Bitte, kein Kommentar!

17. August 2015 • Digitales, Forschung aus 1. Hand, Qualität & Ethik • von

Beleidigungen, fehlende Argumente, mieses Diskussionsklima: Nutzerkommentare auf Nachrichtenseiten stehen zunehmend in der Kritik. Eine Studie der Universität Hohenheim zeigt jetzt: Kommentare verschlechtern auch die wahrgenommene Qualität von Nachrichten.

Die Süddeutsche Zeitung lässt Nutzerkommentare nicht mehr direkt unter ihren Artikeln zu. Man wird weitergeleitet.

Die Süddeutsche Zeitung lässt Nutzerkommentare nicht mehr direkt unter ihren Artikeln zu. Man wird weitergeleitet.

Die Süddeutsche Zeitung und die Nachrichtenagentur Reuters haben es schon getan, ebenso der Tagesspiegel und andere bedeutende Online-Medien: Kommentarspalten unter den Artikeln abgeschafft, ihre Nutzung stark eingeschränkt oder sie auf Facebook ausgelagert. Sie reagieren damit auf die anhaltenden Probleme, die Nachrichtenseiten mit den Kommentaren ihrer Leser haben.

Nutzerkommentare bergen zwar riesiges Potenzial für Leserfeedback und Diskussionen, können diese Erwartungen jedoch häufig nicht erfüllen. In den Kommentarspalten tauschen Pöbler Beleidigungen statt Argumenten aus, Hetze gegen Journalisten und Politiker ist an der Tagesordnung und eine ergiebige Diskussion kommt nur selten zustande. In den Redaktionen sorgt diese vergiftete Diskussionskultur für zunehmenden Unmut. Vor allem besteht die Befürchtung, dass Leser von solchen Kommentaren abgeschreckt werden und die Qualität der Kommentare auf die wahrgenommene Qualität eines Artikels „abfärbt“. Langfristig könnte so das Image einer journalistischen Marke Schaden nehmen.

Studie der Uni Hohenheim

Kommunikationswissenschaftler der Universität Hohenheim haben diese Befürchtungen nun erstmals mit einer experimentellen Studie überprüft. Sie untersuchten, wie sich Beleidigungen und das Fehlen von Argumenten in Nutzerkommentaren auf die Wahrnehmung des zugehörigen Online-Artikels auswirken. Dazu haben sie den Teilnehmern einer Online-Umfrage unterschiedliche Versionen eines Nachrichtenbeitrags vorgelegt. Der Text war dabei immer gleich – einzig die Marke der Website, das Vorhandensein und der Ton der Kommentare wurden systematisch verändert.

Nachdem die Teilnehmer des Experiments den Artikel gelesen hatten, wurden sie gebeten, über seine Qualität zu urteilen. Dafür wurden Aussagen abgefragt, die mit der inhaltlichen Qualität des Artikels (z.B. „der Artikel ist objektiv“) oder mit der Qualität der journalistischen Vermittlung zu tun hatten (z.B. „Der Artikel ist verständlich geschrieben“). Das Ergebnis: Unabhängig von der Marke der Nachrichtenwebsite wirken sich Beleidigungen in den Kommentaren negativ auf die wahrgenommene Vermittlungsqualität des Artikels aus. Probanden, die eine Version mit beleidigenden Kommentaren gelesen hatten, bewerteten die Vermittlungsqualität des Artikels deutlich schlechter als diejenigen, die höfliche Kommentare zum Artikel gelesen hatten.

Image einer Marke schützt zunächst

Kommentare ohne Argumente wirkten sich hingegen negativ auf die wahrgenommene inhaltliche Qualität des Artikels aus – allerdings nur dann, wenn die Medienmarke unbekannt war. Bei den bekannten Marken (hier: Spiegel Online und Focus Online) war kein Effekt der Argumentation erkennbar. Offenbar schützt das Image einer professionellen Marke hier zunächst vor den negativen Auswirkungen substanzloser Kommentare.

In der Studie wurde auch ein Vergleich mit einer Version des Artikels ganz ohne Kommentare vorgenommen. Hier zeigt sich: Auch höfliche Kommentare und solche mit Argumenten verschlechtern die wahrgenommene Qualität eines Artikels im Vergleich zu einer Version ganz ohne Kommentare. Diese Ergebnisse sind für den Online-Journalismus durchaus beunruhigend: Die wahrgenommene journalistische Qualität von Onlineartikeln scheint sowohl vom bloßen Vorhandensein von Nutzerkommentaren als auch von ihrer Beschaffenheit beeinträchtigt zu werden. Hinzu kommt, dass selbst Kommentare in höflichem Ton und mit begründeten Argumenten für die Nachrichtenwebsites offensichtlich kaum einen Mehrwert bieten was die wahrgenommene Qualität des Beitrags angeht.

Erklärungsansatz der Wahrnehmung

Wie lassen sich diese Ergebnisse erklären? Die Forscher gehen davon aus, dass es mit der Art und Weise zu tun hat, wie die meisten Menschen Online-Nachrichten lesen. Nachrichtenwebsites und ihre Artikel werden häufig nur kurz überflogen und nicht ausführlich gelesen – ganz ähnlich, wie es übrigens auch bei der Zeitungslektüre der Fall ist. Nun treten allerdings auch Nutzerkommentare auf den Plan, die recht kurz sind und deren Qualität deutlich einfacher zu erkennen ist, als die eines journalistischen Artikels. Wenn es um Qualitätsurteile geht, bleiben diese leichter im Gedächtnis hängen, werden eher erinnert und überlagern so die Wahrnehmung des Artikels.

