Meinungsmacht-Debatte: Die Sicht des Gutachters

12. Januar 2015 • Qualität & Ethik • von

Uwe Krügers Dissertation „Meinungsmacht“ fand in der Öffentlichkeit große Beachtung. Sie führte zu einer Debatte über das Rollenverständnis meinungsführender Journalisten. Die Diskussion zwischen dem Autor und seinem Kritiker Neuberger um die wissenschaftliche Qualität der Arbeit hatte das EJO im vergangenen Jahr dokumentiert. Nun schaltet sich der Gutachter der Arbeit, Michael Haller ein, um zu den Vorwürfen, die indirekt auch ihn treffen, Stellung zu nehmen. Haller, der bis vor kurzem Journalistik-Professor in Leipzig war, fasst im Folgenden zuerst Fragestellung und Methode der Studie nochmals zusammen, damit diejenigen folgen können, die das Buch von Krüger nicht kennen. Anschließend erörtert er den Kern der Neubergerschen Kritik (im Medium-Magazin wie auch auf der EJO-Website). Abschließend trifft er zwei wissenschaftsethische Feststellungen.

 

Über Eliten und über Diskurse

 Stellungnahme von Michael Haller zur Kontroverse Krüger-Neuberger

Den Ausgangspunkt der von Krüger verfolgten Fragestellung bildete die seit der dot.com-Krise von namhaften Publizisten (u.a. Jörges, Leyendecker, Hulverscheidt, Storz, Tichy) wiederholt geäußerte Vermutung, dass just einflussreiche Journalisten die Denk- und Sichtweise politischer Institutionen, der Finanzwirtschaft und des westlichen Militärbündnisses mit seiner expansiven Politik vertreten und verbreiten. Nicht wenige würden in politischen Lobby-Netzwerken aktiv mitmachen; sie seien vom Dunstkreis der Macht berauscht und politisch “embedded” (Jörges); ihnen mangele es an kritischer Distanz.

Dem gegenüber ist unstrittig, dass der Journalismus in Demokratien aus unabhängiger Sicht (bezogen auf organisierte Interessen) berichten und unvoreingenommen “Kritik und Kontrolle” (BVerfG) ausüben solle. Krügers Frage lautete: Sind nach Maßgabe dieses Leitbilds die Vorwürfe begründet? Und wenn ja: Handelt es sich eher um Fehlleistungen einzelner Journalisten, Kunstfehlern von Ärzten vergleichbar, oder haben wir es mit einer Tendenz zu tun, der zufolge diese sogenannten Alpha-Journalisten eine Elitenorientierung entwickeln und sich in die Zirkel von Machtträgern einbinden lassen, mit der Folge, dass sie die politischen bzw. ökonomischen Interessen antizipieren und als eigene Sicht publizieren (und vielleicht auch deshalb von Teilen des Publikums als „Systemmedien“ wahrgenommen werden)?

Eine wissenschaftliche Klärung dieser Frage ist indessen methodisch anspruchsvoll. Sie kann nicht über Befragungen erlangt werden, weil die journalistischen Akteure ihre allfällige Befangenheit nicht eingestehen, diese vielleicht gar nicht erkennen. Aber auch Inhaltsanalysen allein geben keinen Aufschluss, ob die in Kommentaren geäußerten Meinungen aus unabhängiger Sicht oder “embedded” entstanden sind. Deshalb musste Uwe Krüger mehrere Methoden kombinieren.

Zuerst hat er alle für seine Fragestellung (“Elitenorientierung”) relevanten Theorieansätze und Studien durchforstet und gewissenhaft ausgewertet. Soweit ich sehe, gibt es im deutschen Sprachraum derzeit keine andere vergleichbar umfassende und theoretisch gut gestützte Arbeit zum Komplex Elitenjournalismus.

