Medien verschlafen das Potenzial der Digitalisierung

30. September 2014 • Digitales • von

Schon seit mehr als zehn Jahren wird den Massenmedien Zeitung und Fernsehen angesichts sinkender Werbeeinnahmen und Publikumszahlen ihr Tod vorhergesagt. Nun leben Totgesagte zwar meistens länger, doch tatsächlich schöpfen viele Platzhirsche die Chancen der Digitalisierung noch nicht wirklich aus.

Obwohl gerade jüngere Leser und Zuschauer ihre Nachrichten häufiger online suchen und auch finden, ist das Fernsehen nach wie vor für eine Mehrheit der Bürger die wichtigste Informationsquelle, so die Ergebnisse des aktuellen Digital Media Reports 2014 des Reuters Institute for the Study of Journalism der Universität Oxford. Der Vergleich von 10 Ländern – darunter unter anderem die USA, Japan und die urbanen Zentren Brasiliens – zeigt, dass Zeitungen zudem ihre Reichweite häufig durch die Schaffung eigener Online-Ableger erweitern konnten. Reine Internetmedien wie die Huffington Post haben sich bisher nur in den USA erfolgreich am Markt etablieren können.

Auch die Auswertung von 56 Länderreports durch die Open Society Foundation ergibt, dass die etablierten Massenmedien weiterhin Meinungsführer sind (Chan 2014). Der Einfluss von Bürgerjournalisten auf öffentliche Debatten bleibt vor allem in den untersuchten Ländern in Nordamerika und Westeuropa marginal. Und obwohl Journalisten häufig angeben, durch die Nutzung von Internetdiensten mehr Quellen nutzen zu können, kommen Akteure aus gesellschaftlichen Randgruppen in den Berichten der etablierten Medien nicht häufiger zu Wort.

Ein etwas anderes Bild ergibt sich beim Blick auf Entwicklungsländer: Im autoritär regierten China zum Beispiel nutzen Journalisten vermehrt Mikroblogging-Dienste zur Recherche und bieten so auch Akteuren abseits der offiziellen Quellen eine Plattform. Für Ägypten stellen die Forscher fest, dass Leser soziale Medien häufiger nutzen, um Berichte von Massenmedien zu kritisieren und zu korrigieren, und damit die Medieninstitutionen zwingen, sich stärker zu professionalisieren. Im Gegenzug werden jedoch in vielen Ländern (Bürger-)Journalisten, die Korruption oder Wahlbetrug anprangern, bedroht oder gerichtlich verfolgt. Zusätzlich ist zu beobachten, dass staatliche Institutionen die digitalen Kanäle oft mit Informationen überfluten und damit oppositionelle Stimmen übertönen.

Generell klagen Journalisten in allen Ländern über schlechtere Arbeitsbedingungen, weil die Verbreitung von Nachrichten über das Internet den Zeitdruck enorm erhöht habe und kaum noch Zeit für gründliche Recherchen bleibe. Die Forscher sehen in den untersuchten Ländern einen Verfall journalistischer Praktiken, was sie unter anderem an einer größeren Zahl von Falschmeldungen und der Zunahme von Plagiaten festmachen.

Es stellt sich angesichts dessen die Frage, ob die Qualität im Journalismus tatsächlich verfällt. Damit beschäftigten sich Forscher der baskischen Universität in Leioa in ihrem Projekt „Medien, Gesellschaft, Bildung“. Die Forscher untersuchten die qualitativen Unterschiede zwischen den Online- und Offline-Ausgaben von fünf Qualitätszeitungen – Frankfurter Allgemeine Zeitung, Financial Times, Corriere della Sera, Le Monde und El País (de la Piscina et al 2014). Sie stellen fest, dass die fünf untersuchten Tageszeitungen ihren Qualitätsstandard über einen Zeitraum von 13 Jahren gehalten haben. Allerdings scheinen die Qualitätskontrollen bei den Online-Veröffentlichungen häufiger zu versagen. Denn die Texte, die von den Zeitungen online gestellt werden, sind mit Ausnahme der Artikel von Le Monde qualitativ weniger hochwertig. So finden die Forscher online häufiger Falschmeldungen, Rechtschreib- und Grammatikfehler, extrem lange Sätze, Wiederholungen und „konfuse Ideen“, Layoutfehler und mangelhafte zusätzliche Informationselemente wie Grafiken oder Fotos. Außerdem kommen in Online-Texten oft weniger Quellen zu Wort. Einzig Le Monde bricht diesen Trend und macht ihren Online-Lesern mit sorgfältig recherchierten, gut formulierten und illustrierten Nachrichten und Analysen das bessere Angebot. Als Grund dafür identifizieren die Forscher die Tatsache, dass in der Redaktion fünf Journalisten ausschließlich für die Online-Publikation zuständig sind. Die Gründe für die schlechtere Qualität der anderen Zeitungsableger seien im erhöhten Zeitdruck zu suchen, unter dem die Journalisten stehen, so die Autoren.

