In „sportlichem Tempo” zur Paywall

23. Januar 2012 • Medienökonomie, Redaktionsmanagement • von

Eine konvergente Redaktion für alle Kanäle, eine Online-Paywall, ein Leiter Geschäftsbereich NZZ – die NZZ-Redaktion muss sich schnell auf viele Veränderungen einstellen. Sie könnte aber mit dem neuen Onlinemodell zu einer Vorreiterin werden.

“Zusammenrottungen”, so hört man aus der NZZ-Redaktion, habe es Ende November gegeben, nachdem die Redaktion die interne Mitteilung des NZZ-Verwaltungsrates zur „Konvergenzstrategie” erhalten hatte: Auf den Gängen standen NZZ-Journalistinnen und -Journalisten zusammen und fragten sich, was damit konkret auf sie zukommen würde.

Fest stand lediglich, dass bei der NZZ laut Verwaltungsratsbeschluss „künftig konsequent auf eine konvergente Inhalteproduktion” gesetzt wird. Das bedeutet unter anderem, dass es nur noch eine Redaktion geben wird, die alle Kanäle – Print, Online und Mobile – versorgt. Sie soll, so Chefredaktor Spillmann gegenüber der Redaktion, künftig „medienkonvergente Informationsdienstleistungen” erbringen.

Diese Veränderung soll im ersten Quartal 2012 geschehen, dann soll auch nzz.ch neu und mit Bezahlschranke online sein. Peter Hogenkamp, Leiter Digitale Medien NZZ, meint, das komme ja nicht überraschend: „Seit ich im Amt bin, steht fest, dass wir eine Konvergenzstrategie fahren und eine Paywall einführen werden.” Der Verwaltungsrat habe diese Strategie im Mai beschlossen, jetzt sei lediglich noch einmal der Zeitplan bestätigt worden: „Der ist allerdings in der Tat immer noch sportlich; andere brauchen zwei Jahre für solche Projekte.”

Rund um die Uhr

In sportlichem Tempo wird nun etwa die Onlineredaktion der NZZ ausgebaut; acht Neue sollen dazukommen. Auch steht der Kraftakt bevor, die Schranken zwischen Online- und Printredaktion aufzuheben. Soweit die Redaktion weiss, ist zwar kein grosser Newsroom wie beim Blick geplant, doch faktisch soll eine einzige Redaktion fast rund um die Uhr alle Kanäle bedienen. Bloß ist vieles noch unklar: „In der NZZ ist die Verteilung der Dossiers auf einzelne Redaktoren sehr ausgeprägt. Wie soll einer, der ein Dossier betreut, das rund um die Uhr tun?”, fragen sich etwa Redaktoren.

Und vor allem: „Wer bestimmt, was online aufgeschaltet wird?” Denn im Netz wird ein Teil des NZZ-Angebots gratis zur Verfügung stehen, daran ändert auch die Einführung einer Bezahlschranke nichts. Laut Peter Hogenkamp
wird die Schranke eine sogenannte „Metered Paywall” sein; sie begrenzt, wie viel ein Nutzer gratis abrufen kann: „Will er innerhalb eines festgelegten Zeitraums, etwa eines Monats, mehr als die festgelegte Anzahl Artikel  abrufen, muss er sich zunächst registrieren. Zum Beispiel nach zehn oder 15 Artikeln, die Zahlen sind noch nicht festgelegt. Der zweite Schritt folgt, wenn er zum Beispiel insgesamt auf 20 Artikel kommt. Dann muss er ein Abonnement für einen bestimmten Zeitraum lösen. Wer bereits ein Print- oder E-Paper-Abonnement hat, ist davon ausgenommen.”

Vorbild dafür ist die New York Times, in der Schweiz kennt auch Le Temps diese Art von Paywall. Es ist der Versuch, einerseits so viel gratis anzubieten, dass möglichst viele Nutzerinnen und Nutzer die Site besuchen – denn es braucht Traffic für die Onlinewerbung. Andererseits sollen auch aus dem Nutzermarkt, also von den Leserinnen und Lesern, Einnahmen generiert werden, indem ein Teil des Angebots kostenpflichtig wird. Ein Spagat – doch die NZZ ist bei Weitem nicht das einzige Schweizer Medienhaus, das ihn versuchen will. Zum Beispiel sagte Christoph Bauer, CEO der AZ Medien, im Interview (EDITO+KLARTEXT 5/2011), sein Unternehmen denke über mögliche Bezahlmodelle im Bereich Region nach, in dem die Aargauer Zeitung eine „Marktposition mit einer gewissen Exklusivität” habe. Auch andere Medienhäuser werden das Paywall-Konzept der NZZ mit größter Aufmerksamkeit verfolgen.

