Der Mord an der Journalistin Alison Parker und dem Kameramann Adam Ward aus Virginia, live im Fernsehen übertragen, markiert eine Zäsur in der digitalen Medienöffentlichkeit.
Es ist dem strategischen Vorgehen des Attentäters geschuldet, dass seine Tat zum Zeitpunkt der Live-Übertragung stattfand und damit zum Bestandteil des Programms wurde. Der schockierte Gesichtsausdruck der Moderatorin nach Abbruch der Live-Sequenz und die gestammelten Worte „Wir wissen nicht genau, was hier geschehen ist …“ zeugen von dem Verlust redaktioneller Autorität des Fernsehsenders in dem Moment. Der synchron erstellte Film des Täters, per Handy-Kamera aufgenommen, über soziale Netzwerke weltweit verfügbar gemacht und durch automatisierte Distribution via Facebook millionenfach angesehen, verstärkt diesen Autoritätsverlust. Das manuelle Löschen des Täter-Accounts konnte die automatisierte Verbreitung des Videos nicht mehr aufhalten.
Der australische Journalismusforscher John Hartley prognostizierte Anfang des Jahrtausends die ‚redaktionelle Gesellschaft‘, in der jedermann Journalist sei. Das Privileg des professionellen Journalismus, exklusiv Informationen zu selektieren, aufzubereiten und zu verbreiten, sah er unwiderruflich verloren. Redaktionelle Leistungen werden nun durch das Kuratieren der vielfältig verfügbaren Quellen und Informationen erbracht.
Das Ereignis von Virginia geht einen Schritt weiter: Erkennbar wird die post-redaktionelle Gesellschaft. Ohne jegliche redaktionelle Deutung oder Regulation findet die brutale Hinrichtung von zwei Journalisten in simultaner Distribution weltweites Publikum. Wo redaktionelle Entscheidungen ethisch die Sinnhaftigkeit, die Tötung von Menschen im Vollzug zu zeigen, zu prüfen hätte, favorisiert die automatisierte Distribution das Spektakuläre des Bildmaterials. Der strategische Einsatz von visueller Medienöffentlichkeit zur Popularisierung gewaltsamen Vorgehens ist seit 9/11 offenkundig. Hier waren es die Fernsehstationen, die uns in redaktioneller Bearbeitung Bilder der einstürzenden Twin Towers übermittelten. In Virginia ist Regie und Distribution in die Hand des Täters übergegangen.
Erstveröffentlichung: Der Tagesspiegel vom 30.08.2015
Bildquelle: Screenshot von youtube.de
Schlagwörter:Adam Ward, Alison Parker, digital, Medienöffentlichkeit, Mord, post-redaktionelle Gesellschaft