Dramatiker der Finsternis

28. Februar 2014 • Qualität & Ethik • von

Die heutige Kolumne ist nur etwas für starke Nerven. Denn es kommen unsere Journalisten zu Wort. Sie beschreiben den Zustand der Schweiz. Es herrscht „Eiszeit” (Der Bund). Man steht unter „Schock” (Sonntagsblick). Es sind „harte Zeiten” (Südostschweiz). Die Schweiz muss „bluten” (Tages-Anzeiger). Das Land ist „dekadent” (Neue Zürcher Zeitung).

Weitere Vokabeln, die wir zuletzt von unseren Journalisten vernehmen durften, sind etwa: Untergang, Desaster, Angst, Niedergang und Katastrophe. Kurzum, wir gehen unter. Das steht fest.

Nach der Abstimmung über die Einwanderung kehrte ein Phänomen in den Journalismus zurück, das man eigentlich überwunden glaubte. Der Alarmismus kam zurück. Der Alarmismus ist die überzogene Beschreibung eines Untergangsszenarios. Er ist eigeninszeniert. Die Alarmisten warnen hysterisch vor eingebildeten Gefahren, die sie zuvor selber heraufbeschworen haben.

Die Technik ist relativ simpel. Die Medien blasen sekundäre Ereignisse zu einer primären Bedrohungslage hoch. Um diesen Effekt zu erzielen, unterschlagen oder verzerren sie wesentliche Fakten. Meist wird die manipulierte Darstellung dann von gezielt ausgesuchten Experten zusätzlich dramatisiert. Den Höhepunkt des Alarmismus erlebten wir in den Jahren nach 2000. Vogelgrippe, Sars, Ozonloch und Schweinegrippe rafften die Menschheit damals fast im Jahresrhythmus dahin. Dann sahen auch die Medien ein, wie lächerlich ihre Weltuntergänge jeweils wirkten, und beendeten den Trend.

Jetzt ist der Trend zurück, zumindest in der Schweiz. Viele Medien halten sich dabei an die gute alte Technik der Fakten-Verkürzung. Die „Tagesschau” etwa berichtet besorgt von einem „klaren Zeichen der EU”, weil sie die Gespräche über das Stromabkommen unterbrach. Natürlich verschweigt die „Tagesschau”, dass über das Abkommen seit sieben Jahren erfolglos verhandelt wird und selbst Grüne es für überflüssig halten.

Der Tages-Anzeiger etwa titelt besorgt, dass nun „Konzerne Exit aus der Schweiz prüfen”. Bei näherem Hinsehen zeigt sich, dass es sich bei den „Konzernen” um eine einzige Firma mit wenigen Schweizer Angestellten handelt, die ihren Steuersitz regelmäßig überprüft. Natürlich verschweigt das Blatt, dass Steueroptimierung eine normale Unternehmenspraxis ist.

Radio SRF etwa berichtet besorgt von der „Retourkutsche”, wonach die Gespräche über das Studentenaustausch-Programm „Erasmus+” von der EU gestoppt worden sind. Natürlich verschweigt der Sender, dass die Schweiz schon vor der SVP-Abstimmung den Ausstieg aus dem Programm beschloss, weil ihr die EU zu hohe Kosten verrechnen wollte.

Besonders typisch für die Stilform des Alarmismus ist jeweils auch der rasante Anstieg von Experten. Experten sind unter Journalisten weniger als unabhängige Fachleute denn als Verstärker der eigenen Meinung gefragt. Man wählt gezielt jene aus, die sagen, was man selber gesagt haben will. Experten, die den Untergang der Schweiz nicht voraussagen, schaffen es derzeit kaum in die Spalten und vor die Mikrofone.

Ich schätze, dass in den letzten zehn Tagen das Verhältnis etwa achtzig zu zwanzig war. Achtzig Prozent der Experten dramatisierten den Konflikt mit der EU, zwanzig Prozent gaben Entwarnung. Achtzig zu zwanzig war auch ungefähr das Verhältnis der redaktionellen Kommentare. Nur wenige größere Blätter wie Berner Zeitung, Sonntagszeitung und Blick präsentierten sich nicht als journalistische Dramatiker der Finsternis. Die Schweiz hat wieder mal die Vogelgrippe.

Erstveröffentlichung: Die Weltwoche vom 20. Februar 2014

Bildquelle: Initiative Echte Soziale Marktwirtschaft (IESM)  / pixelio.de

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