Anschließend hat er Handlungsfelder recherchiert, in denen Akteure der Machteliten und journalistische Alphas interagieren. Erst, wenn solche Interaktionsfelder nachgewiesen und ausgewertet sind, können Themen und Akteure identifiziert, können Thesen über die politische Richtung ihrer Meinungsäußerungen formuliert und inhaltsanalytisch überprüft werden. Für diese Recherchen nutzte Krüger die soziale Netzwerkanalyse – eine neue, hierfür wohl bestgeeignete Methode. Sie zeigt, welche führenden Journalisten deutscher Leitmedien in Lobby-Organisationen involviert waren, die “Kontaktpotenzial mit Politik und Wirtschaftseliten” bieten (Krüger, S. 29). Zudem hat er die persönlichen Netzwerke von Journalisten unter der Fragestellung analysiert, welche dieser Verbindungen als berufsethisch problematisch einzustufen sind und welche nicht. Krüger konstatiert: “Journalismusethisch erscheinen viele der 164 gefundenen Verbindungen bedenklich, da sie potenziell mit der Berufsrolle des neutralen Beobachters kollidieren: Journalisten, die Mitwisser und Mitgestalter vertraulicher Politikplanungsprozesse sind, kommen zwangsläufig in Interessenkonflikte” (S. 119). Dabei enthält er sich jeder kausalen Deutung und lässt offen, ob es sich um gerichtete Beeinflussungen oder um sog. Homophilie-Phänomene handelt.

Wird das ermittelte Kontaktpotenzial real auch umgesetzt? Als Fallstudie analysiert Krüger die sog. Ego-Netzwerke von vier außenpolitisch tonangebenden Journalisten, die im US-affinen und Nato-Milieu besonders auffällig und dort in Rollen aktiv sind, die sich mit ihrer journalistischen Tätigkeit nicht begründen lassen. Am Beispiel des kontrovers diskutierten Topos “Erweiterter Sicherheitsbegriff” untersucht Krüger anschließend inhaltsanalytisch, inwieweit die politische Ausrichtung der Lobbynetze mit den Meinungsäußerungen dieser Journalisten konfluieren. Krüger schreibt: “In diesem Themenfeld besteht eine Kluft zwischen Elite und Bevölkerung, daher ist es aufschlussreich zu erfahren, ob die vier Journalisten in diesem Themenfeld auf der Linie von Bundesregierung, Nato und/oder USA liegen und wie sie mit kritischen Argumenten und gegenteiligen Sichtweisen umgehen.” (S. 151). Seine qualitative Frame-Analyse (23 Frame-Elemente) bestätigt die meisten der von ihm korrekt aufgestellten Hypothesen, so zum Beispiel, dass beim Themenfeld „Sicherheit, Verteidigung und Auslandseinsätze der Bundeswehr“ die vier Journalisten der expansiven Nato-Politik das Wort reden (im Unterschied zu solchen Journalisten anderer Printmedien, die keine transatlantischen bzw. regierungsnahen Netzwerkbindungen aufweisen). Relativierende oder einwendende oder kritische Argumente in Bezug auf diese Politik konnten in den Kommentaren nicht gefunden werden. Ein anderer Befund zu einem anderen Frame: “Alle Journalisten außer Stürmer betonen, dass die Regierenden in Deutschland Angst vor dem kriegsskeptischen Wahlvolk haben.” (S. 184). Oder dieser: “Dass die Skepsis der Deutschen gegenüber Militäreinsätzen auf Ignoranz bzw. beschränktem Bewusstsein für die Realitäten beruht (Frame-Element ‘Volk ignorant’), meinen Kornelius und Frankenberger.” (S.185) Alle diese Befunde resultieren aus einschlägigen Meinungsäußerungen der genannten Journalisten.

In einer zweiten Fallstudie untersucht Krüger die Berichterstattung rund um die von Bürgern und Friedensinitiativen kritisch thematisierte Münchner Sicherheitskonferenz (MSK), dem weltweit größten und vermutlich wichtigsten Treffen von Politikern, Militärs und Wirtschaftsvertretern, welche de facto die Politik der Nato-Staaten stützen. Krüger sieht eine “besondere Nähe” dann, “wenn Journalisten sich nicht mit einem Beobachterplatz auf der Galerie begnügen müssen, sondern im Konferenzsaal sitzen und mitdiskutieren können.” (S. 226). Er ermittelt u. a., dass just SZ-Außenpolitik-Chef Stefan Kornelius schon seit 2001 bei jeder Konferenz als Akteur agiert. Auch diese Fallstudie – vergleichende Inhaltsanalyse mit valide definierten Kategorien und guter Reliabilität – ergab im Übrigen, dass die Auslandschefs der Tageszeitungen, die in die MSK direkt eingebunden waren, sich für eine Stärkung des militärischen Engagements einsetzen und die Proteste in der Bevölkerung übergehen oder negativ bewerten.

