Nach Fukushima: Der deutsche Sonderweg

28. Oktober 2014 • Qualität & Ethik, Ressorts • von

Jens Wolling (TU Ilmenau) und Dorothee Arlt (Universität Bern) haben soeben einen dicken Wälzer vorgelegt, in dem sie zusammen mit anderen Medienforschern den deutschen Sonderweg, der nach dem Tsunami und der Reaktorkatastrophe in Fukushima eingeschlagen wurde, in all seinen kommunikativen Facetten nachzeichnen.

„Warum vollzog Deutschland einen so grundlegenden Kurswechsel, während nahezu alle anderen Länder auf der Welt ihre Atomkraftwerke unbeirrt weiterbetreiben, einige Länder sogar neue Atommeiler bauen oder über einen erstmaligen Einstieg in die Atomenergienutzung nachdenken?“ Die Antworten der Forscher sind so differenziert, dass sie hier nicht im Detail nachgezeichnet werden können.

Jedoch: Die Mainzer Medienforscher Hans Mathias Kepplinger und Richard Lemke kommen in ihrer in dem Reader republizierten, vergleichenden Studie über die Fukushima-Berichterstattung in Deutschland, der Schweiz sowie in Frankreich und Großbritannienzu dem Schluss, dass in den untersuchten Ländern bereits bestehende Einstellungen der Journalisten die im Tenor gänzlich unterschiedliche Berichterstattung bewirkt hätten.

In einem Exkurs zur Medienberichterstattung über Fukushima in der Schweiz stellen Silje Kristiansen und Heinz Bonfadelli (beide Universität Zürich) immerhin den helvetischen Medien insgesamt ein positives Zeugnis aus: Sie „haben berichtet. Sie haben auch den politischen Diskurs in ihrer Berichterstattung abgedeckt“, und sie hätten so Partizipation und Abwägung ermöglicht. Da „die Stimmbürger der Schweiz mit großer Wahrscheinlichkeit letztlich an der Urne selbst über die Zukunft der Atomenergie entscheiden“ müssten, seien gerade hier die „Informations-, Orientierungs- und Arena-Funktionen* der Medien unerlässlich“.

Verwunderlich wäre es indes nicht, wenn beim nördlichen Nachbarn vielleicht schon im kommenden Winter die GroKo die nächste Volte im energiepolitischen Hickhack schlüge. Nicht weil Horst Seehofer meint, Stromtrassen ließen sich nicht gegen bayerischen Bürgerwillen durchsetzen; aber vielleicht ja, weil Wladimir Putin im Ukraine-Konflikt den Gashahn auch für Deutschland weiter zudrehen könnte.

*Mit „Arena-Funktionen“ ist gemeint, dass Medien Diskussionsplattformen bereitstellen sollen.

Quelle:

Jens Wolling/Dorothee Arlt (Hrsg.): Fukushima und die Folgen. Medienberichterstattung, öffentliche Meinung, politische Konsequenzen, Universitätsverlag Ilmenau 2014

 

Bildquelle: Bündnis 90/Die Grünen NRW / flickr.com

Erstveröffentlichung: Schweizer Journalist Nr. 10+11/2014

 

 

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