Maulkorb für die Kritiker

20. Juli 2010 • Qualität & Ethik • von

Erstveröffentlichung: Message Nr. 3/2010

Mit einem neuen Gesetz ist die Pressefreiheit in Italien so sehr in Bedrängnis wie seit Mussolinis Zeiten nicht mehr. Aber auch in Spanien zeigen sich Symptome einer „Regierung ohne Presse“.

Die Presse als »Watchdog« der Politik beziehungsweise Journalisten als »Straßenpolizisten im Rückspiegel der Macht«, wie sie der amerikanische Journalist Ed Murrow einmal nannte: Dieses angelsächsische Konzept von Journalismus, das die investigative Recherche zum Kerngeschäft des Berufsstands erklärt, hatte es in Italien seit jeher schwer. Mittlerweile ist die Pressefreiheit in Italien so stark gefährdet wie seit Mussolini nicht mehr. Dem Journalismus wird zunehmend verunmöglicht, Kontrolle über die Mächtigen auszuüben.

Mitte Juni hat der italienische Senat mit der Mehrheit der Regierungspartei ein Gesetz verabschiedet, mit dem Ministerpräsident Silvio Berlusconi zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen will: die Einschränkung der unabhängigen Justiz und der Pressefreiheit. Berlusconi möchte mit dem »Maulkorbgesetz« verhindern, wieder durch die Veröffentlichung von Abhörprotokollen unter Druck zu geraten.

Gemeinsamer Unmut

Im Kampf gegen das organisierte Verbrechen sind Abhöraktionen in Italien ein verbreitetes Mittel. Indem Abhörprotokolle der Presse zugespielt wurden, konnten einige Skandale aufgedeckt werden – auch und gerade jene, in denen Berlusconi und Angehörige seiner Regierung im Mittelpunkt standen. Für Berlusconi hingegen ist »mehr als offensichtlich, dass es in Italien beinahe zu viel Pressefreiheit gibt«.

"Das Maulkorbgesetz nimmt dem Bürger das Recht, informiert zu werden."

Die Chefredakteure der großen italienischen Zeitungen haben gemeinsam ihr Unbehagen über das Gesetz ausgedrückt – ein ungewöhnlicher Umstand für Italien, wo die Medien besonders stark parteipolitisch geprägt sind. Für Ferruccio de Bortoli, Chefredakteur des Corriere della Sera, richtet sich das neue Gesetz nicht gegen den Missbrauch von Abhöraktionen, sondern verstärkt vielmehr die »Tendenz, die Pressefreiheit nicht mehr zu dulden«. Ezio Mauro, Redaktionschef von La Repubblica, spricht von einer »unvernünftigen und unsinnigen Regelung, die die Pressefreiheit aushebelt«.

Sogar Vittorio Feltri von Il Giornale spricht sich gegen das neue Gesetz aus, weil es das Grundrecht der Bürgerinnen und Bürger verletze, zu wissen, »was in unserem Land vor sich geht«. Il Giornale gehört dem Bruder Berlusconis. Nach Feltri gefährde das Gesetz die Existenz der Zeitungen. Sie seien sowieso in der Krise und wenn man ihnen nun noch verbiete, ihre Hauptfunktion auszuüben, sei ihr Tod unausweichlich. »Wir müssen zusammenhalten und kämpfen«, sagt er.

Die Liste der Skandale ist lang

Offenbar erhofft sich Berlusconi ein Ende der Skandalisierung seiner Machenschaften. Die Liste der Eklats der letzten Monate ist lang. Die mutmaßliche Beziehung Berlusconis zur minderjährigen Noemi Letizia oder die Ausschweifungen mit Prostituierten auf seinen Anwesen auf Sizilien und in Rom erregen die Medien dabei mehr als die unzähligen Korruptionsanschuldigungen um diverse Minister oder den Staatssekretär Guido Bertolaso, der als Chef des Zivilschutzes über umfangreiche Budgets für dringende Angelegenheiten verfügt.