In seinem „Fazit“ weist Krüger explizit auf die Gefahr einer Fehldeutung seiner Befunde hin: “Die Korrelationen zwischen Eliten-Netzwerken und Medieninhalten können zwar plausibel als Zusammenhänge interpretiert werden, wenn man bestimmte Theoreme von Sozialkapital und Schweigespirale mitdenkt – eine einfache Kausalität hingegen kann aus den Befunden nicht abgeleitet werden.” (S. 258). Zudem zeigt er die von der Forschung zu klärenden Desiderate auf und kommt im letzten Absatz auf sein berufsethisches Leitbild zu sprechen. Dort heißt es unter anderem: “In dieser Arbeit wird die Auffassung vertreten, dass Journalisten – zumal leitende – keine Aufgaben in Beiräten, Kuratorien und vor allem in vertraulichen Politikplanungskörperschaften wahrnehmen sollten, wenn diese Tätigkeiten thematische oder personelle Berührungspunkte mit ihrem Berichterstattungsfeld haben. Konkret bedeutet dies, dass sich ein Außenpolitikressortleiter zwar ehrenamtlich im Bürgerverein seines Stadtviertels für die Verschönerung seines Wohnumfeldes engagieren dürfte, aber nicht in einem Elitenverein zur Förderung der transatlantischen Beziehungen.” Wie sähe „wirklicher Elite-Journalismus“ aus? Krügers Antwort: „keiner, der im Kraftfeld der Politik- und Wirtschaftseliten gefangen ist, sondern einer, der mehr sieht als diese.” (S. 264).

 Diskussion der Kritik von Christoph Neuberger

Die empirische Untersuchung komplexer Wirkungszusammenhänge – dies vorneweg – ist immer reduktiv und muss methodenbedingte Verkürzungen hinnehmen. Entsprechend begrenzt ist denn auch die Reichweite ihrer jeweiligen Befunde. Die Geschichte der Medienwirkungsforschung legt hierzu ein beredtes Zeugnis ab. Dies gilt in Sonderheit für Dissertationen, die oftmals weitreichende Fragestellungen aufwerfen, aber schon bei der Wahl des Untersuchungsgegenstands Kompromisse eingehen und bei der Definition der Stichprobe Einschränkungen in Kauf nehmen müssen. Auch deshalb ist die selbstkritische Diskussion der methodenabhängigen Forschungsergebnisse – dies zeigt Uwe Krüger mustergültig – ein Ausweis für wissenschaftliches Denken und Handeln.

Perfekte, makellose Doktorarbeiten sind mir noch nie begegnet. Die Qualität empirischer Studien zeigt sich vielmehr daran, ob die der Fragestellung angemessenen Methoden gewählt, ob diese methodenkorrekt angewendet wurden und ob die Befunde die mit der Fragestellung intendierte Realität beschreiben können. Kurz: Ob die Ergebnisse, bezogen auf die in Hypothesen gefassten Forschungsfragen, Validität beanspruchen können. Und nur darauf sollte sich seriöse Forschungskritik beziehen. Alles andere ist Beckmesserei, dazu da, unbequeme Forschungsbefunde schlecht zu reden. Unter diesem Blickwinkel erscheint mir Christoph Neubergers Rezension als keine seriöse Forschungskritik. Ich beschränke mich im Folgenden auf vier Argumente.

Erstens: In seiner Rezension in der Branchenzeitschrift „Medium Magazin“ wirft Neuberger dem Verfasser der Studie vor, er habe “den Einfluss von Eliten auf Leitmedien” gar nicht nachgewiesen. Wie oben gezeigt, ist dies völlig richtig; Krügers Untersuchung sollte und konnte keine kausale Einflussnahme ermitteln. Das Thema der Arbeit kommt im Titel der Dissertation treffend zur Sprache: “Leitmedien und ihre Nähe zu Eliten aus Politik und Wirtschaft – Theorie, Netzwerke, Fallstudien“. Aber auch der Buchtitel “Meinungsmacht” trifft das Thema. Dass indessen sein Untertitel (“Der Einfluss von Eliten auf Leitmedien und Alpha-Journalisten”) das Thema pointiert, ist branchenüblich und bedeutet nicht, wie Neuberger unterstellt, dass “der durchschnittliche Leser annehmen muss, dass er das zentrale Ergebnis der Studie zusammenfasst“. Auch die von Neuberger genehmigte Überschrift seines Verrisses “Meinungsmache statt Macht” erscheint mir überpointiert und zielt am Kern seiner Rezension vorbei. So what?

