Eine Brandmauer gegen die US-Kultur

8. Juni 2010 • Digitales • von

Erstveröffentlichung: Die Presse vom 1. Juni 2010

Die Internationalität der Medien hat Folgen – aber sicher nicht nur negative, sagt Harvard-Professorin Pippa Norris im Interview mit “Die Presse”.

„Die Presse”: In Ihrem Buch „Kosmopolitische Kommunikation” entwickeln Sie die Theorie von „Firewalls”, die es in jeder Gesellschaft gibt – was sind das für Brandmauern?

Pippa Norris: Lange hieß es, die Globalisierung bedrohe kleine, nationale Kulturen – wegen der dominanten US-Kultur mit der englischen Sprache. Doch der Einfluss ist überschätzt – es gibt in Gesellschaften gewisse Brandmauern: etwa die Pressefreiheit. Google wird in China stark vom Regime eingeschränkt. Globale Medien werden dort also keinen großen Einfluss auf die Politik haben. Dann gibt es die Mauern der Armut, des Zugangs zur Technologie (z. B. Internet, Mobiltelefon), des Analphabetismus. Und es gibt kulturelle Barrieren. Dass also die globalen Medien die Weltherrschaft übernehmen – das stimmt nur bis zu einem gewissen Punkt.

Wie sind diese Einflüsse zu werten? 2009 wurde eine US-Studie veröffentlicht, die besagt, Kabel-TV hilft Frauen im ländlichen Indien, sich zu emanzipieren. Das klingt sehr positiv, aber ist es das wirklich?

Die Technologie ist stets ein zweischneidiges Schwert: Da sind geschlossene Gesellschaften wie Saudi-Arabien. Dort haben Frauen es geschafft, sich im Internet zu organisieren, um über Dinge zu sprechen, über die sie noch nie sprechen konnten. Aus feministischer Sicht ist das sehr positiv. Auf der anderen Seite wird das Internet hauptsächlich benutzt für: Sex, Pornografie, kommerzielle Interessen. Sein Effekt ist also nicht nur positiv oder nur negativ. Es kommt immer darauf an, von welcher Seite man ihn betrachtet.

Reden wir bei all dem eigentlich tatsächlich über „kosmopolitische Kommunikation”? Geht es nicht nur um die Kommunikation einer kosmopolitischen Elite?

Mancherorts: In ärmeren, urbanen Gesellschaften zählen hauptsächlich Politiker, Journalisten dazu. Aber denken Sie an die BRIC-Länder (Brasilien, Russland, Indien, China), aufstrebende Wirtschaftsmächte, in denen das Mobiltelefon boomt. Damit können sich die Menschen – begrenzt – im Internet bewegen. Das verändert ihr Leben radikal. Allein, dass sich ein indischer Dorfbewohner über die Getreidepreise in der nächsten Stadt informieren kann!

Wie wichtig ist dabei Medienbildung („Media Literacy”)?

Sehr wichtig, weil die Menschen die Medienbotschaften kritisch dekonstruieren können müssen. Diese Kompetenz sollte schon in frühen Schuljahren gefördert werden – dabei muss der TV-Film genauso behandelt werden wie Doku oder politische Kommunikation.

Österreich ist auf Ihrem „Index der Weltoffenheit” auf Platz 11 (von 119). Ein guter Platz?

Kleinere, europäische Wohlfahrtsstaaten – Benelux, die Schweiz, Skandinavien, Irland – besetzen insgesamt die vorderen Plätze. Wenn man den Kosmopolitismus allerdings als Bedrohung sieht, ist das freilich negativ.

Das Internet bietet Einzelpersonen oder kleinen Initiativen heute nicht nur eine Infrastruktur, sondern auch die Möglichkeit, Geld zu sammeln („Crowd Funding”). Macht das wirklich einen Unterschied?

