Grossmacht Eidgenossenschaft

14. August 2014 • Medienökonomie • von

Wie die Schweiz zur Supermacht wurde: die Geschichte eines sommerlichen Medienfurzes.

Christian Girardi ist ein Freund aus meiner zweiten Heimat Südtirol. Christian Girardi ist schuld daran, dass sich die Schweiz diesen Sommer von einem Kleinstaat in eine Grossmacht verwandelte.

Alles begann letzte Woche mit einem Artikel im Gratisblatt 20 Minuten. Die Schlagzeile tönte: “Südtirol will zur Schweiz gehören”.

Grund für den bevorstehenden Staatswechsel Südtirols war ein Symposion, das Freund Girardi für diesen Herbst organisierte. Es geht um Fragen von Föderalismus und Demokratie in Europa. “Kanton Südtirol – Utopie oder Modell?” heisst der Titel der Tagung.

Die schnellen Jungs von 20 Minuten verkürzten das Thema der Tagung rasant. Ihre Schlagzeile: “Südtirol will zur Schweiz gehören”.

Und jetzt ging’s los.

Im Print wie online stürzten sich nun die Journalisten auf den Anschluss einer italienischen Provinz an die Eidgenossenschaft. “Auf in die Schwyz?” titelte die Neue Südtiroler Tageszeitung. “Il modello svizzero” prophezeite der Corriere della Sera. “Wird Südtirol Teil der Schweiz?”, fragte der Staatssender Rai.

Natürlich gab es auch Kritik am bevorstehenden Anschluss. “Grossmachts-Phantasie” diagnostizierte die Huffington Post bei den Schweizern. “Grossmacht-Träume der Schweizer Nachbarn” erkannte die österreichische Kronen-Zeitung.

Wir können also die erste Lektion der Medienrealität zusammenfassen: Welchen Blödsinn du auch immer schreibst, dein Blödsinn geht um die Welt.

Nun machte 20 Minuten den zweiten, zwingenden Schritt. Das Thema wurde ausgeweitet. “Nachzug” heisst das im Journalistenjargon. Das Blatt vermeldete nun die Tatsache, dass neben Südtirol auch Baden-Württemberg, Bayern, Sardinien, Vorarlberg und die Lombardei zur Schweiz möchten.

60000 Leser beteiligten sich an der Umfrage, ob man Südtirol, Baden-Württemberg, Bayern, Sardinien, Vorarlberg und die Lombardei als Kantone in die Eidgenossenschaft eingliedern solle. Achtzig Prozent waren dafür.

Schnell war ausgerechnet, dass die Schweiz von heute 41000 Quadratkilometern auf 170000 Quadratkilometer wachsen würde. Das ist mehr als England und die Hälfte Deutschlands.

Natürlich schalteten sich nun all die allzeit bereiten Experten in die Mediendebatte ein. “Das würde die Schweiz zu einer der stärksten Wirtschaftsmächte in Europa machen”, wusste etwa der Schweizer Politologe Michael Hermann. “Die Schweiz ist ein kleines Paradies”, wusste der deutsche Sozialpsychologe Christian Fichter.

Natürlich setzte es nun erneute Kritik an den helvetischen Expansionsplänen. “Die spinnen, die Schweizer! Alpenstaat will sich deutsche Bundesländer einverleiben”, protestierte das Nachrichtenmagazin Focus.

Wir können also die zweite Lektion der Medienrealität zusammenfassen: Welchen Blödsinn du auch immer schreibst, dein Blödsinn geht um die Welt.

Noch kurz zur Realität. Die EU besteht aus zentralistischen Staaten wie Deutschland, Frankreich, Spanien und Italien. Über ihre ohnehin zentralistische Haltung haben sie zusätzlich den Super-Zentralismus Brüssels gelegt. Nichts hasst die Zentralgewalt EU mehr als föderalistische und regionalistische Bestrebungen. Brüssel erstickt das Selbstbestimmungsrecht der Völker, so wie es im Völkerrecht eigentlich festgeschrieben, aber nicht angewendet wird. Darum wird auch Südtirol weiterhin zu Italien gehören. Sonst könnte dieses Signal auch von Katalanen, Flamen, Bretonen, Korsen, Galiciern, Schotten oder Schlesiern gehört werden.

Darum wird auch, zum Bedauern von 20 Minuten, leider nichts aus der angekündigten “Supermacht Schweiz”.

Erstveröffentlichung: Die Weltwoche vom 07. August 2014

Bildquelle: Dha / Wikimedia Commons

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