Trauma ist kein Tabu mehr

15. Dezember 2016 • Ausbildung, Qualität & Ethik • von

Ein simulierter Anschlag, ein Beschuss am Checkpoint und eine Entführung als Berufsvorbereitung: Beim Training in Hammelsburg sollen Journalisten auf ihre Einsätze in Krisen- und Kriegsgebieten vorbereitet werden. Obwohl das Tabu um das Thema Trauma gebrochen wurde, gibt es weiterhin Verbesserungsbedarf – zum Schutz der Journalisten selbst und im Umgang mit betroffenen Interviewpartnern.

traumaSand unter den Füßen. Arabischer Pop. Händler, die auf uns einreden. Dann: ein Knall. Es raucht, es blitzt. Man hört Gegenstände durch die Luft fliegen. Wir ducken uns hinter eine Hausecke. Sofort sind Schreie zu hören.

Cut. Dies ist kein Bombenattentat im Nahen Osten, die Händler, die mit Brandverletzungen, offenen Brüchen und weiteren, schwerer einzuordnenden Verletzungen am Boden liegen, sind Schauspieler. Die Situation ist ein gestelltes Szenario: Wir befinden uns in Hammelburg, im Ausbildungszentrum der Infanterie der Bundeswehr. Regelmäßig werden hier Journalisten von ARD und ZDF ausgebildet, bevor sie für ihre Arbeit in Krisenregionen reisen. Das Training ist eine der wenigen Vorbereitungsmaßnahmen für Kriegsberichterstatter, die es in Deutschland gibt.

Es geht darum, sich für den Ernstfall zu rüsten, denn „Journalisten geraten oft mitten ins Kampfgeschehen, werden dabei unweigerlich zum Ziel und manchmal auch zum Feind“, erklärt Presseoffizier Major Nils-Alexander Simon. Ihm ist es wichtig, Journalisten Handlungsstrategien für den Einsatz in Krisengebieten an die Hand zu geben. Zudem wird eingeübt, im Ernstfall Befehle anzunehmen. „Ich muss wissen, dass die Journalisten cool genug drauf sind, bevor ich sie mit rausnehmen kann. Ich muss wissen, dass sie unsere Vorgehensweisen annehmen und sich vollwertig integrieren können“, sagt er.

Verletzte Journalisten

Journalisten als Opfer – diese Perspektive wird häufig vernachlässigt. Dabei bringt ihr Beruf sie häufig in Situationen, die ihr Leben, die Gesundheit ihres Körpers, vor allem aber auch die Gesundheit ihrer Seele gefährden, und das nicht nur in der Krisenberichterstattung. „Ein Trauma kann entstehen, wenn eine Person einem Ereignis ausgesetzt ist, was sehr belastend oder überfordernd ist“, sagt Maria Bönigk vom Berliner Institut für Traumatherapie Oliver Schubbe. Da jeder Mensch individuell auf ein Ereignis reagiere, sei die Entstehung eines Traumes ganz unterschiedlich. Entscheidend seien dabei individuelle Bewältigungsstrategien, aber auch Faktoren wie das Alter oder die persönlichen Widerstandsfähigkeit. Psychologe Thomas Weber, Leiter des Zentrums für Trauma- und Konfliktmanagement Köln (ZTK), ergänzt: „Die traumatische Situation ist nicht planbar. Es ist keine Krankheit, sondern eine von außen zugefügte Verletzung der Seele.“

Wie Polizisten oder Feuerwehrmänner gehören Journalisten zur potenziellen Gruppe, die der Gefahr einer Traumatisierung quasi tagtäglich ausgesetzt ist – und das nicht nur an Kriegsschauplätzen. Die Lokaljournalisten, die am 24. Juli 2010 mit der Massenpanik während der Loveparade in Duisburg mit 21 Toten und hunderten Verletzten konfrontiert wurden, sind ein Beispiel. Ähnlich unvorbereitet mussten ihre Kollegen in Winnenden arbeiten, als 2009 ein Amokläufer an der Albertville-Realschule 15 Menschen und sich selbst tötete. Auch mit Ereignissen wie Unfällen, Bränden oder Gewaltverbrechen werden Journalisten immer wieder konfrontiert.

Laut Zahlen des Dart Center for Journalism and Trauma werden 80 bis 100 Prozent aller Journalisten im Laufe ihres Berufslebens mit möglicherweise traumatisierenden Ereignissen konfrontiert. Einer 2014 veröffentlichten Studie zufolge gehöre der Job eines Journalisten zu den Top-10-Depressions-Jobs in den USA. 2009 hat eine Untersuchung von Elana Newman, Roger Simpson und David Handschuh zudem ergeben, dass sechs Prozent der Journalisten, die eine traumatische Situation erlebt haben, eine diagnostizierte posttraumatische Belastungsstörung entwickelt haben.

Tabu gebrochen

Trotz einiger erster Studien: Im Journalismus war das Thema Trauma lange ein Tabu – dabei hat der Journalismus eine wichtige gesellschaftliche Funktion. „Er hilft, das Trauma aufzugreifen und es zu verarbeiten“, sagt Maria Bönigk. „Im Zuge der sogenannten Flüchtlingskrise, den Terroranschlägen in Europa, der Radikalisierung und dem Online-Harassment ist das Interesse an dem Thema aktuell gerade in Deutschland gestiegen“, sagt Jeanny Gering, betont aber auch: „Das Bewusstsein ist gestiegen und das Tabu gebrochen, aber es gibt weiterhin Aufklärungsbedarf.“ Die freie Journalistin ist die Vertreterin des Dart Center for Journalism and Trauma in Deutschland; sein Hauptquartier hat das Netzwerk für Journalisten und Traumaexperten an der Columbia Journalism School in New York City.

