Terra incognita

8. Februar 2016 • Digitales, Qualität & Ethik • von

Es ist kein Geheimnis, dass die Digitalisierung der Medien die öffentliche Kommunikation massiv verändert. Nur in der Medienselbstkontrolle hat sich diese Einsicht offenbar noch nicht durchgesetzt.

world wide web_1Wir wissen es alle und finden es von der Mediennutzungsforschung immer wieder von Neuem bestätigt: Das World Wide Web ist in unserem Alltag mittlerweile nahezu allgegenwärtig – und hat die Art und Weise, wie wir miteinander kommunizieren, grundlegend verändert. Von dieser Entwicklung sind professionelle Kommunikatoren natürlich nicht ausgenommen. Auch im Journalismus sind aufgrund der fortschreitenden Digitalisierung eigentlich alle Tätigkeiten und Arbeitsschritte einem ständigen Wandel unterworfen.

Interessanterweise konzentrierte sich der gesellschaftliche Diskurs über Wohl und Wehe des Journalismus in digitalen Medienumgebungen lange Zeit vor allem auf die vielfältigen Verheißungen des WWW. Onlinejournalismus biete – so zumindest die Theorie – neue Möglichkeiten der Nutzerbeteiligung, führe zu mehr Transparenz und letztlich gar zu einer allgemeinen Demokratisierung der journalistischen Profession.

Mittlerweile mehren sich jedoch die Hinweise, dass die Potenziale des Netzmediums allzu häufig ins Gegenteil umschlagen – und Redaktionen stattdessen mit neuen Problemen konfrontieren. Dazu gehört nicht nur die grundlegende Frage, wie sich Journalismus angesichts der Kostenloskultur im Internet überhaupt finanzieren lässt, sondern auch der Umgang mit einem allseits erhöhten Geschwindigkeitsdruck, Hass-Postings, Big Data und anderen Phänomenen der digitalen Medienwelt.

Medienselbstregulierung ist überfordert

Die Thematisierung derartiger Probleme im Bereich journalistischer Ethik ist üblicherweise Aufgabe der Medienselbstregulierung. Einrichtungen wie Presseräte, Ombudsleute und auch die journalistische Berichterstattung über den Journalismus verfolgen das erklärte Ziel, auf Fehlentwicklungen in der Branche hinzuweisen – und den Journalismus damit auf lange Sicht besser zu machen.

Die aktuellen Umwälzungen in der Medienlandschaft scheinen das System der Medienselbstregulierung bislang allerdings zu überfordern. Das legt zumindest eine aktuelle Studie des Instituts für vergleichende Medien- und Kommunikationsforschung an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und der Alpen-Adria-Universität nahe.

Aus international vergleichender Perspektive wurden Ethik-Kodizes und redaktionelle Richtlinien in insgesamt zwölf europäischen Ländern untersucht. Es zeigt sich: Themen wie Digitalisierung und Online-Kommunikation spielen darin in den meisten Fällen keine oder nur eine untergeordnete Rolle. In dieser Hinsicht ist auch der Ehrenkodex für die österreichische Presse keine Ausnahme.

Dabei spricht vieles dafür, die journalistischen Regelwerke zu überarbeiten und an die Bedingungen der Netz-Kommunikation anzupassen. Aus einer im Rahmen der Studie durchgeführten Befragung von Medienschaffenden geht nämlich hervor, dass die berufsethischen Konsequenzen aus dem Medienwandel als vielfältig und weitreichend wahrgenommen werden: Sie umfassen so unterschiedliche Bereiche wie die Recherche im Internet, speziell im Social Web, den Umgang mit Hyperlinks, die sich daraus ergebenden Anforderungen an die journalistische Sorgfalt, die Korrektur von Fehlern, den redaktionellen Umgang mit Nutzerkommentaren und User-Generated Content, Fragen der Verantwortung bei automatisierten Darstellungsformen sowie die Pflege von Online-Archiven und das in diesem Kontext diskutierte ‚Recht auf Vergessen’ – um nur einige wenige Stichworte zu nennen.

Für einen Großteil der Medien- und Presseräte in Europa sind derartige Problemfelder bislang jedoch eine Terra incognita. Auch in denjenigen Ländern, wo unlängst eine Überarbeitung der zentralen Ethik-Kodizes realisiert wurde (wie etwa in Finnland, den Niederlanden oder zuletzt in Deutschland), bleiben viele Fragen offen. Das internationale System der Medienselbstkontrolle – so scheint es – ist noch nicht im digitalen Zeitalter angekommen.

Impulse einer ‚partizipativen’ Medienkritik

Um darauf hinzuweisen, dass die Digitalisierung der Medien die öffentliche Kommunikation massiv verändert, braucht es keine komplexen wissenschaftlichen Studien, denn dieser Prozess ist für jeden Mediennutzer tagtäglich direkt spürbar. Offenbar ist es aber sehr wohl ein Fall für die Wissenschaft, den internationalen und hiesigen Institutionen der Medienselbstkontrolle ein Umdenken nahezulegen.

Ein nachhaltiger Diskurs über Ethik und Qualität im Journalismus muss nicht nur die aktuelle Medienentwicklung im Blick behalten. Er sollte überdies verstärkt auch die journalismus-externen Anspruchsgruppen einbeziehen – nicht zuletzt das Publikum. Schon seit Jahren liefern Mediennutzer über Kanäle wie Twitter und Facebook, aber auch über einschlägige Watchblogs wie Kobuk! wichtige medienkritische Impulse. Einrichtungen wie Medien- und Presseräte täten gut daran, auch diesen Stimmen mehr Gehör zu schenken – und das Konzept einer brancheninternen Medienselbstregulierung zu einer zeitgemäßeren ‚partizipativen Medienregulierung’ umzubauen.

Erstveröffentlichung: derStandard.at vom 8. Februar 2016

Bildquelle: Mike Licht / Flickr Cc

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