Zweitens: Neuberger stützt seine Kritik mit der Behauptung, Krüger habe nur solche Kommentartexte ermittelt, die “seinen vorab formulierten Hypothesen entsprachen.” (MM 11/14, 25). Als Gutachter der Arbeit möchte ich mit Nachdruck festhalten, dass dies unwahr ist. Krüger hat die Textfunde ergebnisoffen ermittelt – und dies im Übrigen (entgegen der Behauptung Neubergers) ausreichend detailliert belegt und beschrieben. Ausreichend bedeutet: nachvollziehbar und rekonstruierbar.

Drittens führt Neuberger an, Krüger habe nichts Neues aufgedeckt, weil sich seine Netzwerkanalyse auf “fast nur öffentlich zugängliche Quellen” stütze. Nun ist Christoph Neuberger ein erfahrener Medienwissenschaftler, der den Unterschied zwischen Strukturanalyse und Objektbeschreibung genau kennt. Er weiß darum, dass Strukturanalysen dazu da sind, undurchsichtige Komplexe nach Maßgabe operativ formulierter Fragen durchsichtig zu machen. Neuberger ist auch ein Freund der Inhaltsanalyse (sein Kronzeuge Lüter, siehe unten): Diese beschäftigen sich fast immer mit publizierten (veröffentlichen) Medieninhalten, um Strukturen, Zusammenhänge, Tendenzen usw. nach Maßgabe der Untersuchungsfrage zu ermitteln. Niemand, auch nicht Neuberger käme auf die naive Idee zu behaupten, Inhaltsanalysen seien unsinnig, weil sie sich mit „öffentlich zugänglichen Quellen“ befassen. Dasselbe gilt für Big-data-Analysen (wie Textmining) und Netzwerkanalysen.

Viertens wird Uwe Krüger von Neuberger dahin belehrt, dass es “weltfremd und schädlich (wäre), wenn Journalisten jeglichen Kontakt zu politischen Akteuren vermeiden müssten”. Ich gehe davon aus, dass der Kritiker das Buch auch gelesen hat. Also weiß er, dass sich der gelernte Journalist Krüger intensiv mit dem Problem der Nähe beschäftigt und die Frage praxisgerecht diskutiert hat, wann und wie die journalistisch sachdienliche Nähe umschlägt in den Zustand des befangenen “embedded”. Deshalb stellt sich mir die Frage, warum Neuberger solche Behauptungen aufstellt.

Auf Krügers Antwort auf der EJO-Website argumentiert Neuberger in seiner EJO-Duplik nun deutlich differenzierter, schiebt aber ein paar Argumente zum Komplex “Einflussnahme” nach. Seine Kernkritik lautet, dass man in den Medienwissenschaften heutzutage keine kausalen Beeinflussungen, vielmehr Interdependenzen annehmen würde. Auch dies ist ein Scheineinwand. Krüger behauptet keine kausalen Effekte. Wichtiger aber ist dies: Solide Untersuchungen von Wirkungsfragen beschränken sich auf spezifische, eng definierte Themen und deren Dynamik unter Berücksichtigung externer Einflussgrößen und Rahmenbedingungen. Zahllose Studien zeigen, dass sich – je nach Thema und Themenkontext – Beeinflussungen in diese wie auch in die entgegengesetzte Richtung nachweisen lassen. Dieses Komplexitätsproblem reflektiert auch Krüger, dessen Fallstudien das Homophilie-Phänomen denn auch auf spezifische Frames und Kontexte (hier: Netzwerke) eingrenzen – und nur hierüber Befunde liefern. Alles Weitergehende sind mehr oder weniger plausible Interpretationen. Bei Neuberger sind es Unterstellungen.

Die weiteren von Neuberger akribisch aufgelisteten Methodenmängel erscheinen mir insofern spitzfindig, als sie die erwähnte Validität der Befunde nicht oder nicht nennenswert einschränken. Ich verzichte darum auf deren Diskussion.

