In den Fängen des Content Marketing

13. Oktober 2016 • Digitales, Qualität & Ethik • von

„Unternehmensjournalismus” macht Marken zu Medien und attackiert den klassischen Journalismus.

parachuting-872483_1920Ganz neu: Aldi wird Dein Wellness­coach. Literaturtipps von der Bahn, Zukunftsdebatten mit der Deutschen Post und die Parkassistenz-App vom bayerischen Automobilkonzern gibt es ja längst. Mit Magazinen, Online-Ratgebern, Eventportalen, Social-Media-Angeboten oder Apps versuchen Unternehmen Business-Partner und Verbraucher verstärkt da zu erwischen, wo Produkte noch gar nicht im Vordergrund stehen. Mehr unterbewusst wird der Boden für Absatz bereitet, wenn Marken mit Gefühlen aufgeladen werden. Content Marketing heißt das Zauberwort, seit das Web 2.0 die Kanäle erweitert hat.

Anziehen, Begeistern, Verkaufen, Binden ist die Devise. Dass sie tatsächlich wirkt, dafür braucht es immer häufiger Instrumente aus dem Werkzeugkasten des Journalismus. Und da das Phänomen nicht auf unternehmenseigene Marketingkanäle begrenzt bleibt, schlagen Warner Alarm: Dem klassischen Journalismus erwächst mächtige Konkurrenz.

Content Marketing (CM) sei nichts Neues, betonen dagegen viele in der Werbebranche. Schon immer habe man auch versucht, Konsumenten nicht nur frontal anzugehen und eher von hinten durch die Brust ins Auge zu treffen. Beste Beispiele: Der „Guide Michelin” – vom Reifenhersteller im Jahr 1900 erfunden, um mit Restaurantempfehlungen Mobilität allgemein anzuregen und so mittelbar den Verkauf anzukurbeln. Und die „Radio Soap Operas”, mit denen sich der Kosmetik-Riese Procter & Gamble bereits in den 1930er Jahren massenmedial ins Gespräch brachte. Mit ähnlichen Methoden hätten „erfolgreiche Unternehmen immer schon” gearbeitet, „online wie offline”, stellen SEO-Experten in aktuellen Umfragen fest, betonen aber gleichzeitig, dass es immer wichtiger werde, „eigenen Content zu haben und Nutzer an sich und die Dienstleistung zu binden”. In Zeiten von Werbeskepsis und Adblockern werde das Geschäft einerseits schwerer, andererseits vervielfache gerade das Internet die Möglichkeiten.

Content Marketing gelte in der deutschen Kommunikationsbranche „als der Hype schlechthin”, habe sich in den letzten Jahren „zwar auf leisen Sohlen, aber mit Macht” immer mehr verbreitet, macht auch eine Ende Mai vorgelegte Studie der Otto-Brenner-Stiftung deutlich. Tatsächlich wird die Marketingbranche inzwischen mit entsprechender Literatur und Seminarangeboten überschwemmt, ist von „Gesetzen”, „Prinzipien” und „Todsünden” des CM zu lesen. Im Mittelpunkt der Strategie stehen weiterhin unstrittig potenzielle Kunden. Doch werden sie über nutzwertige Informationen geködert, die schleichend wirken, das Image einer Marke heben und emotionale Bindung schaffen sollen. „Mit der richtigen Content-Marketing-Strategie lässt sich die Wahrnehmung von Unternehmen, Marken, Produkten oder Personen in der Öffentlichkeit beeinflussen und verändern”, definiert onlinemarketing-praxis.de.

Ein „zweieiiger Zwilling”

Wie Marken zu Medien werden, hat im deutschsprachigen Raum Red Bull vorgemacht. Der österreichische Dosendrink-Hersteller beherrschte nicht nur 2012 mit seinem Stratosphären-Projekt klassische und soziale Medien, als mit einem Fallschirmsprung aus 30 Kilometern Höhe die Schallmauer ohne technische Hilfe durchbrochen wurde. „Sich selbst zu übertreffen” suggeriert die „Verkaufsmaschine” Red Bull seit fast zehn Jahren über das eigene Media House der potenziellen Kundschaft – eher jung und vorwiegend männlich. Das „Red Bulletin”, zunächst ein reines Formel-1-Magazin, erscheint inzwischen weltweit mit einer fünf-Millionen-Auflage. „Bergwelten” soll zusätzlich alpine Lebensfreude vermitteln und tut das wöchentlich auch über Servus TV. Der Fernsehsender, der zum Jahresende seinen Betrieb in Deutschland und der Schweiz einstellt, jedoch weiter in Österreich und online zu sehen ist, gehört seit 2009 zum Firmenimperium, wie auch Verlagsaktivitäten und digitale Plattformen.

Content könne „in Form von Text, Bild oder Bewegtbild daherkommen”, erläutert Autor Lutz Frühbrodt in der Studie. Im Vergleich mit dem hinlänglich bekannten Coporate Publishing sei Content Marketing ein „zweieiiger Zwilling”. CM setze stärker auf digitale Kanäle und versuche, die Kunden schon vor dem Verkauf abzuholen. Unternehmen forcierten den „Denkrichtungswechsel” von „Push to Pull”, von Werbung zur Verbreitung von Inhalten. Sie lehnten sich dabei besonders eng an journalistische Formate an und betrieben auch Websites, die als Themenportale und Online-Magazine aufgemacht sind. Schon aus einer Erhebung des Forum Corporate Publishing (jetzt Content Marketing Forum) von 2014 gehe hervor, dass die befragten deutschsprachigen Unternehmen ihre Kommunikationsansatz zu 30 Prozent rein und zu weiteren 25 Prozent eher „inhaltsgetrieben” sehen. Folge: Unternehmen würden künftig noch mehr eigene ­Inhalte produzieren und auch über eigene Kanäle verbreiten.

