Werden beim Schweizer Radio und Fernsehen SRF eigentlich selten bis nie Fehler gemacht? Wer die öffentlichen Programmbeurteilungen des SRG-Publikumsrats liest, hat unweigerlich diesen Eindruck. Tatsächlich geht das Gremium sparsam um mit harscher Kritik. Es hat seine Gründe dafür.
Lobende Worte finden sich in den Medienmitteilungen des Publikumsrats SRG Deutschschweiz (Schweizerische Radio- und Fernsehgesellschaft) zuhauf. Ob „unterhaltend und überraschend“ oder „hochkompetent und verständlich“: Die Urteile zu den Programmen von Schweizer Radio und Fernsehen (SRF) fallen überwiegend positiv aus. Negative Kritik übt der Publikumsrat nur punktuell. Und wenn, dann in einem eher gemäßigten, dem SRF wohlgesinnten Wortlaut. Was das nun bringen soll, wenn ein Beobachtungsgremium seine zu kritisierenden Stellen nur mit Samthandschuhen anfasst, kann man sich durchaus fragen. Hinzu kommt, dass der Publikumsrat über keinerlei Weisungsbefugnis gegenüber den Programmverantwortlichen verfügt, wie auf der Homepage freimütig eingeräumt wird.
Das hält den Publikumsrat indes nicht davon ab, seinen Einfluss auf die Produzentinnen und Produzenten an ebendieser Stelle im Netz zu betonen. Ihnen, den Programmschaffenden, gebe das Gremium „kritische und konstruktive Anregungen aus der Sicht der Konsumentinnen und Konsumenten von SRF-Programmen“. Man begleite die Programmarbeit mit Feststellungen und Vorschlägen. Immerhin: Aus dieser Tätigkeitsbeschreibung des Publikumsrats geht hervor, dass die Programmschaffenden von SRF nicht einfach unfehlbar sind. Anscheinend gibt es Verbesserungspotenzial. Aber an welcher Stelle in den Medienmitteilungen wird darauf hingewiesen?
„Oft kann man die Kritik zwischen den Zeilen lesen“, sagt Manfred Pfiffner, Präsident des Publikumsrats SRG Deutschschweiz. „Bei einigen Mitteilungen aber auch gar nicht.“ Pfiffner steht dem beratenden Gremium seit sechs Jahren vor. In dieser Zeit habe er gelernt, zwischen intern und extern geäußerter Kritik zu unterscheiden. „Der Publikumsrat kommuniziert seine Feststellungen den Programmschaffenden von SRF in deutlicherem Wortlaut als der Öffentlichkeit“, erklärt Pfiffner, und meint damit, dass SRF-intern zuweilen auch harschere Kritik geübt werde. Das hingegen, was der Publikumsrat den Medien mitteile, sei manchmal eine abgeschwächte Form der Programmbeobachtungen und der Diskussion mit den Verantwortlichen in der Ratssitzung.
Die Medien suchen den Skandal
Grund dafür sind laut dem Publikumsrats-Präsidenten indes die Medien selbst. Diese griffen eine Medienmitteilung mit Informationen zu einer Sendebeurteilung von SRF meist nur dann auf, wenn darin negative Aspekte zum Programm oder Auffälligkeiten einer moderierenden Person thematisiert würden. Positive Kritik hingegen interessiere die Presse gar nicht.
Dieser systembedingten Gewichtung von Nachrichtenfaktoren seitens der Medien ist es mitunter zuzuschreiben, dass sich der Publikumsrat in der Vergangenheit mehrmals mit kleineren Skandalen konfrontiert sah. An sich harmlose Kritik, die teilweise nur Nuancen der Programmgestaltung betraf, wurde von den Medien aufgebauscht und zu einer „knackigen Story“ verarbeitet, wie Manfred Pfiffner es beschreibt. So wie bei Moderator und Comedian Fabian Unteregger, dessen Ratequiz „Metzgete“ „optimierbar“ sei. Darüber hinaus hegten private Medienhäuser nicht selten Ressentiments gegen die SRFG, was sich oftmals in den aus Sicht des Publikumsrats unverhältnismäßig kritischen Presseartikeln widergespiegelt habe.
Aus diesen Gründen führte der Publikumsrat vor geraumer Zeit zwei „Spielregeln“ für die externe Kommunikation ein. Der Präsident umschreibt diese Richtlinien wie folgt:
“In den Medienmitteilungen wird der Fokus grundsätzlich nicht auf Einzelpersonen gelegt, es sei denn, es handle sich beispielsweise um eine Personality-Show. Die Communiqués werden in ihrer Tonalität bewusst gestaltet.”
Geringe Medienresonanz im Jahr 2013
Ihre Wirkung scheinen diese „Spielregeln“ indes nicht zu verfehlen. Das Interesse der Medien an den Mitteilungen des Publikumsrats SRG Deutschschweiz hielt sich zuletzt jedenfalls stark in Grenzen, wie das Ergebnis einer Untersuchung am Institut für Angewandte Medienwissenschaften (IAM) der Zürcher Fachhochschule zeigt. Nebst anderen medienkritischen Akteuren wurde auch der Publikumsrat und dessen Mitteilungen im Jahr 2013 sowie die ausgelöste mediale Resonanz untersucht.