Warum viele Redaktionen nicht in einen qualitativ hochwertigen Internetauftritt investieren, bleibt offen. Für die Financial Times stellen die Forscher fest, dass Zeitung und Online-Auftritt komplementär funktionieren, die Leser also möglichst beide Kanäle nutzen sollen. Für die anderen Zeitungen liegt die Vermutung nahe, dass die Printausgabe in den Redaktionen als wichtiger wahrgenommen wird. Dabei zeigen die steigenden Online-Abonnements der Le Monde, dass Qualität sich auch im Internet bezahlt machen kann.

Obwohl also die meisten Medien noch relativ wenig in ihre Onlineauftritte investieren und somit kaum in der Lage sind, Mehrwert zu generieren, wird  oft die These vorgebracht, dass das Informationsangebot dank des Internets zugenommen hat. Eine Forschergruppe aus Jena (Oschatz et al 2014) hat nun die Online- und Offline-Angebote verschiedener deutscher Medien verglichen, um diese These auf den Prüfstand zu stellen, Sie kommen zu dem Schluss: „Die Analysen zum Gegenstand der Berichterstattung verweisen sogar in die umgekehrte Richtung: Ausführliche Hintergrundberichterstattung über langfristig relevante Themen erhalten die Leser vor allem in den gedruckten Zeitungen. Online-Medien setzen wie das Fernsehen auf Aktualität, obwohl sie aufgrund ihrer technischen Voraussetzungen am ehesten auch Raum für Hintergrundberichte hätten.” Weder bieten die Online-Ableger in ihren Artikeln mehr unterschiedliche Themen oder Meinungen, noch werden ureigene Potenziale wie Hypertextualität und Multimedialität voll ausgeschöpft. Auch die Möglichkeit,  aktives Publikum stärker einzubinden, nutzen die Medien zu selten.

Indem sie vor allem auf Schnelligkeit setzen, nutzen Medienunternehmen die Spielräume ihrer digitalen Ausgaben zu wenig. Weiterhin scheint zu gelten: Journalismus muss online vor allem schnell und offline hochwertig sein.

 

Literatur:

Ying Chan: Journalism and digital times. Between wider reach and sloppy reporting. In: Open Society Foundations: Mapping Digital Media. Global findings. Digital Journalism – making news, breaking news. New York 2014, S. 107-127, online: http://www.opensocietyfoundations.org/sites/default/files/mapping-digital-media-overviews-20140828.pdf

Reuters Institute: Digital Media Report 2014. Tracking the future of news. University of Oxford 2014, online: https://reutersinstitute.politics.ox.ac.uk/sites/default/files/Reuters%20Institute%20Digital%20News%20Report%202014.pdf

Corinna Oschatz, Marcus Maurer, Jörg Häßler: (R)Evolution der Politikberichterstattung im Medienwandel? Die Inhalte von nachrichtenjournalistischen Online- und Offline-Angeboten im Vergleich. In: Medien- und Kommunikationswissenschaft, 1/62, Hans-Bredow-Institut, Hamburg 2014, 25-41

Txema Ramírez de la Piscina, Maria González Gorosarri, Alazne Aiestaran, Beatriz Zabalondo and Antxoka Agirre: Differences between the quality of the printed version and online editions of the European reference press. In: Journalism, 1/23, Sage, July 2014. DOI: 10.1177/1464884914540432, online: http://jou.sagepub.com/content/early/2014/07/08/1464884914540432

 

Bildquelle: flickr.com, Maurice Velati

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