Allerdings hat Neuberger einen Einwand so formuliert, als würde er damit die ganze Studie widerlegen: Als Kronzeugen führt er die Inhaltsanalyse von Albrecht Lüter (“Die Kommentarlage” 2008) an, die Krüger nicht berücksichtigt habe, vielleicht, weil sie dessen Kernaussagen widerlege. Mir ist die Studie bekannt und ich kann deshalb gut nachvollziehen, warum sie von Krüger nicht ausgewertet wurde. Erstens behandelt Lüter ein anderes Thema: Er untersucht die Breite des Meinungsspektrums in den Kommentaren von fünf überregionalen Tageszeitungen entlang eines von ihm definierten Links-Rechts-Schemas („Analyse der politischen Strukturierung des bundesdeutschen Kommentardiskurses“, S. 21). Lüters Studie sagt also nichts über die inhaltliche Beziehung zwischen Medien und Eliten, sondern über die Vielfalt von Medienmeinungen in Bezug auf linke oder rechte Positionen. Krüger dagegen fragt nach dem Involvment von Journalismuseliten mit Eliten aus Politik und Wirtschaft sowie der Konfluenz zwischen den beiden Elitenwelten.

Hinzu kommt, dass Lüter einen ganz anderen Zeitraum, nämlich zwei künstliche Jahre aus der Zeit von 1994 bis 1998 gewählt hat, als die relevanten Einflussgrößen und Rahmenbedingungen (bis hin zum redaktionellen Personal) noch ganz andere waren.

Bemerkenswert ist auch dies: Hätte sich Krüger über alle diese Bedenken hinweggesetzt und Lüters Studie gleichwohl in die Diskussion seiner Befunde einbezogen, so wäre das Ergebnis entgegen der Behauptung Neubergers wohl zugunsten Krügers ausgefallen. Der Zusammenhang ist folgender: Lüter fand heraus, dass im Fall der Verteidigungs- und Außenpolitik sich alle Zeitungen „linken Positionen“ annähern (Lüter 2008, S. 151). Und Neuberger führt an, dass bei Lüter die Süddeutsche Zeitung „in der Außenpolitik alleine und in Verteidigungsfragen gleichauf mit der FR die am weitesten links stehende Position“ einnehme. Freilich hängen solche Ergebnisse – wem sage ich das! – von der Definition der Kategorien und Merkmale ab. Tatsächlich hat Lüter für seine Konfliktkategorie „Internationales Bündnis“ als linke Position das Merkmal „Partnerschaft“ und als rechte Position „Abgrenzung“ definiert; für die Konfliktkategorie „Supranationalisierung“ wählte er als linke Position „Supranationalität“ und als rechte Position „Souveränität“ (Lüter 2008, S. 136), ein Politikverständnis, dass wohl der Ära der Nationalstaaten entstammt, als man die sozialistische bzw. kommunistische Internationale für links hielt und vom Supranationalismus der Europäischen Union und des atlantischen Bündnisses noch nichts wusste. Mit anderen Worten: Die Etikette “links” bedeutet hier bei der Süddeutschen Zeitung, dass sich deren Leitartikler für internationale “Partnerschaft” und “Supranationalität” stark gemacht haben, eine Kategorie, die auch die Stärkung der Nato und die Erweiterung des europäischen Binnenmarktes zugunsten der deutschen Exportwirtschaft einschließt. Das heißt: Im Rahmen jener recht unscharfen Merkmalsbeschreibungen verweisen Lüters Befunde just auf die von Krüger ermittelten Tendenzen.

Ähnliche Fehldeutungen liefert Neuberger auch mit seiner Behauptung, Krüger verwende einen (Bussemers Studie entlehnten) Propagandabegriff „eher in der engeren Bedeutung als Instrument der psychologischen Kriegführung“, welchen Bussemer „mit totalitären Strukturen“ verknüpft sehe. Soll heißen, dass in der deutschen Demokratie die Kommentaraussagen eines SZ-Journalisten niemals propagandistisch sein könnten. Ich will das hier nicht breit erörtern und die Leser mit weiteren Richtigstellungen langweilen (Krüger nutzt den engen Begriff Kriegspropaganda nur einmal in einer Fußnote im Zusammenhang mit dem kriegerischen Afghanistaneinsatz der Bundeswehr). Ich möchte dem Kritiker vielmehr anempfehlen, Publikationen, die er für sich ins Feld führt, etwas genauer zu lesen. Bussemer zum Beispiel erweitert seinen Begriff und nennt explizit auch „politische Propaganda in Demokratien“ (auf den Seiten 25, 27 und 37); daran knüpft Krüger im Rahmen seiner Ergebnisinterpretation mit dem Topos „soziologische Propaganda“ nach Ellul auch an (vgl. S. 216).

