Weniger surfen

13. Juni 2003 • Digitales • von

Neue Zürcher Zeitung, 13. Juni 2003

RSS-Reader als Ergänzung zum Browser
Von einer breiteren Öffentlichkeit noch weitgehend unbemerkt, beginnt sich im Internet ein neues Datenformat auszubreiten. Die Auszeichnungssprache in RSS ermöglicht es, den Inhalt verschiedenster Websites in laufend aktualisierten «Inhaltsverzeichnissen» auf dem Bildschirm des Anwenders automatisch zusammenzuführen.

Surfen kann anstrengend sein – besonders im Internet. Um über laufende Ereignisse, Neues aus der eigenen Branche oder Interessantes im Hobbybereich informiert zu sein, steuert der Anwender im Verlauf eines Tages mitunter Dutzende von Websites an, oft um frustriert feststellen zu müssen, dass keine relevanten Informationen dazugekommen sind. Viel Zeit und viel Ärger können damit verbunden sein, gilt es doch, sich mit aufdringlichen Pop-ups und lästigen Werbebannern herumzuschlagen.

Kein Wunder also, dass allenthalben nach Wegen gesucht wird, die Informationsbeschaffung via Internet effizienter zu gestalten. Intelligente Software-Agenten sollen dem Anwender das Surfen abnehmen und ihn nur noch mit relevanten Informationen versorgen. Doch bis es so weit ist, dürfte es lohnend sein, sich mit weniger futuristischen Anwendungen zu begnügen.

Personalisierte Informationen

Als bestechend einfache Alternative zum zeitaufwendigen Surfen bieten sich sogenannte News-Aggregatoren oder RSS-Reader an. Diese führen Überschriften, dazugehörige Links und Textanrisse verschiedener, frei definierbarer Websites auf dem Monitor des Benutzers zusammen, ohne dass dieser die Sites der Anbieter selber besuchen muss. Erst wenn ein Titel auf das Interesse des Anwenders stösst, gelangt er durch Anklicken auf die zugehörige Website. In ihrer Funktion erinnern RSS-Reader somit an die personalisierbaren Angebote von Portalen. Und zu diesem Zweck ist das den Aggregatoren zugrunde liegende RSS-Format von Netscape ursprünglich auch entwickelt worden.

Über die Bedeutung der Abkürzung des bereits seit mehreren Jahren existierenden Formats herrscht Uneinigkeit. Die einen wollen in ihr den Ausdruck «Rich Site Summary» sehen, für andere steht RSS für «RDF Site Summary», wiederum andere sehen in den drei Buchstaben den Ausdruck «Really Simple Syndication». Sicher ist, dass es sich bei RSS um einen standardisierten «Dialekt» der Extensible Markup Language (XML) handelt, der – anders als HTML – Inhalte nicht mit Layout-Informationen (fett, kursiv usw.), sondern mit semantischen Angaben versieht. Damit sind sogenannte RSS-Feeds maschinenlesbar, und ein Computer beziehungsweise ein Software-Programm erkennt etwa einen Titel als Titel oder einen Urheber als Urheber. RSS eignet sich deshalb auch für «Content Syndication», also für die Verteilung von Inhalten zum Beispiel auf Websites.

Grosses Angebot

Das Angebot an RSS-Reader-Software ist mittlerweile recht gross. Bis zu drei Dutzend meist mehr oder weniger ausgereifte Share- oder Freeware-Programme werden auf einschlägigen Websites mittlerweile aufgelistet. Die gebräuchlicheren wie Feed-Reader, Newz Crawler oder Headline Viewer für Windows und Net-News-Wire für MacOS orientieren sich an der dreigeteilten Benutzeroberfläche von E-Mail-Clients mit einem Fenster für die Darstellung der «abonnierten» Feeds oder Channels, einem weiteren für die Auflistung der Headlines der einzelnen Feeds und einem dritten für allenfalls vorhandene Kurztexte. Noch einen Schritt weiter geht das kostenpflichtige News-Gator, das als Plugin direkt in Microsoft Outlook integriert werden kann.

