus festgestellt haben.

Die größte Bedeutung messen der Wachhund-Rolle die Studierenden aus Australien, Brasilien und Chile bei. Das australische Ergebnis überrascht die Forscher nicht, da die dortigen Medien für Watchdog-Journalismus bekannt sind. In Brasilien und Chile dagegen können Journalisten erst seit zwei Jahrzehnten als vierte Gewalt auftreten. In beiden Ländern endete mit Beginn der 90er Jahre die Diktatur und mit den ersten Präsidentschaftswahlen mussten Journalisten entscheiden, wie sie sich in einer nun demokratischen Umgebung verhalten sollten. Der Großteil schätze seitdem die Möglichkeit sehr, als kritischer Beobachter der Regierung auftreten zu können, so das Forscherteam.

Die Wissenschaftler verglichen die Antworten der Studierenden auch mit Ergebnissen aus früheren Studien über das berufliche Selbstverständnis von Journalisten in den Untersuchungsländern, die ihre Ergebnisse stützen. „Es scheint, dass in allen sieben Ländern Journalismus-Studierende die Werte und das Rollenselbstverständnis der bereits aktiven Journalisten übernehmen“, bilanzieren die Wissenschaftler, davon ausgehend, dass die Lehre an den Universitäten von der Journalismuskultur des jeweiligen Landes beeinflusst wird. So orientiert sich in allen Untersuchungsländern die nächste Generation der Journalisten automatisch an ihren Vorgängern.

*Beam, Randal A., Weaver, David H. und Brownlee, Bonnie J. (2009): Changes in Professionalism of U.S. Journalists in the Turbulent Twenty-First Century. In: Journalism & Mass Communication Quarterly, Jg. 86, H. 2, S. 277-298.

Mellado, Claudia; Hanusch, Folker; Humanes, María Luisa; Roses, Sergio; Pereira, Fábio; et al. (2013): Pre-Socialization of Future Journalists. An Examination of Journalism Student’s Professional Views in Seven Countries. In: Journalism Studies, 14. Jg., H. 6, S. 857-874.

Bildquelle: hackNY/Flickr CC

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