Jugendschutz im Internet

22. Juli 2015 • Digitales, Forschung aus 1. Hand • von

Jugendschutz im Internet ist komplex und bedarf entsprechend wohlüberlegter Regeln und Regulierungsmechanismen. Wie die Debatte in deutschen und Schweizer Medien darüber geführt wird, zeigt eine Studie von Christian Wassmer.

"Sage nicht alles, was du weisst, aber wisse immer, was du sagst"   Der Stellenwert der Ressource Wissen in der Regulierung des Jugendmedienschutzes im Internet.

“Sage nicht alles, was du weisst, aber wisse immer, was du sagst.” Eine wichtige Regel für Jugendliche bei der Nutzung des Internets.

Onlinemedien bieten neue Kommunikations- und Partizipationsmöglichkeiten, die den klassischen Jugendmedienschutz vor neue Probleme stellen. So lassen sich die Verursacher von problematischen Angeboten nicht immer identifizieren. Welche Schutzkonzepte sind also angebracht? Wer ist für die Regulierung zuständig und wer setzt die Regeln durch? In der Schweiz und in Deutschland wurde vergleichend untersucht, welche Akteure welche Vorstellungen von Regulierung in die Debatte um den Jugendschutz im Internet einbringen und wie sie diese anhand von Wissensarten begründen. Dabei lag der Fokus sowohl auf der Rolle politischer als auch privater und zivilgesellschaftlicher Akteure.

Zur Untersuchung der verschiedenen Wissensformen und Regelungsziele der Akteure führte der Autor eine quantitative und qualitative Diskursanalyse durch. Zwischen 2000 und 2010 analysierte er 524 Artikel in Schweizer und deutschen Fachmedien, Tages- und Wochenzeitungen.

Thematische Breite in Deutschland deutlicher erkennbar

Der Vergleich der Ergebnisse macht deutlich, dass eine kontinuierliche und stetig wachsende Debatte nur in den deutschen Fachzeitschriften, nicht jedoch in Tages- und Wochenzeitungen stattfand. Während zu Beginn des Diskurses sehr allgemeine Zielsetzungen artikuliert wurden, differenzierten sich diese im späteren Verlauf aus und fokussierten beispielsweise auf einzelne Onlinedienste wie Social Media. Damit einhergehend nahm bei den Akteuren auch das Bewusstsein über Regelungsprobleme und offene Fragen des Regelungssystems zu. Dies hatte zur Folge, dass immer spezifischere Regelungsziele geäußert und mit zugrundeliegendem Wissen begründet wurden. Der Diskurs gestaltete sich dadurch thematisch sehr breit.

In der Schweiz hingegen war der Regelungsdiskurs kaum vorhanden, weder in den Fachmedien noch in den Tages- und Wochenzeitungen. Die Schweizer Berichterstattung nahm nicht einmal unmittelbar Bezug auf die Umsetzung des Jungendmedienschutz-Staatsvertrags (JMStV) in Deutschland.

Im deutschen Diskurs bringen sich mehr Akteure ein

Wissenschaftler und staatliche Akteure sind in der Schweizer Regelungsdebatte stark präsent. Medien- und Internetakteure, die von möglichen Regeln betroffen sind, brachten sich jedoch kaum in den Diskurs ein. Auch Parteien, die sich in der Medienpolitik nur gering profilieren können, waren schwach vertreten.

Der deutsche Diskurs wurde im Gegensatz dazu breiter geführt. Neben staatlichen Akteuren und den Intermediären wie Parteien oder Verbände nahmen auch staatliche Regulierer wie die „Kommission für Jugendmedienschutz“ (KJM) und Selbstregulierungsakteure wie die „Freiwillige Selbstkontrolle Multimedia-Dienste-Anbieter“ (FSM e. V.) am öffentlichen Aushandlungsprozess teil. Ferner hatten kirchliche Akteure im deutschen Diskurs eine bedeutendere Stellung. Das hängt damit zusammen, dass die deutsche Medienpolitik gesellschaftliche Akteure stärker einbezieht als dies in der Schweiz der Fall ist.

