Keine antizyklischen Zukunftsinvestitionen

27. August 2004 • Ausbildung • von

Erstveröffentlichung: Neue Zürcher Zeitung

Wie die Medienkrise auf die Ausbildung durchschlägt

Der Einnahmenausfall bei den Medienbetrieben führte auch zu Kürzungen bei der Journalistenausbildung. Antizyklische Investitionen in die Aus- und Weiterbildung gab es nicht, wie der folgende Artikel am Beispiel Deutschlands zeigt.

«Jetzt, bevor wieder Budgetrunden mit dem Rasenmäher gedreht werden, ist es an den Chefs, die dazu passenden Signale zu setzen», schrieb der Leiter des Medieninstituts vom Verband Schweizer Presse, Karl Lüönd, kürzlich den Chefredaktoren und den Zeitungsverlegern ins Stammbuch. Wer während der Krise in Bildung investiere, «leistet den Tatbeweis für seinen Glauben in die eigene Zukunft». Daran gemessen, scheinen die Verleger in der Schweiz und in Österreich immerhin mehr Vertrauen in die eigene Branche zu haben als ihre Kollegen in Deutschland. Denn die beiden wichtigsten Ausbildungsstätten, das «MAZ – die Schweizer Journalistenschule» in Luzern und das Kuratorium für Journalisten-Ausbildung in Salzburg, konnten in den letzten Jahren antizyklisch expandieren, während einige der angesehensten Ausbildungsangebote im grossen Nachbarland deutlich zurückgestutzt wurden.

Schlechtere Einstiegschancen

In Deutschland fusst die Journalistenausbildung auf drei Säulen – dem innerbetrieblichen Volontariat, den privaten Journalistenschulen und den Studiengängen der Journalistik und Publizistik an den meist öffentlichen Universitäten. In allen drei Bereichen hat die Medienkrise – und teilweise die Krise der öffentlichen Haushalte – Spuren hinterlassen. Während in vielen Medienunternehmen und in mehreren privaten Schulen Ausbildungsplätze und auch die Volontärsgehälter beziehungsweise Ausbildungsbeihilfen drastisch gekürzt wurden, haben sich für Studierende die Chancen für einen Einstieg in Medienberufe und an einigen Hochschulen auch die Studienbedingungen dramatisch verschlechtert.

An der Henri-Nannen-Schule, die zum Verlagsimperium von Gruner und Jahr gehört, wurde statt einstmals zweier Lehrgänge mit insgesamt 36 Plätzen temporär nur noch einer mit 20 Teilnehmern eingerichtet. Schulleiterin Ingrid Kolb geht allerdings davon aus, dass von 2005 an jährlich wieder zwei Lehrgänge mit insgesamt 32 Ausbildungsplätzen angeboten werden können. Ganz getrennt hat man sich von der Berliner Aussenstelle, die vor allem Weiterbildungsprogramme für Journalisten offerierte. Ausserdem wurde in Hamburg die Stelle des stellvertretenden Schulleiters eingespart und durch einen freien Mitarbeiter ersetzt. An der Journalistenschule Axel Springer wurden vor zwei Jahren die 45 Ausbildungsplätze auf zeitweise 30 reduziert, vom nächsten Jahr an sollen es wieder 35 sein. Bei der WAZ-Gruppe in Essen wird über die Zahl der Ausbildungsplätze dezentral in den einzelnen Zeitungshäusern entschieden. Keine Kürzungen hat es in Ostdeutschland gegeben, im Westen dagegen wurden die Volontariatsplätze und damit auch das Ausbildungskontingent an der hauseigenen Journalistenschule Ruhr um zirka 10 Prozent reduziert. Keine Kürzungen gab es in den Journalistenschulen von Holtzbrinck in Düsseldorf und Burda in München und Offenburg. Dort stehen je bis zu 15 Plätze pro Jahr zur Verfügung.

Auch an Ausbildungsstätten, die keinem Konzern zurechenbar sind, gab es Kürzungen. An der renommierten Deutschen Journalistenschule in München wurde die Ausbildung drei Jahre lang von 45 auf 30 Teilnehmer jährlich heruntergefahren. Laut Schuldirektor Ulrich Brenner hat dies aber nichts mit Sparmassnahmen und Arbeitsmarktproblemen zu tun. Vielmehr wurde das gemeinsam mit der Münchner Universität gestaltete Studienangebot vom Bachelor auf den Master umgestellt. Bei der Evangelischen Journalistenschule in Berlin, die zeitweise gänzlich in ihrer Existenz bedroht war, hat man die Ausbildungszeiten reduziert – gemäss Schulleiterin Maria Kniesburges allerdings «ohne Qualitätsverluste beim Unterricht».

Auch die Volontariate wurden vielerorts gekappt. So hatte die «Frankfurter Allgemeine Zeitung» ihre Ausbildung journalistischen Nachwuchses vorübergehend eingestellt. Herausgeber Dieter Eckhart freut sich, dass jetzt wieder im alten Umfang jährlich sechs Volontäre aufgenommen werden können – die Redaktion brauche Nachwuchs. Jedoch sollen künftig keine verkürzten Ausbildungszeiten mehr angeboten werden.