Am ehesten interessierte sich im Untersuchungsjahr noch die Schweizerische Depeschenagentur (sda) für die Mitteilungen des Publikumsrats. Diese jedoch übernahm die Communiqués jeweils in praktisch unveränderter Form. Weitere Schweizer Zeitungen und Online-Portale griffen die Veröffentlichungen nur sporadisch, und wenn, dann in gekürzter Form und mehrheitlich mit Fokus auf die negativen Aspekte der Programmbeurteilung, auf.
Das geringe mediale Interesse, das in der Untersuchung an der Zürcher Fachhochschule festgestellt werden konnte, bestätigt demnach die Vermutung Manfred Pfiffners, wonach die Presse vordergründig an „bad news“ interessiert sei.
Den unbefriedigenden Status quo aufheben
Zwischen dem Publikumsrat und den Medien herrscht also eine Art Pattsituation. Letztere wünschten sich mehr als nur weichgespülte Medienmitteilungen, während der Publikumsrat zur Vermeidung von tendenziöser und negativer Berichterstattung in ebendiesen Communiqués einen Ton anschlägt, der zwar zu weiten Teilen der „wirklich guten Arbeit der Programmschaffenden“ (Manfred Pfiffner) entspricht, aber eben doch ein insgesamt verzerrtes Bild der Kritik abgibt. Diesen für beide Seiten unbefriedigenden Status quo aufzuheben, scheint eine besondere Herausforderung zu sein.
Ein erster Schritt aufseiten der Medien könnte sein, die eigene Einstellung zum SRG so zu revidieren, dass nicht mehr nur negative und personenbezogene Meldungen berücksichtigt werden. Ein anderer Schritt könnte sein, kritische Themen nicht ohne weiterführende Recherche zu bringen und Meldungen zu hinterfragen. Denn eine kritische Berichterstattung ist, solange sie fair und begründet erfolgt, nicht nur wünschenswert, sondern unbedingt nötig. Solange der investigative Ansatz gewahrt bleibt, darf und muss das Augenmerk der Medien darum sogar auf den Publikumsrat der SRG gelegt werden.
Dort nämlich gibt es Bereiche, die durchaus zu hinterfragen sind. Allen voran die Tatsache, dass sowohl der Publikumsrat als kritisierendes Organ als auch die SRF-Programmgestalter als Kritisierte in ein und dieselbe Unternehmensstruktur eingebunden sind. Sie sind Teil des übergeordneten Vereins SRG SSR, was eine ideelle Trennung erschweren dürfte. Zwar sind beide Organe in separaten Sparten angesiedelt – der Publikumsrat innerhalb der SRG-Trägerschaft, die Redaktionen beim operativen Geschäft. Ob dadurch aber unabhängige Kritik jederzeit möglich ist, darf zumindest angezweifelt werden.
Tatsächlich nimmt auch Manfred Pfiffner die organisationale Nähe und damit ein gewisses Spannungsverhältnis wahr. Er sieht darin aber auch eine Herausforderung für die medienkritische Tätigkeit des Publikumsrats: „Wir können und wollen niemanden bei SRF diskreditieren. Unser Ansatz ist kritisch konstruktiv. Wenn uns aber an einer Sendung etwas wirklich nicht passt, dann sagen wir das auch.“ Den Vorwurf der „Beißhemmungen“ will Pfiffner darum nicht gelten lassen.
Auch die Tagesschau-Redaktion bestätigt, dass sie vom Publikumsrat nicht mit Samthandschuhen angefasst werde. Man sei froh um die Feststellungen und Ratschläge, sagt der stellvertretende Redaktionsleiter Franz Lustenberger. Die Beobachtungen würden in der Redaktion thematisiert und allen Mitarbeitenden zugänglich gemacht. „Zudem bringt uns der Publikumsrat auf neue Ideen.“ So habe ein Anstoß des Publikumsrats dazu geführt, dass die Tagesschau-Redaktion ein Austauschprojekt mit den Kollegen des Westschweizer und des Tessiner Fernsehens ins Leben gerufen habe, sagt Lustenberger. „Das Echo des Gremiums wird also wahrgenommen.“
Neue Wege der Öffentlichkeitsarbeit
Wünschenswert aus Sicht des Radio- und Fernsehpublikums wäre nun, dass die kritischen Voten des Publikumsrats noch vermehrt an die Öffentlichkeit gelangten. Das Interesse der Konsumentinnen und Konsumenten an seinen Feststellungen jedenfalls darf vorausgesetzt werden. Denn letztlich sind es die Nutzerinnen und Nutzer, die mit gesetzlich vorgeschriebenen Empfangsgebühren die Radio- und Fernsehprogramme der SRG mitfinanzieren. Mit der Präsenz der SRG Deutschschweiz auf den Social-Media-Plattformen Facebook und Twitter wurde ein erster Schritt in diese Richtung getan.
Bildquelle: Nemo / Pixabay.com
Schlagwörter:Medienkritik, Patrick Jordi, Publikumsrat, SRF, SRG