Was Journalisten von Bürgerreportern halten

2. April 2014 • Digitales • von

Der Satz „Wir sind nun alle Journalisten“ klingt häufig wie ein Gemeinplatz der Neuzeit. Das Phänomen des Bürgerjournalismus wird weithin als legitimer Bestandteil des globalisierten Mediensystems erkannt und akzeptiert. Doch ob der verschwimmenden Grenzen zwischen professionellen Berichterstattern und Amateur-Reportern drängt umso mehr die Frage: Wer ist heute noch ein ‚richtiger’ Journalist?

Henrik Örnebring, Professor für Medien und Kommunikation an der Universität Karlstad in Schweden, hat – noch während seiner Zeit an der Universität Oxford – eine Serie von Tiefeninterviews mit Journalisten geführt, um der Sache auf den Grund zu gehen. Sein Ziel war es, eine Antwort auf die folgende Frage zu finden: Was unterscheidet die Tätigkeit der professionellen Journalisten von dem, was Bürgerreporter tun? Die Befragung sollte auch aufzeigen, wie hauptberufliche Journalisten sich selbst und ihre professionelle Beschäftigung im Gegensatz zur Arbeit von Bürgern sehen, die mit einfachstem Rüstzeug wie Smartphones und Internetverbindung ans Werk gehen.

Die Ergebnisse sind nicht ganz eindeutig. Einerseits begründeten einige professionelle Journalisten ihre Daseinsberechtigung und Autorität gegenüber den Bürgerreportern mit traditionellen Ansprüchen an den Journalismus. Auf der anderen Seite sehen sich viele durch den technologischen Wandel gezwungen, ihre Vorstellungen von journalistischer Individualität und Unabhängigkeit zu überdenken.

Örnebring befragte Reporter aus sechs europäischen Ländern, nämlich aus Deutschland (12), Estland (11), Italien (11), Polen (10), Schweden(10) und Großbritannien (9). Das Sample war zwar mit einer Gesamtheit von 63 Journalisten relativ klein, berücksichtigte aber Journalisten auf verschiedenen Stufen der Karriereleiter und verschiedene Medienformen von Print über Rundfunk bis hin zu Onlinemedien. Allerdings konnten die angestrebten Quoten nicht immer strikt erfüllt werden, etwa weil in Italien nur wenige Berufsanfänger rekrutiert werden konnten und einige Journalisten für mehrere Medienformen arbeiteten.

Die Studie zeigt vor diesem Hintergrund drei Kernelemente der Professionalisierung auf, über die sich die hauptberuflichen Journalisten selbst definieren: Expertise, Verpflichtung einem gesellschaftlichen Ziel gegenüber und Unabhängigkeit. Unter dem Begriff der Expertise fasst Örnebring einen Grundstock an Wissen und eine Reihe von Fertigkeiten zusammen, die es Reportern und Redakteuren erlauben, sich als hauptberufliche Journalisten zu definieren. Die Expertise verleiht dem journalistischen Beruf demnach eine gewisse Autorität gegenüber anderen publizistischen Akteuren. Den Oberbegriff der journalistischen Verpflichtungen leitet der Forscher aus der Ansicht vieler Medienmacher her, dass Journalismus mehr als nur ein Job sei – weil die Berichterstattung eine übergeordnete gesellschaftliche Verantwortung trage. Unabhängigkeit zeichnet sich nach Örnebrings Definition dadurch aus, dass die Journalisten selbstbestimmt arbeiten und vor Einflussnahme des Staates und wirtschaftlicher Kräfte oder Strukturen geschützt sind.

Die Befragten wurden auch danach gefragt, was sie ihrer Meinung nach von Bürgerjournalisten unterscheidet. Die Vorstellungen der Journalisten in diesem Punkt unterschieden sich von Land zu Land stark. So zeugten einige Antworten der Medienmacher in Italien, Polen und Estland von einer sehr feindseligen Haltung gegenüber den Bürgerreportern, während einige Journalisten aus Deutschland, Schweden und Großbritannien laut Örnebring schlichtweg „unqualifizierte, positive Einschätzungen“ abgaben.

