Schenkt man griechischen, spanischen oder italienischen Medien Glauben, so befindet sich Europa im Kriegszustand: Wir sind auf dem Weg ins „Vierte Reich“, Europa wird germanisiert, die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel wird mit ihrem „Spardiktat“ in die Nähe der Nazis gerückt.
Das deutsche Medienfachblatt Message hat solche Statements jüngst zusammengetragen, aber auch andere Medien in Deutschland haben mehr oder minder entsetzt und perplex über derlei Entgleisungen berichtet.
Ohnehin ist es den deutschen Steuerzahlern nicht so ohne weiteres vermittelbar, weshalb sie für die Schuldenexzesse ihrer südeuropäischen Nachbarn geradestehen sollen – und selbst wenn die Garantien und Finanzhilfen letztlich auch deutschen Banken zugutekommen sollten, sticht dieses Argument beim Staatsvolk nur noch bedingt: Warum sollten Banken, die ihren Managern weiterhin astronomische Boni bezahlen, neuerlich vom Steuerzahler gerettet werden müssen? Außerdem reibt sich so mancher Beobachter im Norden der Schweiz verwundert die Augen: Wie lässt sich „Mutti Merkel“ zur Sparkommissarin stilisieren, wo sie doch im eigenen Land eher alle Rekorde beim Schuldenmachen bricht?
Umgekehrt zeigt Message aber auch auf, dass deutsche Medien im Umgang mit den strauchelnden südlichen Nachbarn alles andere als zimperlich waren: So habe das Boulevard-Blatt Bild die Griechen pauschal als „liederlich, verschwenderisch und einer Unterstützung durch deutsches Steuergeld geradezu unwürdig“ beschrieben. „Pleite-Griechen immer dreister“, titelte das Blatt, und: „So verbrennen die Griechen die schönen Euros“ im Februar 2010. Ein halbes Jahr später forderte Bild: „Verkauft doch Eure Inseln, Ihr Pleite-Griechen…und die Akropolis gleich mit.“
Als wären die lösungsbedürftigen und vielleicht ja auch unlösbaren Probleme der europäischen Währungsunion nicht schlimm genug, zündeln allerorten Zeitungen und TV-Sender, bedienen nationalistisch Vorurteile und gießen Öl ins Feuer. Der Schweizer Publizist und heutige SRG-Generaldirektor Roger de Weck warnte schon vor Jahren, die wahre populistische Gefahr drohe nicht von rechtspopulistischen Politikern, sondern von den Medien.
Gemessen an den schweren Geschützen, die in Deutschland und in Europas Süden aufgefahren wurden, nimmt sich die Diskussion, welche SVP-Nationalrätin Natalie Rickli um die Präsenz der Deutschen in der Schweiz entfacht hat, vergleichsweise harmlos aus. Rickli hatte auf Tele-Züri gesagt: „Die Leute regen sich heute auf, weil zu viele Deutsche im Land sind“ – und damit ebenfalls einen Sturm der Entrüstung in den Medien ausgelöst.
Kurt W. Zimmermann, der freche, aber auch in seinen Analysen oftmals treffsichere Medien-Kolumnist der Weltwoche, glaubt allerdings zu wissen, weshalb die beiden Populismus-Hauptverdächtigen unter den Schweizer Medien, Blick und Sonntagsblick, auf diese Kampagne nicht eingestiegen sind: Beide Blätter haben mit Ralph Grosse-Bley und Karsten Witzmann deutsche Chefredaktoren.
Vielleicht wäre dieses Schweizer Modell auch für Europas Zukunft des Rätsels Lösung: Die EU schickt statt weiteren Sparkommissaren ein paar deutsche Redaktionschefs nach Griechenland, Italien und Spanien. Und im Austausch übernehmen dann umgekehrt ein paar Hellenen, Sizilianer oder Portugiesen in Berlin oder München die Regie für Bild, B.Z., Abendzeitung und RTL-Nachrichten.
Erstveröffentlichung: TES Magazine Nr. 2/2012
Schlagwörter:Angela Merkel, Bild, Euro-Krise, Europa, Griechenland, Italien, Kurt W. Zimmermann, Message, Natalie Rickli, Spanien