Hate Speech: Viel mehr als böse Wörter

6. Oktober 2016 • Digitales, Qualität & Ethik • von

Selbst das deutsche Bundeskriminalamt engagiert sich im Kampf gegen Hasspostings in sozialen Netzwerken. Doch das Problem öffentlicher Hassbotschaften geht viel weiter.

25598241613_dfeb836525_h„Scheißhunde diese verschissenen Drecksflüchtlinge!“, „(…) einen Musel werde ich abschlachten (…), die haben auf christlichen Boden nichts verloren (…)“, „(…) dieses Gesindel gehört verboten“: Derartige Pöbeleien und Hetztiraden in Social Networks gegen Flüchtlinge, Ausländer oder Frauen erfahren derzeit geballte öffentliche Aufmerksamkeit und werden verstärkt strafrechtlich verfolgt. Übersehen wird aber, dass damit nur eine Form des Hate Speech bekämpft wird und nahezu ausschließlich nichtöffentliche Sprecher in den Fokus geraten, die häufig ahnungs- und machtlos sind.

Brennende Kreuze

Hate Speech besteht aus öffentlichen Äußerungen oder Botschaften mit gruppenbezogenen menschenfeindlichen Inhalten. Anders als der Name nahelegt, ist Hate Speech weder notwendigerweise von Hass getrieben noch beschränkt es sich auf sprachliche Äußerungen. Derartige Hassbotschaften können sogar vollkommen auf Wörter verzichten.

Ein klassisches Beispiel dafür ist das Aufstellen brennender Kreuze vor den Häusern afroamerikanischer Familien in den USA. Auch in sozialen Netzwerken sind es häufiger Bilder als Wörter, mit denen die Botschaft übermittelt und Hass ausgelöst wird. Im Kern handelt es sich bei Hate Speech um eine Form der kommunikativen Herstellung menschlicher Minderwertigkeit, wobei es viele treffen kann, vor allem aber Migranten, Frauen, Muslime, Juden oder Homosexuelle.

Hate Speech umfasst aber nicht nur einen hasserfüllten Kommentar von Kevin0815 auf Facebook über Flüchtlinge, sondern auch den emotionslosen Post auf der Seite eines Politikers, wonach Flüchtlinge demnächst kostenlos Mobiltelefone vom Staat bekommen. Gerade diese Form ist es, die zum Hass aufstachelt, indem sie Kevin0815 zu einem Kommentar veranlasst und das öffentliche Klima vergiftet. Nicht zuletzt aus diesem Grund kann das Phänomen Hate Speech nicht allein auf Hasspostings reduziert werden, denn das, was Hass anstiftet, ist nicht immer hasserfüllt und entsteht aus einer Emotion heraus.

Bewusst und ohne Emotion

Hinzu kommt, dass öffentliche Hassbotschaften keinen eigenen Wortschatz (Schimpfwörter) benötigen. So zeigen empirische Studien, dass sogar extreme Rechtsparteien lieber Slogans wie „Wir zuerst“ verwenden, um über Migranten herzuziehen, als Schimpfwörter zu benutzen.

Im Unterschied zu Beschimpfungen, die rein affektierte, irrationale Handlungen darstellen, ist Hate Speech nicht nur intentional, sondern kann sogar (zweck)rationalen Überlegungen entspringen. So ist das öffentliche Äußern von Hassbotschaften gegen Minderheiten eine bewährte Strategie von Politikern und Publizisten, um Medienaufmerksamkeit zu generieren.

In der Intentionalität liegt auch der Unterschied zu anderen Formen symbolischer Diskriminierung. Deren Ergebnis kann zwar auch die Herstellung menschlicher Ungleichwertigkeit sein, es ist aber anders als im Falle von Hate Speech nicht unbedingt intendiert. Beispielhaft dafür steht die Stigmatisierung von Muslimen, wenn diese in den Medien stets im Zusammenhang mit Terrorismus dargestellt werden.

Der Erfolg von Hate Speech

Das Kerngeschäft der Medien besteht darin, Aufmerksamkeit zu erzeugen. Erst dadurch generieren sie andere Formen von „Kapital“ oder Ressourcen wie Geld, politischen Einfluss und so weiter. Öffentliche Hassbotschaften haben aufgrund ihrer Konflikthaltigkeit einen hohen Nachrichtenwert, der für die Medien Aufmerksamkeit garantiert. Dabei geht das Potenzial von Hate Speech über das anderer Konflikte hinaus.

Hier wird, anders als bei anderen Streitfragen wie der Privatisierung einer staatlichen Dienstleistung oder dem Abschluss eines Handelsabkommens, der Konflikt nicht nur übertragen, sondern erst durch Kommunikation kreiert. Dadurch kann nicht nur über den Konflikt berichtet, sondern dieser auch aktiv mitgestaltet werden. Hilfreich diesbezüglich ist zudem die Tatsache, dass ein Konflikt über Hate Speech nur eine Minderheit betrifft. Damit wird das Risiko minimiert, dass die Mehrheit der Mediennutzer sich persönlich betroffen fühlt.

Ist die öffentliche Konfliktgenerierung erfolgreich, eröffnen Hate-Speech-Konflikte zudem eine Ventilfunktion: Sie bieten für die Mediennutzer die Möglichkeit, „Luft rauszulassen“, indem diese ihre Unzufriedenheit durch die kommunikative Abwertung anderer abreagieren können.

Hate Speech ist ein vielfältiges Phänomen. Es geht weiter als die normale, alltägliche Diskriminierung, involviert viel mehr als Hasspostings und wird durch die Spielregeln des Mediensystems befördert. Gemein ist den unterschiedlichen Formen der soziale Schaden, den sie anrichten: Sie streuen Misstrauen zwischen gesellschaftlichen Gruppen und stiften Feindseligkeit zwischen ihnen. Der Hass kann eine Gesellschaft vergiften und zu desintegrativen Folgen führen, die nicht kalkulierbar sind.

Erstveröffentlichung: derstandard.at vom 4. Oktober 2016

Bildquelle: K-Screen Shots / Flickr CC: Hate Background; Lizenzbedingungen: https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/

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