Was ist neu an Fake News?

30. Mai 2017 • Digitales, Qualität & Ethik • von

Sie sind kein „Fehlverhalten“, sondern ein Geschäftsmodell und das Resultat einer Click Economy.

1981: Die Journalistin Janet Cooke von der Washington Post erhält den Pulitzer-Preis mit einer Reportage über Jimmy, einen achtjährigen, in dritter Generation heroinabhängigen Jungen. Später muss Cooke zugeben, dass Jimmy nicht existiert, die Geschichte frei erfunden ist.

2003: US-Außenminister Colin Powell hält vor dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen eine Rede, in der er die Existenz von Massenvernichtungswaffen im Irak des damaligen Machthabers Saddam Hussein erläutert, und untermauert seine Darstellung mit „Beweisen“. Später wird er zugeben, dass diese falsch waren.

2016: Die „Nachrichtenseite“ WTOE 5 News berichtet, dass Papst Franziskus, einer der prominentesten Kritiker Donald Trumps, dem damaligen republikanischen Kandidaten seine Unterstützung zugesagt hat. Auch das falsch. Gab es also schon immer Fake News? Was genau sind Fake News überhaupt?

Manche Forscher betrachten alles, was in sozialen Medien zirkuliert und nicht „stimmt“, als Fake News, inklusive Memes (unterhaltsame Bildmontagen mit einer kurzen und bündigen Botschaft). Andere dehnen den Begriff auch auf falsche Medienberichte aus, die aus unabsichtlichen Recherchefehlern entstanden sind. Sogar Verschwörungstheorien werden mitunter als Fake News neu verpackt und diskutiert.

Es ist also nötig, Ordnung in dieses Begriffschaos zu bringen: Memes stimmen nicht mit der Realität überein, erheben aber auch nicht den Anspruch darauf. Verschwörungstheorien stellen Ursachen oder Entstehungskontexte dar und nicht einzelne, bewusst lancierte Falschmeldungen. Recherchefehler wiederum können falsche Meldungen produzieren, sind aber weder bewusst noch beabsichtigt.

Es erscheint vielmehr sinnvoll, den Begriff „Fake News“ für falsche Meldungen zu reservieren, die a) keinen Sachverhaltsbezug auf außermedialer Ebene haben, denen b) aber ein Realitätsbezug durch die Rezipienten zugeschrieben wird und deren Produzenten c) wissen, dass es diesen außermedialen Realitätsbezug auf Sachverhaltsebene nicht gibt. Was soll aber ein Realitätsbezug sein? Gibt es so etwas überhaupt? Ist nicht alles eine Frage der Perspektive?

Eine Frage des Sachverhalts

Alle Nachrichten umfassen zwei Ebenen: die Sachverhalts- und die Deutungsebene. Bei der Sachverhaltsebene geht es um die Fragen des Was, Wer, Wo und Wann. Auf der Deutungsebene werden wiederum Ursachen und Folgen ermittelt oder, konkret formuliert, nach dem Wie und dem Warum gefragt.

Die Informationen auf Sachverhaltsebene lassen sich eindeutig überprüfen. Es ist nachprüfbar, ob zum Beispiel 22 Menschen bei einer Bombenexplosion gestorben sind oder nicht. Beide Varianten zugleich können nicht zutreffen, die dementsprechenden Informationen nicht stimmen. Denkt man an die Kritik, wonach Nachrichten nur Konstruktionen der Wirklichkeit seien, kann diese nur auf die Deutungsebene, nicht aber auf die Sachverhaltsebene abzielen.

Die Anzahl der Toten ist keine mediale Konstruktion, sondern eine intersubjektiv nachprüfbare Information mit einer außermedialen Dimension. Entspricht die deskriptive Äußerung dem Sachverhalt, auf den sie sich bezieht, dann gilt sie als wahr (im Sinne der sogenannten Korrespondenztheorie der Wahrheit). Aus diesem Grund kann es auch keine „alternative Fakten“ geben, sondern höchstens eine andere Deutung der Fakten oder die Thematisierung anderer Gesichtspunkte. Die Deutungsebene ist daher viel komplexer und lässt sich nicht auf den Code wahr/falsch reduzieren.