Moralvorstellungen haben einen geringen Stellenwert

Welches Wissen verwandten die Akteure? Allgemein griffen sie sowohl in der Schweiz als auch in Deutschland sehr selten auf normative Wissensbestandteile zurück und rechtfertigten somit nur wenige Regelungsziele mit Moralvorstellungen, persönlichen Interessen oder unumgänglichen Notwendigkeiten.

Die Analyse zeigt zudem, dass in Deutschland politisch bedeutungsvolle Wissensformen zur Begründung von Regelungszielen einen höheren Stellenwert einnahmen als in der Schweiz – vor allem absolut, teils auch prozentual. So tauchte in der deutschen Debatte wissenschaftliches Wissen und im Speziellen das Wissen der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft rund doppelt so oft auf wie im Nachbarland.

Wissenschaftliches Wissen ist zwar nicht immer wertvoller als andere Wissensarten (vgl. Nullmeier/Rüb 1993: 30), doch verlangt das komplexe Regelungsfeld „Jugendmedienschutz im Internet“ nach spezialisiertem Wissen: Die deutschen Akteure äußerten häufiger Wissensformen, die eine Ursachen-Wirkung-Perspektive (kausales Wissen) einnehmen. Prognose-Wissen und Wissensformen, die keine alternative Deutung zulassen, sogenannte Müssenskonstruktionen, tauchten in den beiden Diskursen prozentual ungefähr gleich oft auf. In Deutschland waren sie absolut betrachtet jedoch deutlich relevanter.

Regulierungsstrukturen als Erklärung für Diskursunterschiede

Die Ergebnisse zeigen, dass die unterschiedlichen bestehenden Regelungsstrukturen in der Schweiz und Deutschland durch den Diskurs zum Jugendschutz im Internet reproduziert werden. Die regulierte Selbstregulierung in Deutschland, die den Organisationen der Selbstregulierung einen gesetzlichen Entscheidungsrahmen gewährt, hat einen Einfluss auf die Ausweitung der Debatte. Die Akteure bringen sich mit mehr Regelungszielen ein und tragen somit wiederum zu einer Ausdifferenzierung der Regeln zum Jugendschutz im Internet bei.

Zudem gehen die komplexen Regelungsstrukturen in Deutschland mit einer vermehrten Wissensartikulation einher. Wissensvermittlung ist besonders wichtig, denn komplexe Problemlagen verlangen nicht nach hierarchischen Regelstrukturen, sondern eher nach heterarchischen oder konsensualen. In diesen wiederum spielt die Vermittlung von Wissen unter den beteiligten Akteuren eine wichtigere Rolle (vgl. Schuppert 2006: 449). Im deutschen Diskurs sind daher Wissensbestände über das “richtige” Handeln und die “Nachbesserung” des Regelungssystems bedeutsamer als im Schweizer Diskurs.

Schweizer “Jugend-und-Medien”-Programm als neuer Debattenanstoß?

Um mit dem komplexen Problem auch in der Schweiz adäquat umzugehen, sollte der Regelungsdiskurs unter Beteiligung verschiedenster Akteure breit geführt und verschiedene Vorstellungen innerhalb des Wissensmarktes debattiert werden. Das nationale Programm “Jugend und Medien” (2011-2015), das unter anderem auch die Zusammenarbeit und Vernetzung der verschiedenen Akteure im Bereich Jugend und Medien fördern will, hat möglicherweise einen anstoßenden Effekt auf den Schweizer Diskurs.

Der Beitrag basiert auf Wassmer, Christian (2015): Jugendmedienschutz im Internet. Eine komparative Analyse zur Ressource Wissen in Governance-Regimes (= Reihe: Medienstrukturen, Bd. 7). Baden-Baden: Nomos.

Literatur:

Nullmeier, Frank/Rüb, Friedbert W. (1993): Die Transformation der Sozialpolitik. Vom Sozialstaat zum Sicherungsstaat. Frankfurt am Main/New York: Campus Verlag.

Schuppert, Gunnar F. (2006): Governance im Spiegel der Wissenschaftsdisziplinen. In: Schuppert, Gunnar F. (Hrsg.): Governance-Forschung. Vergewisserung über Stand und Entwicklungslinien. Baden-Baden: Nomos, S. 371-469.

 

Bildquelle: Lee Jordan/flickr.com

 

 

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