Ist die Abschaffung der Kommentarspalten und die Auslagerung an Facebook also der richtige Weg? In jedem Fall vermeiden Onlineredaktionen so die direkten, negativen Effekte von Kommentaren auf die Wahrnehmung ihrer Artikel. Allerdings entgehen ihnen womöglich auch andere, positive Effekte. Denn die Nutzer sind zwar häufig enttäuscht von der Qualität der Kommentare, legen aber dennoch großen Wert auf die Funktion an sich, weil sie die Möglichkeit zum Feedback und zur Teilhabe hoch schätzen. Auch das zeigt die Hohenheimer Studie.

Vortrag zu dieser Studie:

Prochazka, Fabian, Schweiger, W., & Weber, Patrick (2015i). Was bewirken die Trolle? Ausstrahlungseffekte von Nutzerkommentaren auf die wahrgenommene journalistische Qualität von Nachrichtenbeiträgen. Vortrag auf der 60. Jahrestagung der DGPuK, Darmstadt/Deutschland, 13.-15.05.2015.

Bildquelle: Screenchot von Südedeutsche Zeitung

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7 Responses to Bitte, kein Kommentar!

  1. kleitos sagt:

    ” Auch höfliche Kommentare und solche mit Argumenten verschlechtern die
    wahrgenommene Qualität eines Artikels im Vergleich zu einer Version ganz
    ohne Kommentare”

    Echt jetzt – Kommentare, die Schwächen der Artikel aufdecken und darauf Hinweisen “verschlechtern” also tatsächlich die wahrgenommene Qualität?

    Kann natürlich nicht daran liegen das die ohne die Kommentare mit Argumenten die qualitativen Schwächen vomn Leser einfach mit überflogen werden.

    Ich habe übrigens in der Schule meine Arbeiten auch nie korrigieren lassen, das sonst die “wahrgenommene Qualitä” meiner Arbeit darunter gelitten hätte.

    *faceplam*

  2. Sebastian sagt:

    “eine ergiebige Diskussion kommt nur selten zustande”

    Stimmt leider. Das liegt aber nicht nur am mangelnden Niveau der Kommentare, sondern oft genug auch daran, daß zu viele Journalisten Probleme haben, mit Kritik umzugehen. Sie sind es nicht gewohnt, ihre Artikel verteidigen zu müssen, und können (oder wollen) sich nicht mit den Argumenten der Gegenseite auseinandersetzen.

    Aber wer sich viele um die “wahrgenommene journalistische Qualität von Onlineartikeln” schert, verliert unter Umständen die wirkliche Aufgabe des Journalismus aus den Augen: Fakten und Zusammenhänge vermitteln, nicht Meinungen und Gefühle.

  3. Deutscher Volksgenosse sagt:

    @Stern, Bild, Spiegel, FAZ und alle anderen J**en-Gazetten

    Eine geschickter “Rechtfertigungsversuch” um davon abzulenken das die Kommentarfunktion
    größtenteils wegen der negativen Resonanz der Leser auf Multikultipropaganda
    abgestellt wurde. Der verzapfte Blödsinn in den Artikel bringt eben jeden
    normaldenkenden Menschen zu Weißglut und da kommen dann natürlich auch Hetzereien
    gegen den Verfasser des Artikels oder die Person um die sich der Artikel dreht
    zu Stande. Auseinandersetzungen zwischen normaldenkenden Deutschen und hirngewaschenen deutschen Autonormal-Gutmichels sind die logische Folge dieser “Pöbeleien”.
    Wenn die J**en-Presse das Echo nicht verkraften kann dann soll sie aufhören zu
    schreiben!

  4. EgalKarl sagt:

    Nachrichtenseiten ohne Kommentarfunktion ignoriere ich praktisch, da man durch User-Kommentare oft auf kleinere Ungenauigkeiten oder Hintergrundinfos aufmerksam gemacht wird.
    Aber es muss hart moderiert werden. Und zwar wirklich hart:

    Keine zusätzliche Info im Kommentar? Löschen und Begründung stehen lassen.

    Ist der Ansatz einer Beleidigung erkennbar, egal ob gegen den User, Reporter, sonstwen? Löschen mit Begründung.
    Trolle die Zensur schreien? Löschen mit Begründung.
    usw.

    Es gibt eine Seite, die das hinbekommt…

  5. martinus sagt:

    Zustimmung. Prüfet alles, das Gute behaltet! Jeder wählt dauernd aus, warum nicht auch Kommentar-Admins? Erst die Regel Alles-oder-Nichts macht Störer mächtig und flieht am Ende vor der eigenen Brut. Streichen, streichen, streichen! Was bleibt, ist bereichernd.

  6. DewaGue sagt:

    Das ist für viele kleine Seiten wohl zu aufwändig!
    Aber inhaltlich stimme ich Ihnen zu!

  7. wagner,dieter sagt:

    Eine ziemlich einseitige Darstellung zugunsten der Journalisten, deren Privilegierung sowie Pressefreiheit gegenüber Meinungsfreiheit. Weder sind journalistische Beiträge durchgängig von Qualität geprägt – wir haben es m. E. mit einer kritikwürdigen Verflachung der Berichterstattung zu tun – noch wird der Umstand der Meinungsunterdrückung auch nur erwähnt. Im übrigen sind die Verkaufszahlen der Zeitungen in Korrelation zu bringen und auch von daher die wirtsch. Situation der Verlage zu beleuchten.
    Hart moderieren ja, aber nicht ungerechtfertigt, auch wenn Nutzungsbedingungen eingehalten werden.
    So ergibt ein sehr ( zu ) stark betonter Pol halt zwingend einen Gegenpol….

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