Tendenziöse Berichterstattung

Das Fake an derartigen News bedeutet deswegen nicht in erster Linie tendenziös, sondern einfach falsch. Eine tendenziöse Berichterstattung – in der Kommunikationsforschung als Media Bias bezeichnet – kann in unterschiedlichen Formen beobachtet werden. Medien können bestimmte Ereignisse, Personen oder Meinungen nicht thematisieren oder aber ihnen mehr Sichtbarkeit als anderen verschaffen, indem sie häufiger darüber berichten (Selection Bias). Medien können aber auch eine Seite eher positiv oder eine andere vornehmlich aus negativem Blickwinkel darstellen (Coverage Bias). All das ist möglich, ohne sich Erfindungen oder Lügen bedienen zu müssen.

Eine abweichende Beschreibung der Realität kann wiederum erfolgen, wenn die Medienproduzenten sich zum Beispiel auf falsche Quellen eingelassen haben oder sie keinen direkten Zugang zu dem Ort hatten, an dem das Ereignis passiert ist. Enthält ein Bericht falsche Angaben, handelt es sich um Description Bias.

Fließen falsche Informationen ein oder wird die Berichterstattung durch die innewohnenden Eigenschaften des medialen Produktionsprozesses einseitig, werden solche Probleme wiederum durch Media Operational Bias verursacht.

Fake News können tendenziöse Effekte haben beziehungsweise dafür instrumentalisiert werden. Das ist aber nicht der Kern dessen, was sie ausmacht. Anders als bei anderen Formen von Description Bias erfolgt die Fake-News-Produktion bewusst und systematisch. Das liegt daran, dass sich mit dem Aufkommen der sozialen Medien innerhalb des Mediensystems eine eigene Branche für falsche Meldungen entwickelt hat. Sie sind also kein „Fehlverhalten“, wie das im Fall von Janet Cooke gegeben war, sondern ein Geschäftsmodell, das Resultat einer Click Economy.

Propaganda

Aus diesem Grund sind Fake News auch nicht unbedingt eine ideologische Frage. Sicherlich können sich politische Gruppen der Fake News als einer unter mehreren Strategien bedienen, um die öffentliche Meinung in ihrem Sinn zu beeinflussen, und sie tun das auch. Weder sind aber all diese Strategien Fake News, noch werden Fake News allein und ausschließlich von politischen Gruppen produziert.

Gerade wenn Sie diese Zeilen lesen, sitzen irgendwo Personen vor einem Rechner und produzieren falsche Meldungen, die sowohl dem jetzigen US-Präsidenten Donald Trump als auch dessen Gegnern schaden können, wie es während des US-Wahlkampfs geschah. Diese „Produzenten“ verdienen reales Geld durch Klicks aus beiden Lagern.

Mitunter bestehen derartige Quellen für solche Falschmeldungen sogar aus satirischen Seiten ohne jegliche organisatorische oder weltanschauliche Nähe zu politischen Kräften. Das alles unterscheidet Fake News von jenen, aus politischen Gründen, erfundenen Massenvernichtungswaffen des Colin Powell.

Zusammengefasst: Fake News sind weder mit Propaganda noch mit tendenziöser Berichterstattung gleichzusetzen. Im Kern handelt es sich um die systematische Produktion von Meldungen, die einen Realitätsbezug vorgeben, aber wissentlich von der Wirklichkeit abweichen. Es handelt sich um keine Bias, weil eine tendenziöse Berichterstattung ohne Erfindungen auskommt. Fake News lassen sich aber auch nicht mit Propaganda gleichsetzen, weil die Absichten der Produzenten vielfältiger sind und die Produktion nicht alleinig, oftmals sogar gar nicht politisch motiviert ist. Und das ist neu an dem Phänomen Fake News: Die Wurzeln liegen nicht in der Politik, sondern, ausgehend von den Social Network Sites, in Entwicklungen innerhalb des Mediensystems selbst.

Erstveröffentlichung: derStandard.at vom 30. Mai 2017

Bildquelle: pixabay.com 

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