 Berufsethische Erwägungen

Vielleicht denken Sie, liebe Leser, meine Stellungnahme sei etwas harsch ausgefallen, derweil doch die EJO-Duplik Neubergers so nüchtern daherkomme. Unter berufsethischem Blickwinkel erscheint mir seine formale Sachlichkeit indessen als eine Camouflage. Und dies in zweierlei Hinsicht.

Erstens: Wissenschaft sollte sich in den Dienst (auf)klärender Erkenntnis stellen. Aus meiner Sicht verfolgt die von Neuberger gegen Krügers Studie publizierte Kritik nicht Aufklärung, sondern das Ziel, den Diskurs über das politische „Embedded“ sogenannter Alpha-Journalisten abzubiegen: Indem Krügers Studie schlechtgemacht wird, werden die Alpha-Journalisten – stellvertretend Stefan Kornelius – vom Verdacht der Eliten-Kohäsion quasi reingewaschen.

Dieser Eindruck stützt sich unter anderem auf Neubergers wiederholt vorgebrachtes Totschlagargument, Krügers Studie würde ihr Vorgehen nicht richtig dokumentieren (soll heißen: sie sei unseriös). Ich möchte den Eindruck dieser Perfidie mit einer kleinen Geschichte illustrieren.

Derzeit untersuche ich, wie sich junge Erwachsene (sog. „Generation Y“) über das aktuelle Geschehen informieren. Um den Forschungstand zu erfassen, habe ich unter anderem auch eine in der Fachzeitschrift „Media Perspektiven“ (Heft 1/2012) publizierte Studie des Kollegen Christoph Neuberger herangezogen. Es handelt sich um eine Fragebogenerhebung über das Thema „Journalismus im Internet aus Nutzersicht“. Wenn das Publikum über seine Erwartungen an den Journalismus sowie über seine tatsächliche Nutzung von Webangeboten Auskunft geben soll, dann hängt viel von der Formulierung der Fragebogenfragen ab. Sie zeigen zudem, ob die Ergebnisse nachvollzogen und für weitere Forschungen genutzt werden können. Also muss der lesende Kollege erfahren, wie die Stichprobe realisiert, wie die Fragebogenfragen formuliert sind und wie die Antwortkategorien (items) validiert und zu Batterien montiert wurden.

Leider lässt Neuberger in seiner Publikation relevante Methodenfragen unbeantwortet. Beispielsweise schreibt er: „In einer Onlinebefragung wurden (…) 1.000 Personen um Auskunft gebeten.“ In den folgenden Tabellen wird das „n“ mit 1.000 angegeben, so, als hätten alle um Auskunft Gebetenen den Fragebogen beantwortet. Das aber trifft mit Sicherheit nicht zu. Auch wird die Formulierung der Fragen verschwiegen; die Tabellen nennen nur das Thema, Beispiel: „Klarheit der Vorstellungen darüber, was der Journalismus ist und was er leisten sollte.“ Oder: „Zuordnung von Internetangeboten und -formaten zum Journalismus“: Wenn laut Ergebnistabelle 20 Prozent sagen „trifft voll und ganz/trifft eher zu“, dann will man wissen, wie die Frage lautete – ein Standard im Übrigen, den seriöse Marktforschungsinstitute einhalten.

Ich könnte weitere Unklarheiten in dieser Publikation Neubergers (wie auch in weiteren) anführen. Aber besitzt sie deswegen „schwere wissenschaftliche Mängel?“ Kein Wissenschaftler und kein vernünftig denkender Mensch würde dies folgern. Er würde nur konstatieren, dass der veröffentlichte Bericht naheliegende Verfahrensfragen offen lässt. Ich bin mir sicher: Nachfragende Kolleginnen und Kollegen würden von Neuberger die fehlenden Angaben nachgeliefert erhalten. Und dies ist auch der aus meiner Sicht normale Umgang unter Wissenschaftlern.

Zurück zur Studie von Uwe Krüger: Sie enthält alles, was der Leser wissen muss, um Verfahren und Vorgehensweise zu verstehen. Wer Details wissen will, kann nachfragen. Wenn nun aber der im Fach einflussreiche Ordinarius Christoph Neuberger in einem populären Branchenmagazin mit 20.000 Auflage anhand der (oben diskutierten) Unterstellungen verkündet, Krüger habe „wichtige Prinzipien der empirischen Forschung (…) missachtet“ und würde seinem „Anspruch in keiner Weise gerecht“, dann wird damit ein klug forschender Nachwuchswissenschaftler gezielt diskreditiert. Und dies irritiert mich nicht nur als Gutachter, sondern und in erster Linie als Mitglied unserer scientific community: Wo führt das hin?