Für Geld und andere Gefälligkeiten wurden Bauaufträge in großem Umfang vergeben – darauf aufmerksam wurde die Öffentlichkeit durch veröffentlichte Abhörprotokolle. Hinzu kommen Berlusconis Versuche, Parlament und Justiz mit immer neuen maßgeschneiderten Gesetzentwürfen für seine persönlichen und wirtschaftlichen Interessen zu instrumentalisieren. Es geht ihm darum, sich mit Gesetzesänderungen Straffreiheit zu verschaffen oder seinen Wettbewerber Rupert Murdoch vom Markt zu drängen.

Die Pflicht, Informationen zu verlangen

Selbst wenn Zeitungen berichten: Deren Enthüllungen bleiben meist folgenlos. »In Italien hat echte Demokratie nie funktioniert. In der Politik gibt es keinerlei Konsequenzen für Fehlverhalten«, sagt Beppe Grillo, Italiens bekannter Komiker und erfolgreichster Blogger, im Interview mit der österreichischen Zeitung ‘Der Standard’. Geschichten werden publiziert und nichts passiert. Allenfalls äußern sich Politiker in der politischen Talkshow Porta a Porta mit Bruno Vespa, wenn der Druck doch zu groß und eine Stellungnahme unvermeidlich wird.

Wolfgang Achtner, amerikanischer Fernsehjournalist und Journalistik-Dozent, der seit 40 Jahren in Italien lebt, sieht die Verantwortung nicht nur bei der Politik, sondern auch bei den Medien: Der italienische Journalismus sei zu sehr auf sich selbst fokussiert. Politiker und die, die über Politik berichten, gingen »Seite an Seite«.

Mit Renitenz Rechenschaft einfordern

Zu oft seien Journalisten parteipolitisch beeinflusst und machten sich vor, eine schwächelnde Politik ersetzen zu können. Zudem fordere die Presse ihr Recht auf Information von öffentlichen Stellen gemäß dem »Accountability«-Prinzip – verantwortlicher Rechenschaftslegung und Transparenz – nicht vehement genug ein. In anderen Ländern gebe es kaum die Möglichkeit, Journalisten die Auskunft zu verweigern. Die Bereitschaft, Stellung zu nehmen, sei in einem öffentlichen Amt eine Pflicht, sagt Achtner.

Ezio Mauro und seine Zeitung La Repubblica ist eines der Beispiele dafür, wie der Journalismus auch in Italien vehement Erklärungen einfordert. Sechs Monate veröffentlichte die Zeitung immer wieder dieselben zehn Fragen an Silvio Berlusconi zu seiner Liaison mit Noemi Letizia – bis sich der Premier äußerte. Er tat dies gegenüber Bruno Vespa, der ein Buch mit dem Titel »Donne di Cuori« (»Herzensdamen«) veröffentlichte. Auch dort blieben einige Fragen unbeantwortet, was Mauro als Hinweis darauf deutet, dass Berlusconi etwas zu verbergen hat. Doch immerhin: Seine Zeitung hat eine Äußerung erzwungen.

Besser eine Presse ohne Regierung

In einem Brief an Edward Carrington schrieb Thomas Jefferson bereits 1787, dass er lieber eine »Presse ohne Regierung« hätte als eine »Regierung ohne Presse«. Wie Italien, so nähert sich wohl auch Spanien dem Zustand einer Regierung ohne Presse an. Der Theorie der Mediensysteme von Daniel Hallin und Paolo Mancini folgend, gehören Italien und Spanien gemeinsam mit Portugal und Griechenland zum gleichen »pluralistisch-polarisierten« Mediensystem-Typ.

Der Journalismus zeigt in diesen Ländern gemeinsame Merkmale auf: eine elitäre Presse mit schwacher Auflage und geringer Rentabilität, weshalb die Zeitungen oft mit öffentlichen Geldern unterstützt werden, dominante audiovisuelle Medien sowie eine verspätete Entwicklung der Pressefreiheit. Der Staat hat zudem eine wichtige Rolle als Eigentümer, Regler und Finanzier der Medien. Der Journalismus ist wenig professionalisiert, die Printmedien sind politisiert. Des weiteren gibt es eine starke Tradition des Kommentierens. Die Medien werden von der Regierung, den Parteien und der Industrie, die starke politische Bindungen aufweist, instrumentalisiert.