Paywall macht Sinn

Dabei sollten sie der NZZ die Daumen drücken, findet Gabriele Siegert, Professorin für Medienökonomie und Medienmanagement an der Universität Zürich. „Um die Paywall kommen die Verlage auf lange Sicht nicht herum”, sagt sie, denn die Preise für Online werbung seien niedrig. Und so viel Werbung, dass man online ähnliche Erlöse erziele wie mit den Offline-Medien, könne man gar nicht auf eine Seite packen. Sonst vertreibe man die Nutzer. Man müsse also eine Art von Erlösmodell etablieren. Gleichzeitig sei es schwierig, das Paywall-Konzept durchzuhalten: „Denn für den Nutzer ist die vermeintlich gleiche Information oft nur einen Klick weiter gratis. Dennoch muss die NZZ ein Bezahlmodell einführen. Und wenn es bei der NZZ mit ihrem Qualitätscontent nicht klappt, wo sollte es denn sonst klappen?” Siegert sieht das Bezahlmodell als Teil des Gesamtkonzepts „Online-Erlösmodell”, das kompliziert sein wird: „Die Einkünfte aus dem Paywall-Konzept werden künftig ein Teil der Einnahmen von Medienhäusern sein müssen, ebenso wie die Einnahmen aus App- und E-Paper-Abos und aus der Werbung. So einfach wie das Offline-Erlösmodell – Erlöse aus dem Leser- und dem Werbemarkt – wird das Online-Erlösmodell nie sein können.”

Das NZZ-Paywall-Konzept bewertet Siegert positiv, die Etappierung der Bezahlung erscheint ihr „sinnvoll”: „Bisher waren die Onlineinhalte gratis, deshalb kann man die Nutzer nicht plötzlich auf ‚Entzug setzen’, sondern muss quasi ‚herunterdosieren’.” Auch die Bezahlstrategie mache Sinn: „Wenn man nicht bei jedem Bezug bezahlen, sondern nach einer bestimmten Schwelle ein Abo lösen muss, ist das sicher von Vorteil. Denn wenn man das Abo mal gelöst hat, tut es nicht mehr weh.” Wie viele Nutzerinnen und Nutzer des NZZ-Online-Angebots sich den „Schmerz” des Abolösens antun, wie viele nzz.ch überhaupt treu bleiben, wird sich 2012 zeigen. Die Befürchtung, dass die Nutzerzahlen bei der Einführung einer teilweisen Kostenpflicht sinken, hat bisher die meisten Verleger davor zurückschrecken lassen. „Es wird sicherlich den Fall geben, dass einzelne User das NZZ-Angebot wegen der Paywall weniger oder gar nicht mehr nutzen, aber das ist nur ein möglicher  Fall, der eintreten kann”, sagt Peter Hogenkamp. „Auf der anderen Seite werden wir viel mehr Content auf NZZ Online haben, weil ja nach und nach die gesamte heutige Printredaktion konvergent arbeiten wird. Daher wird das Angebot viel größer. Ich hoffe nicht, dass die Reichweite temporär zurückgeht, aber selbst wenn – ich gehe davon aus, dass sie mittelfristig steigt.”

Geht die Reichweite zurück, wirkt sich das auf den Werbemarkt aus. Dass nzz.ch nun in diesem Tempo und so grundlegend umgebaut werden soll, macht die Arbeit der NZZ-Werbemarktverantwortlichen nicht einfacher: Eigentlich sollten die Kunden jetzt für das Jahr 2012 buchen, gleichzeitig wissen sie nicht, was für ein Umfeld sie  dann erwartet. Das von der NZZ angeschlagene Tempo erstaunt auch intern. „Der Verwaltungsrat gibt Gas, die wollen das durchpowern”, wird auf der Redaktion gemutmaßt – und dass der Druck auf  Markus Spillmann entsprechend groß sei. Er ist, so hat der Verwaltungsrat entschieden, für das Konvergenzprojekt verantwortlich. Gleichzeitig ist er nun nur noch Leiter Publizistik und NZZ-Chefredaktor. Denn der NZZ-Verwaltungsrat hat entschieden, dass neu ein Leiter Geschäftsbereich NZZ eingesetzt werden soll. „Nochmals ein neuer Chef mit ein paar Sekretärinnen für den NZZ-Wasserkopf”, wird in der Redaktion gespottet.

Auch in Luzern und St. Gallen

Zusammen mit tagblatt.ch und luzernerzeitung.ch bildet nzz.ch im Onlinewerbemarkt das NZZ-Netz. „Wir sind damit kommerziell sehr zufrieden, liegen bei den Einnahmen über Budget, also gibt es keinen Grund, etwas an diesem Modell zu verändern”, sagt Peter Hogenkamp, Leiter Digitale Medien NZZ. Doch luzernerzeitung.ch und tagblatt.ch übernehmen aktuell Mantelinhalte von nzz.ch. „Es stellt sich, wenn wir bei der NZZ Online die Paywall einführen, die Frage, was dann in St. Gallen und Luzern geschieht”, sagt Hogenkamp. „Wir überlegen uns noch, wie wir hier vorgehen – möglich wäre, dass wir nur die agenturbasierten Artikel der NZZ weitergeben oder mit einem Agenturticker arbeiten.” Mittelfristig wolle man das Content-Management-System inklusive Paywall, das man für die NZZ entwickle, aber auch auf den regionalen Sites einsetzen: „Zürich ist quasi der Pilot, Luzern und
St. Gallen werden folgen.”

Erstveröffentlichung: EDITO +KLARTEXT Medienmagazin Nr. 6 /2011

www.edito-online.ch

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