Zweitens: Wissenschaftliche Diskurse dürfen hart, aber sie sollten stets „mit offenem Visier“ geführt werden. Und hier steht Neubergers Rolle als Rezensent für mich in Frage. Im „Medium Magazin“ wurde „der Autor“ des Verrisses in einer detailreichen Vita als in der Sache hochkompetenter „Direktor des Instituts für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung“ der Universität München vorgestellt. Kurz darauf berichtete das DJU-Magazin (Verfasser: Günter Herkel), dass Neuberger mit dem SZ-Auslandschef Kornelius im Beirat der SZ-Studienstiftung sitze, beide also nebenberuflich eng vernetzt sind. Und Neubergers Verriss erschien in der Publikation, deren erster Chefredakteur Kornelius war; vom selben Magazin wurde Kornelius, nun als SZ-Auslandchef, 2009 zum „Journalist des Jahres“ erkoren. Herkel im DJU-Magazin: „Ein Schelm, wer Böses dabei denkt“ (in: M 8/14, S. 6). Daraufhin erst bestätigte Neuberger in einer „Nachbemerkung“ seiner EJO-Duplik diese Querverbindungen und fügte an, Kornelius habe ihn „auf die vorliegende Dissertation aufmerksam gemacht und mir seine Sicht geschildert“.

Mehr noch als im Journalismus gilt für die Wissenschaft die ethische Maxime der Transparenz: Wer involviert ist, sollte schweigen. Wenn er dennoch Partei ergreift, sollte er mit „offenem Visier“ fechten, d.h. vorab und aus freien Stücken auf seine Befangenheit verweisen. In seinem Verriss hob Neuberger gegen Krüger diese Keule, „dass er nicht in der Rolle des neutralen, unvoreingenommenen Wissenschaftlers“ handele, vielmehr „vor allem eines wolle: Meinung machen.“ (MM 11/14, 25). Ich habe ein anderes Verständnis von wissenschaftlicher Redlichkeit.

 

Nachbemerkung: Dieses Stühle-Zurechtrücken war wohl nötig, ist aber dem Problem nicht angemessen. Denn eigentlich müsste es uns um die heikle Frage nach dem Rollenselbstverständnis der Journalisten einerseits und den erkennbaren Dysfunktionen des Mediensystems andererseits gehen. Aus meiner Sicht sollte man Krügers Arbeit als einen sehr materialreichen Anstoß lesen, ernsthaft weiter zu forschen, ob und wie die Diskrepanz sich auswirkt, die zwischen den Funktionszuschreibungen einerseits und den real praktizierten Funktionen andererseits besteht. Die westlichen Gesellschaften befinden sich in einem Prozess fortschreitender Desintegration. Dieser wird begleitet vom Vertrauensschwund gegenüber dem etablierten Journalismus und seinen Mainstreammedien. Bedrohlich wirkende Spannungsfelder spreizen sich hier auf, die zu verstehen und aufzuklären Thema eines Diskurses wären, der diesen Namen auch verdient.

 

 

 

 

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2 Responses to Meinungsmacht-Debatte: Die Sicht des Gutachters

  1. Seb78 sagt:

    Alleine mit der Verbindung Kornelius hat sich Neuberger schlichtweg disqualifiziert und ist in dieser Debatte nicht mehr zu gebrauchen.
    Aber hier tritt wieder das Problem der Journalisten zu Tage. Als Bürger der sich für die Sache interessiert muss ich erst über Umwege zu dieser Seite (die ist im Übrigen Spitze) um zu erfahren, dass Neuberger hier sämtliche Grundlagen der Compliance und Transparenz missachtet. Das steht nicht in den Leitmedien, nein dort steht nur Neubergers Aussage. Das ist Meinungsmanipulation. Nicht mehr nicht weniger.

    Und genau mit dieser Nichtaufklärung macht sich die Presse überflüssig, zumindest die Leitmedien.

  2. Erik Jahn sagt:

    Vielen Dank Herr Haller,

    sehr erhellend!

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