“Es könnte doch noch alles gut werden”

27. Oktober 2007 • Medienpolitik • von

Neue Zürcher Zeitung, 12.Oktober 2007

Die Qualitätspresse im Gewirr der Medienrevolution.
Die Revolution im Mediensektor erschüttert die klassischen Zeitungen. Während Verlegerfamilien das Interesse an ihren Blättern verlieren, sehen Finanzinvestoren Renditechancen.

Tim Rutten schaut durch das Panoramafenster seines geräumigen Lofts über Downtown Los Angeles. In der Ferne, über den San Gabriel Mountains östlich der Stadt, sieht er schwarze Gewitterwolken aufziehen. Rutten ist Kolumnist der «Los Angeles Times» – und noch immer optimistisch: «Wenn Private Equity es endlich kapieren würde, für ein langfristiges Wachstum zu investieren und dafür kleinere Profite in Kauf zu nehmen, könnte doch noch alles gut werden.»

Finanzinvestoren im Vormarsch

Keine acht Wochen ist es her, dass der schwerreiche Immobilienzar Samuel Zell das prestigeträchtige US-Zeitungsimperium Tribune («Los Angeles Times», «Baltimore Sun», «Chicago Tribune») für 13 Milliarden Dollar kaufte. Für die Medienbranche war das nach der Übernahme des «Wall Street Journal» durch Rupert Murdoch ein weiteres ungutes Omen. Denn Finanzinvestoren und Mischkonzerne, die von satten Renditen und crossmedialen Verwertungsketten träumen, drängen auf die amerikanischen Pressemärkte. Im Gebälk der traditionellen Verlagshäuser knirscht und knackt es gewaltig. Gerade im Vorzeigeland des Qualitätsjournalismus haben die ersten Pressebarone und alteingesessenen Inhaberfamilien – an der Westküste die Chandlers («Los Angeles Times»), an der Ostküste die Bancrofts («Wall Street Journal») – das Handtuch geworfen und dem Zeitungsgeschäft Goodbye gesagt. Es scheint offenbar nur eine Frage des Preises, ob andere Pulitzerpreis-gekrönte Adressen wie die der Ochs-Sulzbergers («New York Times») oder der Grahams («Washington Post») dem Einkaufsbummel von Grossinvestoren und Medienzaren noch widerstehen.

Das Schreckgespenst des publizistischen Ausverkaufs irrlichtert auch durch deutschsprachige Verlagsetagen. Im vergangenen Mai ging ein einsamer Aufschrei durchs Land, als bekannt wurde, dass sich die Inhaberfamilien der «Süddeutschen Zeitung» ihrer Anteile entledigen wollen. Kein Geringerer als Jürgen Habermas zeichnete ein düsteres Bild des seriösen Zeitungswesens: Er forderte Alimentierungen durch den Staat oder staatsnahe Organe nach dem Modell des öffentlichen Rundfunks. Um «das öffentliche Gut der Qualitätspresse im Einzelfall zu schützen», müsse solches in Erwägung gezogen werden.

Nachholbedarf in Asien und Osteuropa

Bei aller Panik, die gute Nachricht ist: Die gedruckte Zeitungsauflage ist nach Angabe der World Association of Newspapers (WAN) im Jahr 2006 gegenüber 2005 weltweit um 2,3 Prozent gestiegen, die verkaufte gar um 9,5 Prozent, die Anzeigenerlöse stiegen im selben Zeitraum um 3,8 Prozent. Die schlechte lautet: Während in Osteuropa, Afrika und Asien die Pressemärkte derzeit boomen wie hierzulande zu Zeiten des Wirtschaftswunders, kriselt in den klassischen Zeitungsländern wie Deutschland, Grossbritannien, der Schweiz und den USA die Zeitung, wie wir sie seit Erfindung der Druckerpresse kennen. Das Internet setzt ihr stark zu.

Pessimisten sprechen bereits vom «Newspaper Endgame». «In zwanzig Jahren wird es vermutlich keine gedruckten Zeitungen mehr geben», meint etwa David M. Rubin, Dekan der S. I. Newhouse School of Public Communications an der Syracuse University. Auch Philip Meyer von der University of North Carolina rechnet damit, dass um das Jahr 2040 die letzte Zeitung von der Druckwalze läuft.

Sinkende Auflagen und Werbeeinnahmen sind nur ein Teil der Strukturkrise. Den Zeitungsforschern gibt mehr zu denken, dass unabhängige Verlegerfamilien, denen Buchstaben stets wichtiger waren als tiefschwarze Zahlen, ihr Tafelsilber zu verscherbeln beginnen – als gelte es, aus dem sterbenden Patienten noch möglichst reichlich Kapital zu schlagen. «Brutal Squeezer» heissen im Berater-Jargon diejenigen, die in Zeitungen ausschliesslich den Cashflow wittern: «Vielen der neuen Hauptanteilseigner von Zeitungsverlagen geht es heute nur noch darum, die Ernte einzufahren, also den letzten Penny aus dem Unternehmen zu quetschen, bevor es stirbt», sagt Meyer. «Das Internet hat das Zeitungsmonopol gesprengt, doch statt nach neuen Wegen für sinnvolle Investitionen zu suchen, fällt den meisten Verlegern nichts Besseres ein, als Kosten zu sparen.» Das führe zu abnehmender Qualität und weniger Lesern. Meyer sieht darin eine «Todesspirale».