Mit Programmen wie dem Open-Source-Aggregator Ampheta-Desk lassen sich Schlagzeilen im RSS-Format aber auch direkt im Webbrowser anzeigen, und für Mozilla und Netscape existieren Lösungen für RSS-Sidebars. Weitere Möglichkeiten sind etwa ein RSS-Reader im Tickerband-Format (WTicker) oder die Option, RSS-Feeds als E-Mail zu empfangen (AmphetaMailer, rss2email). Wer schliesslich gänzlich auf die Installation zusätzlicher Software verzichten will, kann auf webbasierte RSS-Aggregatoren wie Meerkat oder den Service von News-Is-Free zurückgreifen.

News-Is-Free unterhält zudem ein Verzeichnis von RSS-Feeds, das derzeit gut 5500 Angebote aufführt. Noch mehr Feeds – nach Auskunft seines Betreibers rund 14 000 – umfasst das Verzeichnis von Syndic8. Als besonders nützlich erweist sich eine weitere Dienstleistung von News-Is-Free. Ist für ein Internetangebot kein Channel im RSS-Format vorhanden, versucht der Service durch sogenanntes «Scraping» die für einen RSS-Feed erforderlichen Angaben aus den Websites herauszufiltern. Ein ähnlicher Dienst findet sich auch unter myRSS.com.

Und besonders bei den Angeboten traditioneller Medienunternehmen ist noch viel «Scraping» erforderlich, üben sich die meisten doch vorerst noch in vornehmer Zurückhaltung, wenn es darum geht, Inhalte über alternative Kanäle zugänglich zu machen. Keiner der grossen Schweizer Verlage wartet zurzeit mit Schlagzeilen im RSS-Format auf. Und auch im internationalen Medienbereich tut sich vorerst recht wenig. Im deutschsprachigen Raum halten die Websites des ORF, der ARD-Tagesschau und der Zeitung «Die Welt» mehr oder weniger leicht auffindbare Angebote im RSS-Format bereit, die «New York Times» macht Benutzern einer bestimmten Blogging-Software eine Handvoll thematischer Feeds zugänglich, und die BBC versteckt auf ihrem News-Portal einige RSS-Channels. Etwas aufgeschlossener zeigen sich da die «New Economy»-Überlebenden «Salon», «Wired» und «CNET News». Für Aufsehen gesorgt hat in den USA vor einigen Monaten die Zeitung «Christian Science Monitor» («CSM»), die als eine der wenigen etablierten Publikationen RSS-Feeds anbietet und fördert.

Von Bloggern «gepusht»

Die traditionellen Medienunternehmen scheinen im Kampf um die Aufmerksamkeit auf ihre etablierten Marken zu vertrauen und versuchen nach wie vor, die User über die für Werbekunden besonders attraktiven Einstiegsseiten in die Tiefen ihrer Angebote zu locken. Noch sucht man denn die auf RSS-Feeds hinweisenden, orangefarbenen Buttons mit den drei Lettern XML auf Mainstream-Angeboten meist vergebens. Allgegenwärtig sind diese hingegen auf den Websites der Blogger, die zweifellos zu den eifrigsten Verfechtern des RSS-Formats gehören. Nicht nur hat ihnen das Aufkommen von Blogging-Tools den Zugang zu den bis anhin hauptsächlich traditionellen Medienhäusern vorbehaltenen Redaktions- oder Content-Management-Systemen eröffnet, auch im Vertriebsbereich können sie nun mit den «Grossen» gleichziehen, übernimmt die RSS- Technologie doch die Aufgabe von «Verträgernetzen», die den Lesern die Inhalte wenn nicht vor die Haustür, so doch auf den Bildschirm liefern – von der Funktion her eine Renaissance der einst hochgejubelten Push-Technologie.

Der Weblog-Szene kommt bei der derzeit einsetzenden Popularisierung des RSS-Formats denn auch eine entscheidende Rolle zu. Die Technologie ist aber eben erst dabei, von einer breiteren Öffentlichkeit wahrgenommen zu werden. Noch sind die erforderlichen Werkzeuge unausgereift und fehleranfällig, und noch halten sich die etablierten Anbieter von Informationen weitgehend zurück. Gehört die Fähigkeit, Daten im RSS-Format darzustellen, aber einmal zur Grundausstattung der gängigen Browser – und davon wird allgemein ausgegangen -, könnten RSS-Feeds dereinst allgegenwärtig sein.

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