Nachholbedarf gibt es dennoch, vor allem in der Praxis. „Der DJV bietet zur Zeit keine Aus- und Fortbildung zum Thema Trauma oder Krisenberichterstattung an, würde sich des Themas jedoch annehmen, wenn es akuten Bedarf dafür geben würde“, erklärt der Deutsche Journalistenverband (DJV) auf Anfrage.  Nach dem Irakkrieg habe es ein Programm zu Traumata bei Journalisten gegeben, Unterlagen dazu seien aber nicht mehr vorhanden. Außerdem denke man „im Zusammenhang mit Übergriffen auf Journalisten bei Demonstrationen hier in Deutschland über ein Seminar diesbezüglich“ nach, das aber noch nicht geplant sei.

Sich zu vernetzen und Erfahrungen auszutauschen, das rät Maria Bönigk Journalisten schon jetzt. „Es ist wichtig, Emotionen Raum zu geben“, sagt die Psychologin. Die sogenannte Cowboy-Mentalität beobachte sie noch immer. „Journalisten stürzen sich in ihre Aufgabe, nehmen aber ihre Emotionen und ihre Grenzen nicht mehr wahr“, sagt sie. Soziale Interaktionen seien dann schwierig. „Ein Journalist, der an diesem Punkt angelangt ist, muss sich eine Auszeit gönnen“, resümiert Maria Bönigk.

Für Jeanny Gering ist es wichtig, das Thema Trauma bereits in der Journalistenausbildung, spätestens aber im redaktionellen Alltag zu verankern – und nicht erst, wenn der Journalist direkt mit ihm konfrontiert ist und im schnellen Journalistenalltag funktionieren muss. Das Dart Center for Journalism and Trauma setzt sich weltweit für die Organisation von Trainings und Weiterbildungen ein. „In der nächsten Zeit sollen Multiplikatoren ausgebildet werden und das Wissen weitertragen“, sagt Jeanny Gering.

Sensibler Umgang mit Traumatisierten

Bereits entwickelt sind sogenannte Tip Sheets, die Journalisten auf Grundlage von Studien erste Hilfestellungen für ihre Berichterstattung geben sollen. Denn letztlich sind sie nicht nur potenzielle Opfer, sondern müssen sensibel mit bereits traumatisierten Menschen umgehen können. „Es macht einen großen Unterschied, ob ich eine traumatisierte Person interviewe oder einen Politiker. Der Politiker kennt die Interviewsituationen zum einen, zum anderen ist er es gewohnt, hinterfragt zu werden“, sagt Jeanny Gering.

Auch Maria Bönigk hat einige Ratschläge für ein Interview. Gewahrt werden sollte die Grenze zwischen Sachlichkeit und Emotion. Stoße der Journalist mit seinen Fragen eine reine sachliche Auseinandersetzung mit dem Ereignis an, schlüpfe der Interviewpartner in die Beobachterrolle – und sehe sich nicht ein zweites Mal als Opfer an. „Das schafft eine emotionale Distanz. Das hilft nicht nur dem Journalisten und seinem Interviewpartner, sondern im Endeffekt auch dem Leser“, sagt sie. Zudem rät sie, dem Interviewpartner eine gewisse Kontrolle zu übergeben. Auch die Länge des Interviews sollte begrenzt sein. „Über ein belastendes Ereignis sollte nicht länger als 30 Minuten gesprochen werden“, sagt sie. Abschließen sollte das Gespräch im Idealfall mit einem positiven Aspekt. „Der Journalist kann beispielsweise nach den Verarbeitungsstrategien fragen oder wie es der Betroffene geschafft hat, weiterhin sein Leben zu leben“, schlägt Maria Bönigk vor.

Auch Thomas Weber hat sich auf den Umgang von Journalisten mit anderen traumatisierten Personen spezialisiert. Damit ihr Leid nicht durch unbedachtes Verhalten von Journalisten verschlimmert wird, entwickelte er neun Faustregeln:

  1. Das Trauma ist unfreiwillig. Alle Hilfe muss freiwillig sein (nicht aufzwingen).
  2. Aushalten und da sein – weg mit dem Aktionismus
  3. Weg mit dem Perfektionismus – seien Sie Mensch
  4. Achten Sie auf den eigenen Tunnelblick.
  5. Trauma bedeutet Kontrollverlust – Alle streben (besonders dann) nach Kontrolle – Traumatisierte und ihr ihre Gegenüber haben evtl. unterschiedliche Kontrollstrategien.
  6. Trauma bedeutet Strukturverlust – das Wichtigste danach ist Struktur.
  7. Der traumatisierte Zeuge ist der unzuverlässigste Zeuge.
  8. Spielen Sie nicht den Helden.
  9. Trauma ist ansteckend. Es besteht die Gefahr der sekundären oder stellvertretenden Traumatisierung.

Mit Hilfe der Tipps kann ein Teufelskreislauf durchbrochen werden. Denn ein Trauma birgt mehrere Risiken: seelisches Leid auf Seiten der Befragten, die Gefahr für den Journalisten, durch den Kontakt mit betroffenen Menschen selbst traumatisiert zu werden und in Folge die unzureichende Qualität der journalistischen Produkte. „Journalisten sollten ihre eigene Sicherheit und die Anderer höher priorisieren als ihre Pflicht, um jeden Preis schnell Informationen zu veröffentlichen“, sagt Thomas Weber.

Bildquelle: pixabay.com

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