„Wer sind die Taliban?“ hat eine internationale Forschergruppe jeweils 1000 Fernsehzuschauern aus elf Ländern weltweit gefragt. In den europäischen Ländern wusste die Mehrheit, dass es sich bei den Taliban um eine islamistische Terrorgruppe handelt. In Australien und Kanada konnte jeweils knapp die Hälfte die Frage richtig beantworten. In den USA allerdings kannten nur 17 Prozent der Befragten die Antwort.
Dies und weitere Erkenntnisse führten die Forscher rund um Toril Aalberg von der Fakultät für Soziologie und Politikwissenschaft der Technisch-Naturwissenschaftlichen Universität Norwegens (NTNU) in ihrer Studie zu der Schlussfolgerung: Es besteht ein direkter Zusammenhang zwischen dem Angebot an Auslandsberichterstattung und dem Wissensstand der Bevölkerung über auswärtige Angelegenheiten. Je mehr Auslandsnachrichten die TV-Sender eines Landes bringen, desto informierter ist die Bevölkerung über das Auslandsgeschehen.
Die Ergebnisse der Studie, die in der Juni-Ausgabe der „Journalism Studies“ veröffentlicht wurden, zeigen auch, dass in einigen Ländern eine signifikante Diskrepanz zwischen dem Angebot an Auslandsberichterstattung und der Nachfrage nach diesen Formaten herrscht, vor allem in den USA. Die US-Amerikaner sind nämlich durchaus, wie die Forscher herausstellen, an auswärtigen Angelegenheiten interessiert. Die Nachrichtensendungen befriedigen ihre Nachfrage nach Nachrichten aus dem Ausland aber kaum.
Das Forscherteam ermittelte den Umfang der Auslandsberichterstattung in den elf Ländern Australien, Griechenland, Großbritannien, Indien, Italien, Japan, Kanada, Kolumbien, Norwegen, Südkorea und den USA und maß darüber hinaus den Grad des Interesses sowie den Wissensstand über auswärtige Angelegenheiten in der Bevölkerung. Dazu kombinierten, Aalberg und ihre Kollegen die Datenerhebungsverfahren quantitative Inhaltsanalyse und Befragung.
Die Forscher nahmen in jedem Land drei Wochen im Mai und Juni 2010 die beiden Nachrichtensendungen der zwei TV-Sendungen mit den größten Marktanteilen unter die Lupe. Das waren jeweils, mit Ausnahme von Kolumbien und den USA, eine Nachrichtensendung eines privaten und eine Nachrichtensendung eines öffentlich-rechtlichen Anbieters.
Zudem gaben die Forscher in neun Ländern eine Online-Publikumsbefragung durch das Marktforschungsunternehmen YouGovPolimetrix in Auftrag. In Kolumbien wurden persönliche, in Griechenland telefonische Interviews geführt.
Die Befragten sollten angeben, wie interessiert sie an In- und Auslandsnachrichten sind und Wissensfragen über das internationale Nachrichtengeschehen beantworten, davon drei mit westlichem und drei mit asiatischem Bezug. Sie sollten auf Bildern den russischen Präsidenten Wladimir Putin, die deutsche Kanzlerin Angela Merkel und den Generalsekretär der Vereinten Nationen Ban Ki Moon identifizieren, und angeben, welcher wichtige Gipfel 2009 in Kopenhagen stattgefunden hat, wer die Thai Red Shirts und wer die Taliban sind.
Wie erwartet, schreiben die Forscher, machen Auslandsnachrichten in allen elf Ländern einen kleineren Teil der Berichterstattung aus. Sie zitieren frühere Studien, die zu dem Ergebnis gekommen sind, dass der Umfang der Auslandsberichterstattung der Mainstream-Medien in den meisten Ländern mehr und mehr abnimmt, nicht nur in den USA, sondern auch in Europa und zwar in allen Mediengattungen. So führen sie unter anderem eine Studie des Media Standards Trust aus Großbritannien an, die aufzeigt, dass im Jahr 1979 englische Zeitungen noch 20 Prozent ihrer Berichterstattung dem Ausland widmeten und es im Jahr 2009 nur noch elf Prozent waren.
Zwar thematisieren die Nachrichtensendung in allen elf Ländern mehr das In- als das Ausland, dennoch gibt es bei der Gewichtung signifikante Unterschiede: Die Sendungen in Großbritannien, Norwegen und Kanada verwenden einen relativ großen Anteil ihrer Berichterstattung auf Nachrichten aus dem Ausland, nämlich jeweils ungefähr ein Drittel.
Am anderen Ende der Skala stehen die USA (14 Prozent), Indien (13 Prozent) und Australien (12 Prozent), die damit dem Inland wesentlich mehr Beachtung schenken als dem Ausland.
In fünf von neun Ländern bringen die öffentlich-rechtlichen TV-Sender mehr Auslandsnachrichten als die privaten. Spitzenreiter ist Norwegen, dort beschäftigen sich 36 Prozent der Beiträge des öffentlich-rechtlichen Senders mit dem Ausland, im Nachrichtenprogramm des privaten Senders sind 27 Prozent der Berichterstattung Auslandsnachrichten.
