Wie verlässlich sind Pressefreiheits-Rankings?

25. Februar 2013 • Pressefreiheit • von

In einem vorangegangenen Posting haben wir über den Pressefreiheits-Index von Reporter ohne Grenzen (ROG) berichtet, der auch dieses Jahr wieder beträchtliche mediale Aufmerksamkeit erzielt. Es irritiert indes, dass die meisten Journalisten solche Ranglisten ungeprüft weiterverbreiten. Für die essentielle Frage, wie sie zustande kommen, interessieren sich offenbar eher Wissenschaftler, und auch die nur sporadisch. Monroe E. Price, Susan Abbott und Libby Morgan (University of Pennsylvania) haben jüngst in einem Reader dieser Frage nachgespürt und den Versuch unternommen, „die Evaluierer zu evaluieren“.

Von insgesamt 16 Beiträgen befassen sich vier explizit mit den Pressefreiheits-Rankings. Die Einschätzungen der Forscher fallen erstaunlich positiv aus. Lee Becker und Tudor Vlad (beide University of Georgia) korrelieren die Ranglisten von RoG, Freedom House und einem weiteren Index (IREX) untereinander und attestieren ihnen „eine hohe Verlässlichkeit“. Die Wissenschaftler machen aber immerhin darauf aufmerksam, dass die Indizes auf einem sehr westlichen, um nicht zu sagen amerikanischen Verständnis von Pressefreiheit basieren. Die Messungen „fokussieren überwiegend auf Pressefreiheit als Unabhängigkeit von Regierungs-Kontrolle. Sie reflektieren weniger die Einflussnahme von kommerziellen und Konzern-Interessen.“

Kritischer fallen die Analysen der europäischen Forscherkollegen aus. Patrick McCurdy (Erasmus-Universität, Rotterdam), Gerry Power (InterMediaUK) und Anna Godfrey (BBC World Service Trust) machen auf Unstimmigkeiten in den Fragebögen aufmerksam. Christina Holtz-Bacha (Universität Erlangen-Nürnberg) betont, solange Pressefreiheit nicht klar definiert sei, seien auch Rankings fragwürdig. Am Beispiel Finnlands, das sich seit Jahren auf den vordersten Index-Plätzen tummelt, wirft sie die Frage auf, ob die staatlichen Subventionen, die dort Zeitungen erhielten, nicht Zweifel an der Unabhängigkeit der Medien rechtfertigten.

Bleibt zu hoffen, dass die beteiligten Forscher nicht selbst betriebsblind sind. Mit keinem noch so ausgefeilten Fragebogen dürfte sich empirisch zweifelsfrei erheben lassen, ob in Finnland tatsächlich mehr Pressefreiheit „gelebt“ wird als in Österreich oder der Schweiz. Mit noch viel weniger Aussicht auf Wahrhaftigkeit lassen sich solche Rangunterschiede im letzten Drittel des Index feststellen. Aussagekraft hat indes gewiss, ob sich ein Land im ersten oder im letzten Drittel oder im Mittelfeld befindet. Ehrlicher wäre es somit, jedes Land einem Cluster zuzuordnen. So würde keine exakte Messung vorgegaukelt

Nur: Ob sich dann Journalisten noch für das Thema interessieren, wenn sie nicht mehr vermelden können, dass die Schweiz und Österreich um ein paar Plätze „abgerutscht“ sind? Dass beide Länder zusammen mit Skandinavien, Neuseeland und Deutschland weiterhin zur Spitzengruppe gehören, hätte dummerweise keinerlei Nachrichtenwert.

Monroe E. Price/Susan Abbott/Libby Morgan (Hrsg.) (2011): Measures of Press Freedom and Media Contributions to Development. Evaluating the Evaluators, New York u. a.: Peter Lang

Erstveröffentlichung: Schweizer Journalist Nr. 2 +3/2013 (gekürzt)

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