Angestiftete Schreiber

22. September 2011 • Qualität & Ethik • von

Je drastischer in traditionellen Redaktionen Stellen abgebaut werden, je mehr Recherche-Infrastrukturen wegbrechen, desto größer wird – vor allem in den USA, wo der Prozess weiter fortgeschritten ist als bei uns in Mitteleuropa – die Hoffnung, dass sich im Journalismus „neue Spieler“ etablieren:

Non Profit-Organisationen, Stiftungen, Mäzene, die irgendwie die entstehenden Leerstellen füllen und den kollektiven Gedächtnis-Verlust ausgleichen, der nun einmal entsteht, wenn Redaktionen innerhalb weniger Jahre halbiert werden.

Aber inwieweit gelingt das? Ein solches Stiftungsvorhaben, das „Project for Excellence in Journalism“ der amerikanischen Pew Foundation, hat jetzt in einem Report über „Non-Profit News“ genau dieser Frage nachgespürt. Die Forscher haben sich 46 Websites genauer angesehen, die in den USA seit 2005 gegründet wurden, Aufmerksamkeit auf sich zu lenken vermögen und die mit ihrem Nachrichtenangebot auf Bundes- und auf einzelstaatlicher Ebene als Wettbewerber herkömmlicher Tageszeitungen auftreten. Darüber hinaus versuchten die Wissenschaftler, die wichtigsten Financiers dieser Websites zu ermitteln. Nur sieben der untersuchten Websites sind kommerzielle Projekte, alle anderen sind dem Non Profit-Sektor zuzurechnen.

Die Befunde sind alarmierend: 56 Prozent der neuen Sites verfolgen eindeutig ideologische Ziele. Die am stärksten weltanschaulich politisierten Sites versuchen dies aber zu kaschieren, indem sie sich mit Prädikaten wie „unabhängig“ schmücken oder als „watchdogs“ bezeichnen. Die Mehrzahl der Nachrichten, die auf den Sites präsentiert werden, sind einseitig, so berichten die Forscher. Die Hälfte aller untersuchten Beiträge offerierten sogar nur einen einzigen Blickwinkel auf kontroverse Themen. Nur zwei Prozent der Storys böten mehr als zwei Perspektiven. Je einseitiger und ideologischer das Angebot, desto weniger transparent seien obendrein die Finanzierungsquellen. Oft würden zwar irgendwelche Strohmänner als Finanziers genannt, woher diese aber ihr Geld hätten, sei weitgehend unklar.

Wie in dieser „schönen, neuen“ Journalismus-Welt über eine der ältesten Institutionen der Welt, über die Kirche und über Religion, berichtet wird, auch dazu hat das Pew Research Center Spannendes herausgefunden. Seinem Report „Religion in the News“ zufolge hat in den USA der Islam das Christentum aus der Medienagenda verdrängt: Drei Ereignisse waren es im Jahr 2010, die 40 Prozent der amerikanischen Berichterstattung über Religion verursacht haben: der geplante Bau einer Moschee auf Ground Zero, die von einem fundamentalistischen Pastor in Florida geplante öffentliche Koran-Verbrennung und die Erinnerung an die Terroranschläge auf das World Trade Center. Immerhin 18 Prozent der Berichterstattung zu religiösen Themen waren pädophilen Priestern und sexuellem Missbrauch gewidmet.

Und wie kommuniziert die katholische Kirche als eine der weltumspannendsten „Non Profit-Organisationen“ in Zeiten des Internets? Daniel Arasa, Lorenzo Cantoni und Lucio A. Ruiz widmen sich in ihrem Buch „Religious Internet Communication“ speziell der Online-Präsenz der Kirche. Es ist ein Blick von Insidern, denn alle drei sind aktiv im Katholizismus engagiert. Die Kommunikationsforscher aus Spanien, Italien und Argentinien, die heute in Italien, der Schweiz und in Kolumbien lehren, kommen zu einem differenzierten, aber insgesamt wohlwollenden Ergebnis: Zwar werde ihre Religionsgemeinschaft oftmals als konservativ hingestellt, aber „entgegen dieser Stereotype hat die Kirche längst die Werkzeuge und Potentiale des Internets in ihre Alltagsarbeit inkorporiert“. Gewiss seien „einzelne in ihrer Dynamik den ,offiziellen‘ kirchlichen Institutionen voraus“ – aber das sei „in allen anderen Sphären gesellschaftlichen Lebens, in Politik, Wirtschaft und im Unterhaltungssektor auch nicht anders“.

Institutionen wie die katholische Kirche werden sich also auch in der Internet-Welt zurechtfinden; nicht zuletzt die sozialen Netzwerke bieten ihnen neue, vermehrte Kommunikationschancen. Größer ist indes die Gefahr, dass jene Distanz und Unabhängigkeit des Journalismus von der Politik, von religiösen Institutionen und von anderen Machthabern unter die Räder kommt, die sich große Redaktionen im vorigen Jahrhundert erkämpfen konnten – im Interesse ihrer Leser, Hörer und Zuschauer und dank eines üppig wachsenden, nicht versiegenden Zustroms von Werbeerlösen.

Quellen:

http://www.journalism.org/analysis_report/special_features

http://www.journalism.org/commentary_backgrounder/religion_news_islam_was_no_1_topic_2010

Daniel Arasa et al. (2010): Religious Internet Communication. Facts, Experiences and Trends in the Catholic Church, Rome: Edusc

Erstveröffentlichung: Schweizer Journalist Nr. 8 +9/2011

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