Einige der Antworten waren eher vorhersehbar und bestätigten frühere Forschungsergebnisse. So war der Begriff der Expertise den Journalisten als Abgrenzungslinie zwischen sich und den Amateur-Reportern sehr wichtig. Relevante Informationen nach journalistischen Kriterien aus einer Masse an Daten herauszufiltern, sahen die Befragten als eine Fertigkeit an, die professionellen Journalisten vorbehalten ist. Sie schreiben damit der Berufsgruppe die Aufgabe zu, anstelle des Publikums zu entscheiden, was wertvolle und was weniger wertvolle Informationen sind. Ein befragter britischer Journalist brachte es so auf den Punkt: „Bloggen und all dieser Bürgerjournalismus sind schön und gut, doch ohne einen verlässlichen, professionell journalistischen Ansatz, eine redaktionelle Auswahl, kann das alles meiner Meinung nach nicht funktionieren.“

Auf ähnliche Art und Weise bewerteten die Journalisten die Vorstellung von einer gesellschaftlichen Aufgabe des Journalismus. Diese ordneten sie als eine Daseinsberechtigung der professionellen Redaktionsarbeit ein. Interessanterweise sahen die Befragten diese Verpflichtung vornehmlich darin, ethische Kodizes und professionelle Prinzipien zu befolgen – wie etwa die Praxis, Inhalte zu verifizieren. Eher abstrakte Ideen von übergeordneter sozialer Verantwortung spielten dagegen kaum eine Rolle.

Ein deutscher Journalist mit einigen Jahren Berufserfahrung äußerte sich zur journalistischen Verpflichtung, akkurate Information zu liefern und grenzte darüber professionelle von Bürgerjournalisten ab: „Als Journalist musst du wissen, wer was wann, wie und warum gesagt hat, das ist es, was du in deiner Ausbildung lernst und es ist eine harte Schule. Ein sogenannter Bürgerjournalist hat das nicht durchgemacht.“

Ein eher überraschendes Ergebnis zeigte die Befragung in puncto journalistischer Unabhängigkeit. Traditionell galt journalistische Autonomie dadurch als gesichert, dass einzelne Journalisten innerhalb einer Nachrichten- oder Medienorganisation relativ frei arbeiten konnten. Dieser Begriff von Autonomie beinhaltete auch, dass sie von äußeren Zwängen wie etwa ökonomischen Zielen des Unternehmens abgeschirmt wurden. Das war auch einer der Gründe dafür, dass Journalismus niemals einen ähnlich festen Status wie etwa die Berufsstände der Mediziner oder der Juristen erreichte. Die Offenheit des Berufsfeldes war ein wichtiger Garant für das journalistische Ideal der Meinungs- und Pressefreiheit. Heute machen technologische und ökonomische Veränderungen innerhalb der Medienindustrie deutlich, welche Nachteile diese offene Definition des Berufsfeldes hat – da immer mehr Amateure für konkurrierende Publikationen sorgen. In dieser Situation könnten kollektive redaktionelle Produktionsprozesse zu einem Alleinstellungsmerkmal des professionellen Journalismus werden, während dieses Merkmal der Arbeit vorher womöglich kaum beachtet wurde.

Die Autorität der einzelnen Medienmacher erwächst demnach laut Örnebring aus der Abstimmung mit anderen – professionellen – Kollegen und der Teilhabe an redaktionellen Arbeitsprozessen. Indem Journalisten das Kollektiv der Redaktionen anerkennen, grenzen sie sich auch als legitimer Berufsstand von Bürgerjournalisten ab. Denn Amateure sind nicht derselben redaktionellen Qualitätskontrolle wie hauptberufliche Journalisten unterworfen – aus dem einfachen Grund, dass sie keinen kollektiven prüfenden Prozess wie in einer Redaktion durchlaufen. So werden Reporter und Redakteure nach dieser Definition erst dadurch zu „richtigen“ Journalisten, dass sie sich in eine Medienorganisation integrieren, oder sogar assimilieren – eine Perspektive, welche die libertären Medienmacher früher vielleicht sogar abgelehnt hätten, weil sie sich in ihrer Autonomie beschnitten gefühlt hätten.

Örnebring, Henrik (2013):  Anything you can do, I can do better? Professional journalists on citizen journalism in six European countries. The International Communication Gazette.

Übersetzt aus dem Englischen von Karen Grass

Original-Artikel auf Englisch: Citizen Journalists and the Real Deal

Bildquelle: James Williamor / Flickr Cc

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