Storytelling aus dem Newsroom

Von „Pseudojournalismus” spricht Frühbrodt und untersuchte mit Florian Stocker und Rahel Clormann als Mitautoren, wie der in deutschen Firmen und Verbänden aktuell gemacht wird. Eine Erkenntnis: Alle DAX-30-Unternehmen betreiben Content Marketing, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß. Ergebnisse eigener Internet-Recherche und einer Abfrage – nur sieben Unternehmen antworteten – werden ausführlich beschrieben und tabellarisch zusammengefasst. Etliche Konzerne – etwa Adidas, Bayer, BMW und Daimler, Deutsche Lufthansa und Deutsche Post, aber auch Henkel, RWE oder Siemens bedienen demnach die volle Klaviatur mit eigenen Magazinen, Blogs, Social Media- und Video-Angeboten sowie Apps. Meist gäbe es den „typischen Dreiklang von Information, Beratung und Unterhaltung”. Inhaltlich kreise das Angebot um bestimmte Themen und Werte, die sich mit Umwelt und Nachhaltigkeit, Zukunft und Visionen, Lifestyle, Dynamik und Leistung sowie Fürsorge und Geborgenheit beschreiben ließen.

Nur einige Beispiele: Die Deutsche Telekom setze sich Entertainment zum Ziel, betreibe Musikplattformen und ein Popmusikportal gemäß dem Slogan „besondere Inhalte verdienen das beste Netz”. Siemens liefere CM aus einem firmeneigenen, an die jeweiligen Fachabteilungen angedockten fünfzigköpfigen Newsroom. Um das differenzierte und erklärungsbedürftige Produktspektrum zu pushen, stehe Storytelling hoch im Kurs. Nutzwert werde durch konkrete Geschichten verdeutlicht. Mercedes verkaufe mittlerweile nicht nur Autos, sondern darin auch aktuelle Nachrichten. Automotive-Zulieferer wie Bosch schrieben sich das Thema Fahrsicherheit auf die Fahnen und Pharmaunternehmen wie die deutsche Tochter von GlaxoSmithKlein mischten sich mit impfen.de als „Infoportal zum Schutz vor Infek­tionskrankheiten” scheinneutral in den Diskurs ein. Sportartikelhersteller Puma liefere Tools für körperliche Selbstoptimierung.

Selbstmord aus Angst vor dem Tod?

Quintessenz: Im sogenannten Unternehmensjournalismus werden „redaktionelle” Inhalte verbreitet, die sich von Werbung schon deshalb nicht sauber trennen lassen, weil sie selbst PR-Inhalte sind. Unternehmen transportieren damit zunehmend eigene Werte in eine breite Öffentlichkeit. Über die längst bekannten Schnittstellen zwischen Journalismus und Werbung hinaus – etwa der, dass sie teilweise von den gleichen Leuten gemacht werden – sehen Frühbrodt und die Otto-Brenner-Stiftung die generelle Gefahr, dass Journalismus durch solches Marketing im journalistischen Gewande quasi von innen ausgehöhlt wird und seinen „Glaubwürdigkeitsvorsprung” verliert. Solche Marketingpraktiken seien auch geeignet, das klassische Berufsbild des Journalisten umzudeuten und weiteren Imageverlust zu befördern. Das trüge dazu bei, „den Journalismus immer weiter zu entgrenzen und ihn seiner ureigenen Funktionen zu berauben: Kritik und Kontrolle”. Weitere Gefahren: Die wirtschaftliche Lage vieler Verlagshäuser lasse sie die „Trennlinie zur Werblichkeit” ohnehin „nicht mehr so strikt ziehen wie früher”. Auch zunehmende Unübersichtlichkeit und das Aufkommen von CM-„Politblogs” lasse das Meinungsmonopol klassischer Medienhäuser und die „Absendertransparenz” weiter schwinden.

Noch sei das Geschäftsvolumen des Content Marketing in Deutschland, Österreich und der Schweiz mit rund sechs Milliarden Euro – gemessen an den Umsätzen der großen Medienkonzerne – vergleichsweise gering. Doch, so wird Andreas Siefke, Vorsitzender des Content Marketing Forum, in der Studie zitiert, müsse die vierte Gewalt „schauen, dass sie selbst Macht bleibt. Das heißt, sie muss eigene tragfähige Geschäftsmodelle entwickeln.” Zunächst, möchte man anmerken, versuchen Medienhäuser wie Burda oder Gruner+Jahr eher, selbst vom Content-Marketing-Hype zu profizieren. Auch der Süddeutsche Verlag bietet gebündeltes Know-how in der gerade gegründeten Agentur „SZ Scala” an. Wenn man den Dingen ihren Lauf lasse, warnt Frühbrodt, müsse man wohl zusehen, „wie der unabhängige Journalismus langsam aber sicher den Marktkräften zum Opfer fällt”.

Die Studie der Otto-Brenner-Stiftung von Lutz Frühbrodt  „Content Marketing – Wie ‘Unternehmensjournalisten’ die öffentliche Meinung beeinflussen” kann hier heruntergeladen werden (OBS-Arbeitsheft 86).

Erstveröffentlichung: M Menschen Machen Medien 3/2016

Bildquelle: pixabay.com

Zum Thema auf EJO: Journalismus im Auftrag von Firmen

 

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