Am Tropf der Datenkraken

17. Dezember 2015 • Digitales, Qualität & Ethik • von

Die Regie war genial, kontrastreicher lassen sich der Hype sowie die Risiken und Nebenwirkungen beim „wissenschaftlichen“ Umgang mit Big Data nicht inszenieren: Bei einer Abendveranstaltung in der Britischen Botschaft zu Berlin sollten der Soziologe Mike Savage (London School of Economics) und Isa Sonnenfeld (Deutsches Google News Lab) zeigen, was sich mit großen Datenmengen so alles anstellen lässt.

DatenkrakeSavage tat das am Beispiel von Forschern wie Thomas Piketty oder Robert D. Putnam. Sie spüren zentralen Fragen wie der wachsenden Ungleichheit im digitalen Kapitalismus nach und tun das, indem sie große Datenmengen visualisieren. Dabei konnte man sich allerdings nicht des Eindrucks erwehren, dass hier Zauberkünstler im Forscher-Tarnanzug sehr kreativ, aber letztlich nach eigenem Gusto Statistiken und Daten kombinieren, um vorgefasste Thesen zu belegen – keineswegs „nur“ mit dem Ziel, komplexe Sachverhalte transparent zu machen.

Sonnenfeld konzentrierte sich dagegen auf Suchanfrage-Statistiken, wie sie das Google Lab Journalisten zugänglich macht. So lasse sich zum Beispiel bei der jüngsten TV-Diskussion der republikanischen Präsidentschafts-Kandidaten in Echtzeit zeigen, wer von ihnen weltweit wie viele Suchanfragen auslöse, also Interesse auf sich lenke – für manche Journalisten ein gefundenes Fressen, um ihre Horse Race-Inszenierungen von Wahlkämpfen zu perfektionieren. Eher unfreiwillig deutete Sonnenfeld damit auf die Kehrseite von Big Data: Man kann damit die Aufmerksamkeit der Publika auch gezielt auf bizarre Belanglosigkeiten lenken.

Wochen zuvor hat bereits ein Außenseiter, der Historiker und Publizist Rudolf Walther in einem launischen Beitrag für die Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte (Nr. 7/8-2015) skizziert, in welch atemberaubenden Tempo der Qualitätsjournalismus in die Abhängigkeit der großen Datenkraken gerät. Er analysiert die Allianzen, die in jüngster Zeit die US-Internetriesen mit verschiedenen „Legacy“-Medien geschlossen haben und sieht darin Versuche, die letzten Bastionen eines unabhängigen Journalismus zu schleifen. Allerdings seien „im Vergleich zu den sieben Milliarden Dollar, die Google jährlich in die Forschung investiert“, die 150 Google-Millionen für die Digital News Initiative „wirklich Peanuts“.

Für ähnlich heikel hält es Walther, wenn Spiegel, Bild, die New York Times, National Geographic und der Guardian Beiträge direkt bei Facebook als „Instant Articles“ anbieten. Schon das Business-Modell spräche Bände: Die Verlage dürften 70 Prozent der Werbeerlöse behalten, die sie auf diese Weise erzielten, die restlichen 30 Prozent kassiere der Plattform-Betreiber. Die Zeitungen begäben sich damit in „eine freigewählte Abhängigkeit des Pseudo-Verlegers Facebook“. Wobei dahingestellt bleibt, ob diese Abhängigkeit wirklich noch „frei gewählt“ ist, oder hier bereits ein neuer Monopolist die Konditionen diktiert.

Skeptisch äußert Walther sich auch zur Washington Post: Die Zeitung werde, seit Jeff Bezos sie 2013 gekauft hat, erkennbar „zum Zuarbeiter und Datensammler von Amazon und handle nach der Logik des Versandhändlers“. Die Kundendaten der Zeitung gingen „direkt an den Amazon-Dienst Brand Connect, der von Unternehmen gesponserte Inhalte anbietet“. Walthers Resümee: Der Qualitätsjournalismus versage beim Versuch, sich am eigenen Schopf aus dem Schlamassel zu ziehen.

Die Berliner Diskussion lässt erahnen, dass auch Sozialforscher mehr und mehr im Datensumpf ertrinken und am Tropf der Datenkraken hängen. So kann man sich ohne allzu viel Phantasie ausmalen, was Google, Facebook, aber auch die Geheimdienste mit ihren gigantischen Datenbeständen in Zukunft noch alles anstellen können – gezielt gegen missliebige Einzelne, aber auch, um damit Journalisten und gesellschaftliche Diskurse zu manipulieren. Schon ganz „normale“ Großkonzerne sind ja gegen Tricksereien, Daten- und Machtmissbrauch nicht gefeit – Volkswagen, Exxon, Deutsche Bank und UBS lassen grüßen.

Quelle: Rudolf Walther, Abgründig. Wie der Qualitätsjournalismus den Qualitätsjournalismus retten will, in: Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte, Nr. 7/8-2015, 68-70

Zu der geschilderten Abendveranstaltung in Berlin hatten das von Google gesponserte Institut für Internet und Gesellschaft an der Humboldt-Universität sowie die Vodafone Stiftung eingeladen.

Erstveröffentlichung: Schweizer Journalist Nr. 12/2015 + 1/2016

Bildquelle: Cornelius Bartke / Flickr Cc

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