Digitale Disruption, permanente Revolution

13. Februar 2015 • Digitales • von

Für einen „neuen Mindset“ sowohl in den Redaktionen als auch in der Medienforschung plädierten Jane Singer, die an der City University in London lehrt, und Wolfgang Blau, der beim Guardian den Online-Journalismus verantwortet, letzte Woche an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Winterthur. „Diverge and conquer!“ gab Singer als Losung aus – Medienmacher und Journalismusforscher sollen siegen, indem sie sich von anderen unterscheiden und so die Folgen der digitalen Revolution bewältigen.

Um den Journalismus neu zu erfinden („Re-Inventing Journalism“ war das anspruchsvolle Tagungsthema), waren viel Prominenz aus Medienforschung und -praxis, aber auch zahlreiche Nachwuchsforscher aus vielen Ecken der Welt angereist. Singer spürte erst einmal den Gründen nach, weshalb sich Journalisten und Medienmanager im Umgang mit dem digitalen Umbruch so schwer tun, und rief typische Abwehr-Reaktionen in Erinnerung, die in vielen Redaktionen anfänglich den Umgang mit der Digitalisierung erschwert hätten.

Als positive Entwicklungen nannte Singer Schritte in Richtung Community-Building, wie sie der Guardian mit seinen Memberships unternimmt (als Beispiele im deutschen Raum liessen sich die taz, aber auch die jüngst gestartete österreichische Online-Variante der Neuen Zürcher Zeitung, nzz.at hinzufügen), Event hosting, in dessen Rahmen etwa die Texas Tribune 60 bis 70 einträgliche Veranstaltungen – vom Podiumsgespräch über Empfänge und Symposien bis hin zum jährlichen „Texas Tribune Festival“ organisiert, aber auch neue Formen des Crowdfunding, mit dem sich inzwischen im angelsächsischen Raum offenbar auch etablierte Redaktionen gezielt um die Ko-Finanzierung einzelner Recherchen oder Ressorts beim Publikum bemühen.

Nach einem Tag mit sehr spannenden Beiträgen aus der Medienforschung knüpfte Wolfgang Blau in einer zweiten Keynote nahtlos an Singer an: Er lud die Medienforscher ein, sich intensiver mit den Folgen der Digitalisierung und der mobilen Kommunikation für die Verlagshäuser zu beschäftigen und ihnen dabei zu helfen, mit „mehr Elastizität“ auf die Veränderungen zu reagieren. Diese und die Journalisten sollten Internet-Giganten wie Apple, Google und Facebook weder als „Freunde“ noch als „Feinde“ betrachten, sondern als Gegebenheiten, mit denen man sich kreativ auseinanderzusetzen habe. Die Forscher forderte er auf, jenseits der üblichen, kommerziellen Metriken, die letztlich nur Clicks, Shares und Session time messen würden, Messmethoden zu entwickeln, die den Wert von Qualitätsjournalismus realistischer erfassten und zum Beispiel Spillover-Effekte nachspürten, die dieser erzeugt, wenn er zum Nachdenken anregt, irritiert oder neue Kommunikation in der Gesellschaft anstösst. In Anlehnung an den Web 2 0-Guru Clay Shirky prognostizierte Blau zu guter Letzt eine „permanente Revolution“ – einfach, weil die Kosten des Experimentierens im Netz so gering seien, dass mit neuen Durchbrüchen a la Facebook, Twitter oder Instagram jederzeit wieder zu rechnen sei.

Highlights wie die Veranstaltung in Winterthur sind im überbordenden Veranstaltungsreigen zur Medienzukunft rar, obschon dieser längst auch zum einträglichen Kongressgeschäft mutiert ist. Mit vergleichbaren Events, auch mit dem Journalismus-Tag, der jeweils im Herbst stattfindet, ist die ZHAW inzwischen in der Schweiz zu einer Drehscheibe für den internationalen Erkenntnis-Austausch in der Medien- und Journalismusforschung geworden. Sie ist zugleich ein Platz, der für Dialog zwischen Medienpraktikern und -forschern steht.

Auch kreative Formen des Wissenschaftstransfers in die Medienpraxis hinein wurden letzte Woche in Winterthur ausgetestet. Zwei Kostproben: In „High Density Workshops“ stellten die beteiligten Forscher in einer Art „Pitch“ ihre Forschungsergebnisse in fünf Minuten vor, um sie einem kleineren Kreis von Interessenten dann im Anschluss in einer Poster-Session genauer zu erläutern. In einem Workshop zur Zukunft der Journalisten-Ausbildung inspirierte Marlis Prinzing (Macromedia Hochschule, Köln) die Teilnehmer nach der „World Cafe“-Methode zum Mitmachen. Statt langer Vorträge gab es angeleitete Kleingruppen-Diskussionen in wechselnder Besetzung, die fast schon an ein Speed-Dating erinnerten. Zwar wurden in Winterthur weder Journalismus noch Medienforschung oder Journalistenausbildung neu erfunden. Die Tagungsgestaltung enthielt indes implizit auch eine klare Botschaft: Nicht nur der Journalismus, auch die Medienforschung muss „interaktiv“ werden, wenn es gelingen soll, im Grenzbereich zwischen Forschung und Praxis Kommunikation zu stiften – also dort, wo bisher sonst meist Skepsis und wechselseitig gepflegte Vorurteile den Austausch blockieren.

Erstveröffentlichung: Werbewoche Nr. 3 vom 13. Februar 2015

 

Bildquelle: Raphael Rohner

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