 

Schrumpfendes Selbstbewusstsein

Das kurze, aber schmerzvolle Engagement von Finanzinvestoren und Private-Equity-Gesellschaften nagt am Ego vor allem derjenigen Journalisten, die ihren Beruf als Berufung auffassen. Laut einer Studie ist die Mehrheit der US-Journalisten überzeugt davon, dass zunehmender wirtschaftlicher Druck dem Qualitätsjournalismus auf Dauer schade. Gerade die Edelfedern und Rechercheure sind besorgt. «Unsere Zeitungen schrumpfen, und damit auch unser Selbstbewusstsein», sagte John Carroll Ende April 2006 in einer viel beachteten Rede vor der American Society of Newspapers Editors. Carroll, altgedienter Redaktor und ehemaliger Herausgeber gleich dreier Qualitätsblätter («Los Angeles Times», «Baltimore Sun», «Lexington Herald Leader»), beklagte auf dem Jahrestreffen in Seattle, dass sich Journalisten offenbar immer mehr den Aktionären des jeweiligen Verlags verpflichtet fühlten, statt dem Leser die Welt zu erklären.

Schädlich ist dieser Gesinnungswandel gerade für die Prestigepresse, die bisweilen mehr Federn lassen musste, als so mancher kluge Kopf dahinter zu prophezeien gewagt hätte. Nur die «New York Times» konnte ihre Auflage bei 1,1 Millionen Exemplaren stabil halten. Doch wie lange ihr Verlag unter Kontrolle der Ochs-Sulzbergers sich dem Druck der Aktionäre widersetzen kann, bleibt offen. In Zeiten, wo Renditen in Höhe von 20 Prozent und mehr erwartet und aus Verlagshäusern Profitcenter mit angeschlossenen TV-Sendern und Online-Portalen werden, ist der crossmediale Grössenwahn zum Primat geworden.

Schon in wenigen Jahren könnten wegen des Internets aus gedruckten Qualitätsblättern «Totem-Newspapers» werden, wie Tom Wolfe einmal meinte: Zeitungen als Luxusartikel, die die Konsumenten wie eine Prada-Handtasche beim Einkaufen spazieren führen. Noch aber laufen die Druckwalzen, und journalistische Glaubwürdigkeit vermittelt sich am ehesten über Gedrucktes. Auch definieren Zeitungen nach wie vor in vielen Teilen der Welt die politische Agenda.

Die publizistische Macht von Informationsangeboten im Netz wächst derweil ungebrochen, bei geringer werdender Aufmerksamkeit der jüngeren Konsumenten. Yahoo und Google führen die US-Hitliste in puncto Zugriffszahlen an, es folgen MySpace, Wikipedia und Blogger.com. Abgesehen von der «New York Times», die sich immerhin unter den Top 40 behauptet, rangieren andere Qualitätszeitungen mit ihren Online-Angeboten abgeschlagen auf hinteren Plätzen. Den Verlegern ist vor allem die Ausbreitung des «Googlepex», des Superhirns der Suchmaschine, ein Dorn im Auge. Dessen Nachrichtendienst «Google News» sei für sie mehr Feind als Freund, sagt Lloyd, Gründungsherausgeber des «Financial Times Magazine». Denn das Programm suche sich von überall dort Nachrichteninhalte zusammen, wo sie für viel Geld recherchiert wurden.

Weiterbildung als Fremdwort

«Wir werden immer Journalisten brauchen», meint Jay Rosen, Journalismusprofessor an der New York University und Herausgeber von PressThink, einem der bekanntesten Journalismus-Blogs. Er kritisiert aber zugleich die Lernunfähigkeit der Zeitungsverlage: «Weiterbildung ist in den Redaktionen ein Fremdwort.» Das erkenne man schon daran, dass Online-Redaktionen bis vor kurzem noch sowohl redaktionell als auch räumlich getrennt von ihren Print-Kollegen arbeiten mussten: «Die Newsroom-Kultur steht Veränderungen feindlich gegenüber und sieht im Paradigma des Sich-neu-Erfindens einen Witz, der auf Gurus zutrifft, nicht aber auf Journalisten».

Nur weil Ressourcen an teures Papier gebunden waren und Redaktoren sich an einem statischen System aus Zeilenvorgaben und Ressortgliederungen orientieren, heisst das jedoch noch lange nicht, es gebe kein Überleben für sorgfältigen und teuren Journalismus in virtuellen Kanälen. Diese haben zumindest den unschlagbaren Vorteil, nicht wie der Zeitungsvertrieb immense Distributionskosten zu verschlingen. Überhaupt: Wenn sich Rezeptionsgewohnheiten ändern, sollten die Flaggschiffe unter den Medienmarken nicht nur den Kurs ändern, sondern ihn auch vorgeben – was bisher versäumt wurde. Folglich liegt der nächste Evolutionsschritt für Tim Rutten im komplementären Verhältnis von Druckerzeugnis und digitalen Inhalten: Die Online-Ausgabe bietet aktuelle Schlagzeilen, Videos und Interaktivität, massgeschneidert für mobile Geräte, die klassische Zeitung druckt Analysen, Meinungen und Hintergrundinformationen. «Das hätte den Vorteil», so Rutten, «dass im täglichen Zeitungsbetrieb sehr viel mehr Sorgfalt bei der Planung und Redaktion aufgewandt würde.»

Die Leser beteiligen?

Habermas' Vorschlag, angesichts der ökonomischen Schwierigkeiten die Qualitätspresse durch öffentliche Gelder zu unterstützen, hält Jay Rosen zumindest im Hinblick auf die USA für keine gute Idee. «Innerhalb einer Woche würden die Republikaner solche Beihilfen politisieren und die Presse der liberalen Befangenheit bezichtigen.» Weniger heikel, meint wiederum Medienjournalist Rutten, wären Finanzierungsformen, bei denen nicht grosse Männer in teuren Anzügen, sondern die Zeitungsbelegschaft und die Leser Anteile an «ihrer» Zeitung halten und gemeinsam über die Geschicke des Blatts befinden.

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