Die Finanzkrise im Spiegel der Medien

14. März 2013 • Ressorts • von

Wie haben die Leitmedien in Deutschland über die Banken- und Finanzkrise berichtet? Eine Forschergruppe um Oliver Quiring und Hans Mathias Kepplinger (Universität Mainz) hat die Berichterstattung in Zeitungen und Fernsehen während der Finanzkrise 2008/2009 genauer unter die Lupe genommen.

Besondere Aufmerksamkeit widmeten die Forscher der Frage, wie die Medien über „angedachte oder verwirklichte staatliche Interventionen sowie über die Debatten, die über solche Maßnahmen geführt wurden“ berichteten, da „sowohl die Legitimität staatlicher Eingriffe in das unternehmerische Handeln umstritten“ sei als auch „den Medien bei solchen Fragen großes Wirkungspotenzial zugesprochen“ werde.

Dazu analysierten die Wissenschaftler nach dem Zusammenbruch von Lehmann Brothers über dreizehn Monate hinweg fünf Fernsehnachrichtensendungen (ARD-Tagesschau, -Tagesthemen, ZDF-Heute, -Heute Journal und RTL-Aktuell) sowie jede zweite Ausgabe der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, der Süddeutschen Zeitung und der Bild-Zeitung und alle Ausgaben der Nachrichtenmagazine Focus und Spiegel. Erfasst wurden 4630 Beiträge – alle, die Eingriffe des Staats in wirtschaftliche Prozesse ansprachen.

Die Medien hätten überdurchschnittlich viel über solch staatliche Eingriffe und Regulierungsabsichten berichtet, resümieren die Forscher. Dabei hätten sie aber der Bevölkerung kaum Orientierung in der Frage geboten, welche staatlichen Eingriffe sinnvoll seien: „Alle untersuchten Zeitungen, Magazine und Nachrichtensendungen pendelten zwischen Befürwortung und Ablehnung staatlicher Eingriffe, ohne dass diese tiefgehend rational und diskursiv gegeneinander abgewogen wurden.“

Überraschend war für die Forscher, dass in den Nachrichten zwar von staatlichen Eingriffen berichtet und ihr Nutzen diskutiert worden sei, die Medien jedoch die Einmischung des Staates generell nicht mehr in Frage gestellt hätten. Auch die redaktionellen Linien der untersuchten Medien hätten ihre Gesamtberichterstattung nicht beeinflusst. Oliver Quiring vermutet vor diesem Hintergrund auch „einen Orientierungsbedarf“ bei den Journalisten.

Besonders spannend ist ein Beitrag von Stefan Geiss, der sich mit den Deutungsmustern der Krise beschäftigt, die sich in den Medien und in der Öffentlichkeit durchgesetzt haben. Diese Muster bezeichnen die Fachwissenschaftler als „Frames“, also als Rahmen, mit denen sich bestimmte Sichtweisen und Interpretationen der Realität verbinden. Solche Frames werden offenbar immer weniger von den Journalisten selbst gesetzt, sondern von mächtigen Interessengruppen und Akteuren, deren Status und Ressourcen ihnen den Zugang zur Öffentlichkeit ermöglichen. Dabei komme es aber auch auf die „thematische Anbindung“ an die fortlaufende öffentliche Diskussion an und auf das Gespür der Akteure „für kulturelle Anknüpfungspunkte“ und für den Nachrichtenwert der von ihnen lancierten Neuigkeiten.

Als Beispiele für solche teils konkurrierenden, sich teils wechselseitig ergänzenden Frames nennt Geiss „Wirtschaft ankurbeln“, „Opel retten“, „Banken entmachten“ oder auch „Banken retten“. Keines der Deutungsmuster sei im Zeitverlauf völlig verschwunden. „Gerade die Finanzwirtschaft, Opel und die Befürworter der Konjunkturpakete konnten jedoch dann Dominanz in der Berichterstattung erreichen, wenn es im politischen Entscheidungsprozess darauf ankam“, so Geiss. Im Fall der Finanzwirtschaft sei dies allerdings nicht ohne Widerspruch gelungen, da der „Banken retten“-Frame zumeist mit dem „Banken entmachten“-Frame gekoppelt gewesen sei.

Die Studie entstand in Kooperation mit dem Institut für Demoskopie Allensbach. Ein Vergleich mit einer Umfrage dieses Instituts zu den Sorgen in der Bevölkerung zeigt, dass es einen Zusammenhang zwischen den Inhalten der Medienberichte und den Ängsten in der Bevölkerung gibt. Es lässt sich allerdings nicht trennscharf belegen, inwieweit die Medien diese Ängste auslösten oder umgekehrt die Medienberichterstattung von den Sorgen der Publika beeinflusst wurde.

Quiring, Oliver; Kepplinger, Hans Mathias; Weber, Mathias, Geiss, Stefan (2012): Lehmann Brothers und die Folgen. Berichterstattung zu wirtschaftlichen Interventionen des Staates, Wiesbaden: Springer VS.

Erstveröffentlichung: Neue Zürcher Zeitung vom 5. März 2013

Bildquelle: Gerd Altmann  / pixelio.de

 

 

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