Bezüglich ihrer Budgets halten sich die Journalistenschulen und ihre Verlagshäuser allesamt bedeckt – präzise Zahlen mögen die Medienunternehmen, die ja anderswo gerne Transparenz einfordern, nicht herausrücken. Über die Etatkürzungen an der hauseigenen Schule bei der Springer AG gibt die PR-Chefin Edda Fels keine Auskunft. Der Etat der Schule soll jedoch um etwa 25 Prozent gekürzt worden sein, verrät ein Mitarbeiter, der sich im Hause auskennt. Das Budget der Deutschen Journalistenschule konnte dagegen in den letzten fünf Jahren um mehr als 11 Prozent gesteigert werden – und das, obschon die Springer AG als Förderer ausgestiegen ist. Am konkretesten äussert sich Joachim Weidemann, der Leiter der Holtzbrinck-Schule: Nach einem deutlichen Rückgang habe man das Budget von «unter einer halben Million auf etwas über eine halbe Million Euro» aufstocken können – und zwar um 30 Prozent. Besonders stolz ist er darauf, dass er es geschafft hat, «über Projekte und redaktionelle Beilagen Umsatz für die Verlagsgruppe zu generieren»; dieser decke einen Teil der Kosten.

Kleinere Entlöhnung

Während bei Holtzbrinck, Burda und der WAZ-Gruppe nach wie vor Tariflöhne für Volontäre bezahlt werden, hat man bei Springer auf deutlich niedrigere Ausbildungsbeihilfen umgestellt. Auch an der Henri-Nannen-Schule erhält der Nachwuchs «nur» eine Ausbildungsbeihilfe. Sie wurde aber immerhin um 100 Euro auf 761 Euro pro Monat aufgestockt – und etwa die gleiche Summe erhalten die Teilnehmer auf Wunsch als Kredit. – Wieder eher positiv entwickeln sich (zumindest für die Absolventen der renommierten Journalistenschulen) die Aussichten auf einen Arbeitsplatz. Mehr als die Hälfte der 18 Absolventen der Henri-Nannen-Schule hatte dieses Jahr sofort nach Schulabschluss einen Arbeitsvertrag – «dreimal besser als im Vorjahr», wie Schulleiterin Kolb versichert. An der Holtzbrinck- Schule wird bisher praktisch allen Absolventen auch ein Arbeitsvertrag offeriert, und auch bei Springer ist man «stolz» auf eine Übernahmequote von nahezu 100 Prozent; bei Burda sind es 80 bis 90 Prozent. Dabei werden allerdings überwiegend befristete Verträge abgeschlossen, in einigen Häusern sogar nur auf Monate bemessen. Auch für die Absolventen der Deutschen Journalistenschule, die nicht direkt an einen Verlag angebunden ist, sind Festanstellungen direkt nach Abschluss der Ausbildung rarer geworden. An mehreren Ausbildungsstätten werden die Teilnehmer inzwischen gezielt auf Phasen freier Berufstätigkeit vorbereitet.

Mit ganz anderen Problemen hat der Hochschulbereich zu kämpfen. Vor allem an den Fachhochschulen sind in den letzten Jahren medien- und journalismusbezogene Studiengänge wie die Pilze gespriesst – ohne dass sich die Verantwortlichen allzu viel Gedanken über die Arbeitsplatzchancen ihrer Absolventen gemacht hätten. Teilweise geht das zulasten etablierter Studiengänge an den Universitäten. Viel Arbeitskraft der Lehrenden absorbieren dort die Umstellung auf Bachelor- und Master-Studiengänge und die damit einhergehende Reorganisation. Am Medienstandort Hamburg gibt es beispielsweise Überlegungen, das stark sozialwissenschaftlich geprägte Journalistik-Institut, das laut Professor Siegfried Weischenberg eine «lange Leidensgeschichte» hinter sich hat, den Germanisten und Sprachwissenschaftern zuzuschlagen.

Schwierige Lage in Berlin

Desolater als anderswo ist die Lage immer noch in Berlin. Obschon die Hauptstadt auch als Medienstandort an Bedeutung gewonnen hat, werden die Kommunikationswissenschaften an der FU Berlin seit Jahren sträflich vernachlässigt. Die Zahl der Studienplätze im Publizistikstudium hat sich kaum verändert. Indes sind von einstmals stolzen zehn Professuren am Institut derzeit nur noch sechs besetzt, unter anderem für Exilpublizistik, Semiotik und Wissenschaftsjournalismus. Verwaist sind dagegen bereits seit geraumer Zeit die Kerngebiete Journalismus, Öffentlichkeitsarbeit, Medienökonomie und -politik sowie eine der beiden Professuren für empirische Kommunikationsforschung. Für die Studierenden sind das unzumutbare Bedingungen. In diesem Sommer hat an der FU das letzte Seminar des Studiengangs Journalistenweiterbildung stattgefunden. Er wurde eingestellt, obschon es sich europaweit um das einzige Studienmodell handelte, das bereits erfahrenen Journalisten ein berufsbegleitendes Studium ermöglichte. (Der Autor dieses Artikels hat diesen Studiengang bis 2001 an der FU verantwortet.)

Von einem antizyklischen Engagement in puncto Aus- und Weiterbildung, wie es Karl Lüönd vorschwebt, ist man also in Deutschland ziemlich weit entfernt. Immerhin: Mehr Transparenz und vielleicht auch neue Impulse zur Verbesserung der Ausbildungsqualität verheisst eine Initiative, die unter Federführung des Deutschen Journalistenverbands vorangetrieben wurde und die – angeregt vom amerikanischen Vorbild des Accrediting Council on Education in Journalism and Mass Communications – zu einer freiwilligen Akkreditierung führen soll. Das würde bedeuten, dass künftig all jene Aus- und Weiterbildungsstätten, die bestimmte Mindeststandards gewährleisten, von einer unabhängigen Expertenkommission ein Gütesiegel erhalten. Angesichts des Wildwuchses, den es trotz der Medienkrise bei den Ausbildungsofferten gibt, wäre das fraglos ein Schritt in die richtige Richtung.

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