Vergleichsland Spanien

Ein Vergleich mit Spanien schärft den Blick auf die italienischen Verhältnisse. Der Chefredakteur von El Pa’s, Javier Moreno, hielt im Frühjahr beim Festival des Journalismus in Perugia ein Impulsreferat zum Zustand der Demokratie und des Journalismus in seinem Land. Demnach sieht es nicht gut aus: Der Korruptions-Skandal, in den die spanische Volkspartei letztes Jahr verwickelt war, sei nur eines der Beispiele, die zeigten, wie sich die demokratische und politische Kultur in Spanien verschlechtert habe. Korruption sei Teil des Systems, über Enthüllungen gebe es kaum Empörung, Medienberichte würden gerademal zur Kenntnis genommen und politische Machthaber legitimierten ihr Verhalten schulterzuckend mit der Aussage, dass es alle so machten.

Die Politik sieht sich nicht in der Pflicht, die Fragen der Öffentlichkeit zu beantworten. Sie leugnet eigene Schuld und klagt die Akteure an, die versuchen, Kontrolle auszuüben. So werden Journalisten, die sich kritisch zur Regierung äußern, verächtlich gemacht und eingeschüchtert, Nachforschungen werden erschwert. Wer heute, so Moreno, in Demokratien an die Macht kommt, tue das, um seine Interessen durchzusetzen, nicht die der Bürger.
Diese Klage erinnert an Italien. Investigativer Journalismus dürfe sich, so fuhr Moreno fort, nicht von Populismus oder politischen Repressionen einschüchtern lassen. Journalismus, der die Politik nicht stört und belästigt, darf sich nicht Journalismus nennen, mahnte Moreno. Jungen Journalisten schrieb er in Perugia ins Stammbuch: »Verteidigt den Journalismus, der auf der Überprüfung von Fakten basiert! Macht keinen Journalismus, der mit der dominanten Meinung übereinstimmt! Bleibt unabhängig und lasst euch nicht von politischen Machthabern beeinflussen! Dient den Leserinnen und Lesern! Macht die Dinge transparent! Glaubt der Regierung nichts!«

»Die Zukunft Europas ist Italien«

Morenos Ansicht zufolge hat sich in ganz Europa die demokratische Kultur verschlechtert. Die – zugegeben extremen – italienischen oder spanischen Verhältnisse seien keine Ausnahme mehr. Ähnlich argumentiert auch der Schriftsteller, Philosoph und Kommunikationsforscher Umberto Eco. Im Interview mit El Pa’s geht er einen Schritt weiter: »Die Demokratie ist in der Krise, die italienische Gegenwart ist die Zukunft Europas«. Das Italien Silvio Berlusconis sei der Vorreiter für andere europäische Länder: Wo die Demokratie in der Krise ist, lande die Macht in den Händen derer, die den Kommunikationsfluss und die Medien beherrschen.

Für Eco ist die Situation in Italien bereits verloren, darum warnt er die anderen Länder vor der populistischen Versuchung. »Wir leben in einer Zeit, in der Multimilliardäre in die Politik einsteigen, einer Zeit von Fernseh-Magnaten, die die Werbesprache beherrschen, verführen und überzeugen können. Es ist eine dunkle Zeit, in der jene, die die Politiker überwachen sollen, von ihnen instrumentalisiert werden.«
Während sich in den USA Non-Profit-Initiativen wie Pro Publica etablieren und Preise für investigativen Journalismus bekommen, droht Italien das »Maulkorbgesetz«.

Ezio Mauro, Chefredakteur der italienischen Tageszeitung La Repubblica, über den Kampf um die Pressefreiheit.

Monatelang haben Sie in Ihrer Zeitung Silvio Berlusconi dieselben zehn Fragen über sein Verhältnis zur minderjährigen Noemi Letizia gestellt. Was war Ihre Motivation?

