News und Show

1. Dezember 2015 • Digitales, Qualität & Ethik • von

Am Wochenende nach den Terroranschlägen in Paris war ich an einem Kolloquium am Bodensee. Es ging um Fragen wie die Migration. Noch mehr aber lernte ich über die Medien.

BreakingAm Samstagmorgen um 7.30 Uhr trafen wir uns zum Frühstück. Alle, die aus ihrem Hotelzimmer kamen, waren bestens informiert. Sie wussten, wie die Attentate in Paris orchestriert waren, sie wussten, dass es 130 Tote gegeben hatte. Sie wussten es über ihr Smartphone.

Dann brachte man die Tageszeitungen ins Haus. Die wussten gar nichts.

Die Blätter spekulierten in kurzen Meldungen ein bisschen über den Hergang und die Opferzahl. Nur die NZZ, die Aargauer Zeitung und die Neue Luzerner Zeitung hatten den Bericht eines Korrespondenten im Blatt. Die andern schliefen. Der frühe Redaktionsschluss hatte die Zeitungen als Informationsträger völlig unbrauchbar gemacht.

Noch nie wurde die journalistische Überlegenheit der Online-Medien über die Presse derart eingängig demonstriert wie in Paris. Es war ein Triumph der internen Konkurrenz. Das informative Online-Angebot stammte aus denselben Medienhäusern wie der unbrauchbare Print.

Nun könnte man einwenden, die Presse hätte bloß Pech gehabt, dass die Story so spät am Abend startete. Das stimmt leider nicht. Es gelang den Zeitungen auch in den folgenden Tagen nicht, den Rückstand auf die Online-Plattformen aufzuholen. Sie blieben ewige Zweite.

Wir können das an vier Kriterien festmachen, mit denen man den Journalismus jeweils misst: News, Hintergrund, Einordnung, Umsetzung.

Bei den News war offenkundig, dass sich das Prinzip des online first überall durchgesetzt hatte. Es gab rund um die Attentate keine Information von Belang und kein Statement von Belang, die nicht zuerst im Netz erschienen wären. Wenn wir auf einer Zehn-Punkte-Skala den Newswert der beiden Kanäle bewerten, dann bekommt Online zehn Punkte, die Presse null.

Als Hintergrund gefragt waren Interviews, Expertenmeinungen sowie zusätzliche Fakten über soziologische, politische und militärische Motive der Akteure. Hier waren beide Seiten ähnlich aktiv. Online punktete allerdings damit, dass es auch Videos bieten konnte, die einen eingängigeren Einblick boten. Auf der Zehn-Punkte-Skala gehen hier sieben Punkte an Online, drei an die Presse.

Bei der Einordnung wäre zu erwarten, dass die Tradition vorne liegt. Kommentare und Analysen sind Zeitungsdomänen. Die Chefredaktoren der Presse griffen denn auch kräftig in die Tasten, vom politisch korrekten Tages-Anzeiger-Chef Res Strehle (alles halb so schlimm) bis zum politisch fordernden NZZ-Chef Eric Gujer (schlimmer als gedacht). Nur, die Kommentare und Analysen aus der Redaktion wurden immer zuerst online und erst dann gedruckt publiziert. Auf der Zehn-Punkte-Skala gehen sechs Punkte ans Netz, vier an die Presse.

Bis hierher war Online klar überlegen – und das bessere Online-Angebot war erst noch gratis, das schlechtere Presse-Angebot hingegen kostenpflichtig.

Bleibt die Umsetzung, also die Gestaltung des Geschehens. Hier, bei den grafischen Showelementen, waren die Zeitungen auf einmal stark: Frontseiten ganz in Schwarz, riesige Titelschriften, gewaltige Bildstrecken, großflächige Infografiken. Solch emotionale Dramatik schaffte die Online-Welt in keiner Weise. Sie kam daher wie immer, im klein-karierten Korsett der digitalen Einförmigkeit. Neun Punkte für die Presse, einen für Online.

So hatten wir uns das eigentlich nicht gedacht: Die Online-Journalisten liefern die News und den Hintergrund. Die Zeitungsjournalisten liefern die Show.

Erstveröffentlichung: Weltwoche vom 19. November 2015

Bildquelle: Wikimedia Commons

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