Journalismus in 140 Zeichen

19. Juli 2012 • Digitales • von

Die wenigsten Redaktionen schöpfen das technische Potential von Twitter aus.

Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie des Instituts für Publizistikwissenschaft und Medienforschung (IPMZ) der Universität Zürich, die untersucht, wie sich der Microbloggingdienst in Redaktionen in Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien und den USA verbreitet.

Technische Innovationen im Journalismus werden schnell zu globalen Trends, die sich in kürzester Zeit weltweit verbreiten. Zu diesen Trends zählt auch der Microbloggingdienst Twitter, der sich binnen weniger Jahre zu einem wichtigen Nachrichtenkanal entwickelt hat. Er wurde 2006 in den USA gegründet und mit seiner Hilfe werden mittlerweile pro Monat über 140 Millionen Tweets versendet (Stand: Februar 2011). Wissenschaftliche Studien zeigen, dass bereits 2010 so gut wie alle wichtigen Zeitungen und TV-Sender in den USA einen offiziellen Twitter-Account besaßen (Messner et al., 2011).

Auch in Deutschland und in der Schweiz nutzen mittlerweile viele Medien den Dienst; er ist zum festen Bestandteil im journalistischen Alltag geworden und verändert Arbeitsroutinen und Normen. Sind dies Zeichen von Amerikanisierung und Konvergenz im Journalismus? Oder gibt es noch immer nationale Unterschiede und bestimmen die länderspezifischen Einflussfaktoren auch den Umgang mit technischen Innovationen?

Um diese Fragen zu beantworten, wurden in einer empirischen Studie die Twitter-Accounts von 39 Nachrichtenmedien aus Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien und den USA untersucht und die Resultate verglichen. Dabei handelte es sich um die Accounts von Zeitungen, Fernsehsendern, reinen Onlinemedien und Nachrichtenagenturen. Wissenschaftler gehen davon aus, dass sich Innovationen zunächst in einzelnen Systemen verbreiten und dann nach und nach in ähnliche Systeme diffundieren. Für den Journalismus hieße dies, Mediensysteme, die sich aufgrund ihrer historischen, politischen und ökonomischen Bedingungen ähneln, verhalten sich auch ähnlich in Bezug auf die Adaption von Innovationen.

Mediterrane Staaten mit starker Meinungspresse und Fernsehorientierung, wie Frankreich oder Italien, unterscheiden sich also diesbezüglich von liberalen Systemen, wie dem der USA oder Großbritannien sowie von demokratisch-korporatistischen Staaten, wie Deutschland oder die Schweiz. Natürlich spielt bei der Verbreitung von Twitter auch eine Rolle, wie viele Menschen im jeweiligen Land einen Internetzugang besitzen und die Technologie nutzen, da sich Redaktionen auch an der Nachfrage ihrer Nutzer orientieren. Verwenden viele von ihnen Twitter, ist es naheliegend, dass die Redaktionen sie auch über diesen Kanal zu erreichen versuchen.

Vergleicht man die Medien dieser Länder miteinander, zeigen sich große Unterschiede bei der Twitter-Nutzung: Britische Redaktionen twittern am häufigsten, gefolgt von Frankreich und den USA. Insgesamt versendeten die untersuchten Leitmedien der politischen Berichterstattung fast doppelt so viele Tweets wie die Boulevardmedien. Obwohl Twitter insgesamt intensiv genutzt wird, schöpfen die Journalisten das technische und verbindende Potential des Dienstes kaum aus. Nur etwa ein Fünftel der untersuchten Mitteilungen enthielten sogenannte Hashtags, mit deren Hilfe man Meldungen thematisch verknüpfen und somit die Anschlusskommunikation fördern kann. Rund 80 Prozent der Tweets enthielten dagegen Links zur eigenen Website und sind damit eher selbstbezüglich als verbindend.

Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass Twitter für Journalisten hauptsächlich ein weiterer Kanal zur Verbreitung ihrer Beiträge ist und in den Meldungen meist nur die Artikel auf der Homepage angeteasert werden. An zweiter Stelle steht das Kommentieren von Ereignissen und der Berichterstattung. Qualitätsmedien sind im Vergleich zu Boulevardmedien hier besonders engagiert. Dies lässt sich vor allem mit den Nutzern erklären: Twitter wird intensiv von Meinungsführern, etwa von Politkern oder anderen Journalisten genutzt und hat deshalb für Medien mit dieser Zielgruppe besondere Relevanz. Dies erklärt auch, warum französische Medien Twitter vergleichsweise rege nutzen, obwohl sie weitaus weniger Twitter-Nutzer, sogenannte Follower, haben, als ihre internationalen Pendants.

Französische Qualitätsmedien orientieren sich sehr stark an der politischen Elite des Landes und es besteht häufig enger persönlicher Kontakt zwischen Journalisten und Politikern. Daher ist Twitter als Kanal bestens geeignet, weil Journalisten dort mit dieser Zielgruppe direkt in Kontakt treten und deren Reaktionen zeitnah verfolgen können. Es kann angenommen werden, dass im Laufe der Zeit die Twitternutzung auch in deutschen und Schweizer Redaktionen zunehmen wird. Die Ergebnisse zeigen aber, dass nationale Unterschiede auch in der digitalen Ära noch immer ausschlaggebend für die Innovationsfreudigkeit im Journalismus sind.

Literatur:

Messner, M., Linke, M. & Esford, A. (2011): Shovelling tweets: An analysis of the microblogging engagement of traditional news organizations. 11th International
Symposium on Online Journalism, Austin, TX. Retrieved from the University of Texas, http://online.journalism.utexas.edu/2011/papers/Messner2011.pdf

 

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2 Responses to Journalismus in 140 Zeichen

  1. Bernhard Sonntag sagt:

    Liebe Autoren,
    gibt es evt. einen Link zu der Studie? Das wäre hilfreich!

    Danke,
    LG

  2. Edda Humprecht sagt:

    Hallo Herr Sonntag,
    die Studie ist bis lang lediglich als Konferenzpapier erschienen und sobald sie ordentlich publiziert ist, werden wir an dieser Stelle einen Link bereitstellen. Sollten Sie konkrete Fragen zur Studie haben, können Sie sich gerne direkt an uns wenden.
    Beste Grüße

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