Mauro: Es ging uns um das Recht von Journalisten, Fragen zu Lügen und Widersprüchen der Regierung zu stellen. Es ging uns um Journalismus – um Regeln und Maßstäbe, die auch in anderen westlichen Ländern gelten. Hier versteht kaum noch jemand, dass jemand den Willen hat, ohne Eigeninteressen am öffentlichen Diskurs teilzunehmen.

Es ging um die Aufarbeitung eines Skandals. Worin liegen in Italien dabei die gegenwartigen Probleme?

Mauro: In jedem anderen Land hätte der Journalismus versucht, das Puzzle der Affäre zusammenzusetzen und Verantwortlichkeiten zu klären. Doch hier wurden Alibis kon­struiert und Journalisten-Karrieren zerstört (Anm. d. Red.: Message berichtete in 1/2010, wie Berlusconi-nahe Medien einen kritischen Journalisten mundtot machten, indem sie des­sen Privatleben skandalisierten). Beim Watergate-Skandal haben amerikanische Zeitungen und Networks beharrlich recherchiert, um die Öffentlichkeit aufzuklären. Die Medien als System haben in den USA dafür gesorgt, dass der Skandal ins Bewusstsein der Bevölkerung eindrang.

Haben Sie mit italienischen oder ausländischen Zeitungen redaktionell kooperiert, um die Aufmerksamkeit zu erhöhen?

Mauro: Es gab keine Zusammenarbeit der großen Zeitungen, wie das vielfach angenommen wurde. Ich habe auch mit keinem Chefredakteur im Ausland gesprochen. Wir haben nur die zehn Fragen auf Englisch auf die Website gestellt, um das internatio­nale Publikum über die Affäre zu informieren. Die internationale Presse ist von sich aus darauf aufmerksam geworden.

Hat die Aktion der Auflage Ihrer Zeitung genutzt?

Mauro: Die Verkaufszahlen sind tatsächlich gestiegen und auf dem Niveau geblieben, als es mit den zehn Fragen vorbei war.

Letztes Jahr rief Berlusconi die Chefs werbetreibender Firmen auf, Medien zu boykottieren, die ihn angreifen – darunter auch La Repubblica. Hatte diese Aufforderung Folgen?

Mauro: Sie kam in einem Monat, in dem die Medien in Sachen Werbung bereits in der Krise steckten. Es ist schwer herauszufin­den, ob sie durch die Äußerung Berlusconis verstärkt wurde.

La Repubblica hat in dieser Affäre sicherlich seine Aufgabe als Watchdog der Demokratie erfüllt, doch gab es keine offensichtli­chen Auswirkungen. Wie erklären Sie sich das?

Mauro: Das Fernsehen ist blockiert – es wird kontrolliert und hat die Sache überhaupt nicht kritisch verfolgt. Viele andere Zeitungen haben es nicht für wichtig erachtet. Das sind die Gründe, warum Berlusconi heil aus der Sache rausgekommen ist, es keine wahrnehmbaren Folgen gab.

Wolfgang Achtner sagt, der italienische Journalismus sei nicht ‘accountable’, sich seiner gesellschaftlichen Verantwortung nicht bewusst genug. Wie stehen Sie zu dieser Einschätzung?

Mauro: Ich kann nur für uns sprechen: La Repubblica wurde für die zehn Fragen in Harvard von der Kennedy School of Government und dem Nieman Foundation for Journalism ausge­zeichnet – mit der Begründung, dass wir die politische Macht zur Verantwortung gezogen und »Accountability« gezeigt haben.

Gibt es praktisch noch Pressefreiheit in Italien?

Mauro: Das wäre ja noch schöner, wenn es keine Pressefreiheit gäbe. Sicher gibt es sie. Die Frage ist jedoch, was für eine Qualität unsere Pressefreiheit hat.

Die Fragen stellte Natascha Fioretti.

Literatur:

Daniel C. Hallin, Paolo Mancini (2004): Comparing Media Systems: Three Models of Media and Politics. Cambridge: Cambridge University Press

Javier Moreno: La destra spagnola impara dall’Italia. In: La Repubblica, 24. April 2010

Umberto Eco: Desgraciadamente, el futuro de Europa será Italia. In: El País, 25. April 2010.

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