In Italien, Südkorea und Japan dagegen ist es genau umgekehrt: Hier bringen die Programme der kommerziellen TV-Sender erheblich mehr Nachrichten aus dem Ausland als die öffentlichen (Italien: 29 versus 18 Prozent / Südkorea: 27 versus 16 Prozent / Japan: 23 versus 14 Prozent).
Stützt man sich auf die Ergebnisse früherer Studien, die besagen, dass öffentlich-rechtliche Sender der Auslandsberichterstattung mehr Beachtung schenken als private, fällt das uneinheitliche Resultat dieser internationalen Studie „eher überraschend“ aus; dessen sind sich auch die Forscher bewusst.
Wichtig sei es deshalb, die Auslandsnachrichten nochmals zu unterteilen, und zwar in Beiträge mit harten und weichen Nachrichtenfaktoren. Harte Nachrichtenfaktoren beziehen sich auf politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Themen, weiche Faktoren sind in Human-Interest-Geschichten und Beiträgen über Prominente, Sport und andere Unterhaltungsthemen zu finden.
Wie erwartetet zeigt sich: Die untersuchten öffentlich-rechtlichen Sender bringen mehr harte Nachrichten (56 Prozent der Auslandsberichterstattung) als die privaten TV-Sender (41 Prozent).
Allerdings gibt es auch hier Ausnahmen. In Norwegen und Italien haben die öffentlich-rechtlichen und die privaten TV-Sender ungefähr gleich viele Auslandsnachrichten über Politik, Wirtschaft und Gesellschaft (Norwegen: 65 versus 65 Prozent; Italien: 49 versus 48 Prozent) im Programm und auch die unterhaltenden Beiträge über das Ausland nehmen bei beiden Medientypen ungefähr denselben Raum ein (Norwegen: 11 versus 12 Prozent; Italien: 24 versus 21 Prozent).
Dennoch wird in der Studie deutlich, dass kommerziell ausgerichtete Fernsehmärkte generell ihr Publikum mit weniger Auslandsnachrichten rund um die harten Themenbereiche Politik, Wirtschaft und Gesellschaft versorgen.
Die Fernsehzuschauer in Griechenland, den USA und Australien bekommen durch ihre jeweiligen TV-Sender am wenigsten internationale Berichterstattung geboten, dabei sind sie laut den Ergebnissen der Befragung aber eher an Nachrichten aus dem Ausland interessiert als die Zuschauer in den anderen neun Ländern. So gaben in Griechenland 59 Prozent der Befragten an, dass sie an auswärtigen Angelegenheiten interessiert sind, in den USA waren es 52 Prozent und in Australien 49 Prozent.
Es werde oft angenommen, so das Forscherteam, dass ein geringes Angebot an Auslandsnachrichten von Marktmechanismen verursacht werde: die Produktion ist teuer und das Publikum ist nicht daran interessiert.
Die Ergebnisse der Studie aber zeigen, dass es in einigen Ländern eine signifikante Diskrepanz zwischen dem Angebot an Nachrichten aus dem Ausland und der Nachfrage danach gibt. So mache das hohe Interesse der US-amerikanischen und australischen Befragten am Auslandsgeschehen deutlich, dass Journalisten ihrem Publikum nicht immer geben, was dieses möchte, so die Wissenschaftler.
Die Studie macht auch deutlich, dass die Berichterstattung über das Ausland einen großen Einfluss auf den Wissensstand der Bevölkerung über auswärtige Angelegenheiten ausübt. Je besser TV-Sender ihr Publikum über Politik, Wirtschaft und Gesellschaft im Ausland informieren, desto besser weiß es über diese Themen Bescheid.
Zuschauer, die regelmäßig die Tagesschau der ARD, das heute journal des ZDF, RTL Aktuell und die SAT. 1 Nachrichten sehen, sollten die sechs Wissensfragen der Forscher übrigens problemlos beantworten können. Denn die Forscher Christian Kolmer und Holly A. Semetko haben 2010 eine ähnliche Untersuchung für Deutschland durchgeführt und aufgezeigt, dass sich der Anteil der Auslandsberichterstattung bei den vier wichtigsten TV-Sendern in Deutschland auf 45 Prozent beläuft. Laut Kolmer und Semetko widmen in Deutschland auch die privaten Sender einen relativ großen Anteil ihrer Berichterstattung Nachrichten aus dem Ausland.
Aalberg, Toril; Papathanassopoulos, Stylianos; Soroka, Stuart; Curran, James; Hayashi, Kaori; Iyengar, Shanto; Jones, Paul K.; Mazzoleni, Gianpietro; Rojas, Hernando; Rowe, David; Tiffen, Rodney (2013): International TV News, Foreign Affairs Interest and Public Knowledge, In: Journalism Studies, 14. Jg., H. 3, S. 387-406.
Bildquelle: Thorsten Freyer / pixelio.de
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