Wege zum Datenjournalisten in Europa

11. Februar 2016 • Ausbildung, Forschung aus 1. Hand, Internationales • von

Eine aktuelle Studie untersucht das Ausbildungsangebot im Datenjournalismus in Deutschland, Großbritannien, Italien, den Niederlanden, Polen und der Schweiz. Wie sie zeigt, ist das bestehende Angebot nicht außergewöhnlich groß, aber zumindest vielversprechend.

data journalism

Das Forscherteam hat in den sechs Untersuchungsländern vier Ausbildungswege im Datenjournalismus unter die Lupe genommen:

  • Studiengänge an Hochschulen (z.B. Wissenschaftsjournalismus an der TU Dortmund, Datenjournalismus an der Universität Tilburg in den Niederlanden, Interactive Journalism an der City University in London, Politischer Datenjournalismus an der Universität Zürich)
  • unabhängige Journalistenschulen (z.B. Berliner Journalistenschule, Fontys School of Journalism in den Niederlanden, MAZ- die Schweizer Journalistenschule)
  • Fortbildungsangebote von Medienunternehmen (z.B. Medienakademie von ARD und ZDF, BBC Academy, Workshop der polnischen Tageszeitung Gazeta Wyborcza in Zusammenarbeit mit Google und dem polnischen Magazin Press)
  • Datenjournalismus-Kurse von NGOs, Verbänden und anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen (z.B. e-learning-Angebote auf DataBlog.pl, Associazione OpenPolis in Italien)

In Ländern, in denen Journalistenausbildung generell mehr institutionalisiert ist, sind es auch die Programme im Datenjournalismus. So sind es in Deutschland, den Niederlanden und Großbritannien vor allem Hochschulen und Journalistenschulen, die eine Ausbildung im Datenjournalismus anbieten und die dort lehrenden Dozenten haben meist einen akademischen Hintergrund.

In Ländern wie Italien und Polen dagegen, in denen die Journalistenausbildung weniger institutionalisiert ist, werden innovative Journalismus-Praktiken wie Datenjournalismus eher von öffentlichen Einrichtungen, NGOs oder Journalisten, die sich selbst datenjournalistische Kenntnisse beigebracht haben, gelehrt.

Die Studie geht auch auf die Inhalte und Strukturen der Datenjournalismus-Kurse ein. Zum einen analysiert sie die Gewichtung von Theorie und Praxis, zum anderen wie viele statistische und wie viele journalistische Kenntnisse vermittelt werden.

Kurse an Hochschulen bieten einen eher ganzheitlichen Zugang zum Datenjournalismus an – so wird dort unter anderem auch die Geschichte des Datenjournalismus gelehrt. Ausbildungsprogramme von Medienunternehmen und privaten Institutionen dagegen legen ihren Schwerpunkt mehr auf die Praxis und bringen ihren Teilnehmern vor allem bei, wie sie mit Hilfe von Software Daten erfassen, ausarbeiten, analysieren und für ihre Berichterstattung nutzen können.

Zwar schulen beide Kursarten statistische Fähigkeiten, aber je kürzer der Kurs ist, desto mehr rückt die journalistische Perspektive in den Fokus. Dies gilt vor allem für die nicht-universitären Kurse, die sich als Fortbildungsmaßnahme an schon ausgebildete Journalisten richten. In hochschulgebundenen Programmen dagegen wird auf die Vermittlung von statistischen und mathematischen Themen ein größerer Fokus gelegt.

Das Forscherteam hat neben den Unterschieden auch Gemeinsamkeiten in der Datenjournalismus-Ausbildung ausfindig gemacht. So betrachten alle interviewten Ausbilder den Guardian und die New York Times als Vorbild in Punkto Datenjournalismus und greifen in ihren Kursen regelmäßig auf Beispiele von den beiden großen Medienunternehmen zurück. Es sind sich auch alle Dozenten einig, dass die nicht-akademischen Institutionen „European Journalism Centre“ und „Center for Investigative Journalism“ in der Ausbildung von Datenjournalisten eine Vorreiterrolle einnehmen. In allen sechs Ländern ist zudem viel Lehrmaterial über Datenjournalismus online – nicht nur, weil Datenjournalismus von Natur aus sehr Internet-affin ist, sondern weil die Ausbilder ein großes Interesse daran haben zu zeigen, was sie machen.

Die Ausbildung im Datenjournalismus ist eine sehr junge Disziplin, der es oftmals noch an Standards fehlt. In vielen Kursen werden Themen vernachlässigt, die eigentlich unabdingbar für die Ausbildung von Journalisten sind, so auch ethische Aspekte, journalistische Transparenz und Selbstkontrolle. Vor allem Ausbilder, die nicht aus dem Journalismus kommen, vernachlässigen diese Themen, weil sie sich auf die Kernaspekte des Datenjournalismus wie das Sammeln von Daten, die Analyse und Visualisierung konzentrieren und/oder ihnen Kenntnisse aus diesen Bereichen fehlen.

Es spricht deshalb einiges dafür, die Ausbildung im Datenjournalismus zu professionalisieren und institutionalisieren und fester in der hochschulgebundenen Ausbildung und an Journalistenschulen zu verankern, damit auch die genannten journalistischen Aspekte nicht zu kurz kommen.

Zwar gibt es in den sechs untersuchten Ländern verschiedene Ausbildungswege im Datenjournalismus, in den Redaktionen ist diese Form des Online-Journalismus aber noch längst nicht etabliert. Datenjournalismus ist zeit- und ressourcenintensiver als andere Formen der Berichterstattung, und die meisten Medienunternehmen sehen ihn eher als Kostenfaktor und nicht als Investition. Die Zukunft des Datenjournalismus und der Ausbildung im Fach wird wesentlich von finanziellen Aspekten bestimmt sein, aber auch von der verfügbaren Menge an Daten – ein Faktor, der hauptsächlich von der Erlassung und Umsetzung eines Informationsfreiheitsgesetzes (Freedom of Information Act – FOIA) im jeweiligen Land abhängt.

An der Studie waren Philip Di Salvo (Università della Svizzera italiana, Switzerland), Tobias Eberwein (Institute for Comparative Media and Communication Studies, Austria), Harmen Groenhart (Fontys University of Applied Sciences, The Netherlands), Michal Kus (University of Wroclaw, Poland), Colin Porlezza (University of Zurich, Switzerland) und der Autor dieses Artikels Sergio Splendore beteiligt. Die Studie basiert auf der Analyse bestehender Kursprogramme im Datenjournalismus in den sechs Untersuchungsländern und 16 Leitfaden-Interviews mit Ausbildern im Datenjournalismus, die zwischen Januar und Juni 2014 geführt wurden.

Splendore, Sergio; Di Salvo, Philip; Eberwein, Tobias; Kus, Michal, Porlezza, Colin: Educational strategies in data journalism: A comparative study of six European countries, in: Journalism January 2016 17: 138-152, first published online on November 1, 2015.

Übersetzt aus dem Englischen und ergänzt von Tina Bettels-Schwabbauer

Bildquelle: Jonathan Gray / The Data Journalism Handbook / Flickr CC

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