Das ist ein neues, sehr wichtiges Phänomen. Mit der Obama-Kampagne etwa wurde mit großer Geschwindigkeit Geld gesammelt, Quellen erreicht, die man sonst nicht hätten anzapfen können. Die Menge kleiner Spenden, direkt nach Obamas Reden und Auftritten haben einen wirklichen Unterschied gemacht. Hillary etwa hatte – wegen Bill Clinton – die ganze Parteimaschinerie der Demokraten im Rücken, aber Obama zeigte, wie effektiv man mit dem Internet arbeiten kann. Das funktioniert aber sicher nicht immer und überall: In Europa hat politisches Funding überhaupt keine Tradition. Aber wenn wir an Naturkatastrophen wie die in Haiti denken: Viele Menschen spendeten online. So können gezielt ganz schnell sehr viele Ressourcen aktiviert werden. Das beschleunigt den gesamten Kommunikationsprozess.

Was hat denn diese Beschleunigung für Auswirkungen?

Das kann man nicht generalisieren. Wir passen uns an. Wenn man auf seine Kinder, auf sich selbst, auf seine Eltern schaut – die Art, wie wir Informationen aufnehmen und weitergeben – etwa über soziale Netzwerke – verändert unsere Kommunikation. Aber manche Dingen machen wir dann wieder so, wie wir es früher gewohnt waren: Wenn man an das Leben im Dorf denkt, wenn etwas passierte, Familiengeschichten, wurde sofort – persönlich – getratscht. Die sozialen Netzwerke online heben das auf ein neues Level.

In den USA setzt man derzeit auf „hyperlokalen Journalismus” – ist das, nach der Globalisierung der Medien, ein „Zurück zu den Wurzeln”?

Ich glaube, es ist anders: Blicken wir nocheinmal nach Haiti. Am MIT in Boston wurde da eine Website aufgesetzt, um die Hilfsorganisationen vor Ort zu unterstützen. Man konnte einfach ein SMS hinschicken: „Wir brauchen hier Zelte, Wasser etc.” Normale Leute kommunizierten also ihre Bedürfnisse – das wird nun auch im Journalismus so gehandhabt: Es gibt Menschen, die über lokale Ereignisse berichten, die sie direkt betreffen, Fotos dazu machen – und dann klinken sich die Journalisten ein. Es ist also anders als die alten Mechanismen: Auch im 18. Jahrhundert gab es starken Lokaljournalismus. Nun aber gibt es Amateur-Journalisten, die die Agenda setzen. Eine radikale Veränderung.

Thema Integration: Warum ist sie der größte Trumpf der USA, während Europa immer vom „Problemfall Immigration” spricht?

Das stimmt prinzipiell, aber nicht ganz: In den USA wird z. B. gerade über das „Arizona-Gesetz” diskutiert: Sieht man hispanisch aus, hat die Polizei dort das Recht, die Aufenthaltsgenehmigung zu kontrollieren. Das ist ein Einbruch in die Privatsphäre, es gibt eine große Kontroverse. Die USA sind schließlich eine Einwanderungsgesellschaft.

Das ist Österreich ja eigentlich auch.

Aber für Europa ist es ein relativ neues Phänomen. Die Traditionen sind anders. In den USA konnten sich eingewanderte Iren, Italiener, Polen wegen ihrer Gemeinsamkeiten gut anpassen – wegen des Katholizismus, teils wegen der gemeinsamen Sprache, wegen ökonomischer Hintergründe. Sie haben so den Weg für die Immigranten geebnet, die später kamen, etwa aus Vietnam, Korea, China – aus der jeweiligen Mittelklasse, die in den USA Kleinunternehmen starten wollten. In Europa gab es natürlich auch Migration – etwa die jüdische. Aber in jüngster Vergangenheit kommen Menschen mit wirtschaftlich schlechten Voraussetzungen, die noch dazu viel religiöser sind als das säkulare Europa. Heute gibt es dadurch eine Kluft der Werte.

Und wie soll man damit umgehen?

Es gibt zwei Zugänge: den Multikulturalismus, etwa in Großbritannien – dort werden z. B. auch muslimische Schulen gleichberechtigt mit protestantischen staatlich gefördert. Die Antithese ist die französische Tradition: Wenn man Franzose werden möchte, muss man sich an den französischen Staat anpassen. Viele andere Staaten stehen zwischen diesen Extremen. Welcher dieser beiden der erfolgreichere Weg ist, lässt sich noch nicht sagen.

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