Schneidet die alten Zöpfe ab!

31. März 2014 • Medienpolitik, Qualität & Ethik • von

Menschen beharren gerne auf dem, was sie kennen. Für eine funktionierende Mediengesellschaft wird das gefährlich, wenn dadurch Medienregulierungen relativ staatsnah, Sitzungen geheim und Abwägungen oft fern von medienethischen Konzepten erfolgen.

Doch genau dies ist oft der Fall, belegt eine eigene Studie, für die wir rund 760 Mitglieder von Presseräten, Rundfunkräten sowie Ombudspersonen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz angeschrieben haben. Gerade Insider, also Gremiumsmitglieder, sind demnach die vehementesten Gegner von Veränderungen. Sie sprechen sich zwar eigentlich für mehr Bürgernähe, Unabhängigkeit und Publizität aus – meinen damit aber die anderen und in der Regel nicht das Gremium, in dem sie selber sitzen.

Das Bundesverfassungsgericht sorgt jetzt mit seinem Urteil zu ZDF-Verwaltungs- und Fernsehrat für einen doppelten Lichtblick, indem es beiden Kontrollgremien Offenheit sowie Staatsferne verordnet. Vorgeschichte ist eine Klage, die die Bundesländer Rheinland-Pfalz und Hamburg anstrengten, weil 2009 eine CDU-nahe Mehrheit im ZDF-Verwaltungsrat den Vertrag des Chefredakteurs nicht verlängerte, wohl um ihn zu maßregeln.

Ab Mitte 2015 sind nun Mitglieder, Tagesordnung und Sitzungsprotokolle zu veröffentlichen, Staat und Parteien müssen ihre Sitze von 44 Prozent auf ein Drittel senken. Damit stärkt das Gericht die Unabhängigkeit des Senders und zwingt die Gremien, alte Zöpfe abzuschneiden und ihren normativen Anspruch auf mehr Autonomie, Demokratie und Öffentlichkeit besser einzulösen.

Wer für die frei werdenden Gremienplätze in Frage kommt, entscheiden die Länder. Die Forschung empfiehlt, Staat, Medienunternehmen, Publikum und Zivilgesellschaft in ein ausgewogenes Verhältnis zu stellen – und das bedeutet, weitere Zöpfe abzuschneiden. Seit langem fehlen in solchen Gremien partei- und verbandsferne Experten aus Medienethik, Medienrecht, Medienwissenschaft sowie Zuschauervertretungen ohne Körperschaftsstatus. Das kann und muss sich jetzt ändern. Im ZDF – sowie in den Räten aller öffentlich-rechtlichen Sender. Und in der Selbstregulierung. Frischer Wind, so legt die Studie nahe, nützt auch dem Diskurs über das, was infolge des digitalen Wandels neu zu regeln ist und von wem.

Erstveröffentlichung: Tagesspiegel vom 31. März 2014

Der Beitrag ist Teil einer Serie – alle 14 Tage präsentieren drei Medienforscher im Tagesspiegel Ergebnisse und Streitfragen ihres Fachs, die das EJO zweitveröffentlicht.

Teil 1: Lauter, bitte!

Teil 2: Das Publikum vergisst rasch

Teil 3: Politik – mit und ohne Etikett

Teil 4: Facebook im Sinkflug?

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