Sachfragen stellen, Provokationen offenlegen    

27. September 2017 • Medienpolitik • von

Haben die Medien zu viel über die AfD berichtet und sind deshalb Schuld an den hohen Wählerzahlen der AfD? Christina Holtz-Bacha, Professorin für Kommunikationswissenschaft an der Universität Erlangen-Nürnberg, hat die Berichterstattung vor, während und nach der Wahl beobachtet und spricht mit dem EJO über ihre Eindrücke und darüber, wie Journalisten vermeiden können, von populistischen Parteien instrumentalisiert zu werden.

Christina Holtz-Bacha. Foto: FAU

Frau Prof. Dr. Holtz-Bacha, mit der AfD ist eine rechtspopulistische Partei, die weder ein Renten- oder Steuerkonzept hat,zur drittstärksten Fraktion im Bundestag geworden. Kritiker sehen auch die Medien in der Verantwortung. Sie werfen ihnen vor, der AfD in der Berichterstattung eine zu große Bühne geboten zu haben. Stimmen Sie dem zu?

C. H-B.: So direkt nicht. Es geht darum, ob die Medien die AfD „hochgejubelt“ haben. Vor allem auch Talkshows stehen in der Kritik, sie hätten möglicherweise sogar für mehr Zulauf zur AfD gesorgt. In der Berliner Runde am Wahlabend hat Joachim Herrmann von der CSU ARD und ZDF vorgeworfen, sie hätten der AfD in der gesamten Wahlberichterstattung zu viel Aufmerksamkeit geschenkt. Ich kann mich dem nicht so ohne weiteres anschließen. Ich frage mich: wie wäre es umgekehrt gewesen? Totschweigen geht auch nicht. Eine Partei, die große Chancen hat, in den Bundestag einzuziehen, muss man berücksichtigen. Das kann man auch dem Parteiengesetz entnehmen, das, in Abhängigkeit von der Größe der Partei, Chancengleichheit fordert.

Dennoch, ist die intensive Berichterstattung über die AfD ein Grund für ihren Erfolg bei der Wahl?

C.H-B.: Sicherlich bedeutet diese Wahl einen Umbruch. Es ist eine Sache, eine Partei wie die AfD zu berücksichtigen. Damit schafft man sicher auch Aufmerksamkeit und möglicherweise Zulauf. Dies würde ich im Übrigen nicht nur den Medien, sondern auch der Politik in ihrem Umgang mit der AfD vorwerfen. Die Frage ist, wie man die AfD thematisiert. Man sollte vorführen, dass sie eine Ein-Themen-Partei ist.

Das Problem ist: Die populistischen Parteien nutzen öffentliche Reaktionen auf sie aus. Die Medien werden gewissermaßen Opfer dieser Strategie. Sie können das nicht verhindern, aber sie sollten die Strategien der AfD offen legen. Das ist im Wahlkampf schon mal passiert. Man muss sich mit diesen Parteien auseinandersetzen, aber gut reflektieren, wie das passiert.

Der Vorwurf von Joachim Herrmann und anderen ist nicht, dass überhaupt über die AfD berichtet wurde, sondern, dass es zu viel gewesen sei. Die AfD hätte die Berichterstattung dominiert.

C. H-B.: Herr Herrmann hat das in einer Sendung gesagt, in der er selbst Gast war. Talkshowgäste haben durchaus die Möglichkeit, selbst Themen anzusprechen und in den Vordergrund zu rücken. Das ist in der Berliner Runde ziemlich spät passiert. Herr Herrmann hat erst auf eine Aussage von Frau Göring-Eckhardt hin diese Kritik geäußert. Warum nicht früher?

Auch die Moderatoren trifft natürlich eine gewisse Schuld, denn sie stellen die Fragen. Den Kandidaten wurden aber unterschiedliche Fragen gestellt und ich habe keinen Überblick darüber, ob die Fragen bezüglich der AfD tatsächlich überproportional dominiert haben.

Eine Frage von ZDF-Chefredakteur Peter Frey an Alexander Gauland lautete: „Was haben Sie sich für diese Arbeit im Bundestag vorgenommen? Krawall und Populismus wie bisher? Oder wollen Sie eine konstruktive Opposition sein?“ Welchen Effekt haben derartig „rhetorische“ Fragen?

C. H-B.: So etwas zielt natürlich genau auf die Strategie der Populisten ab. Sinnvoller wäre gewesen, Sachfragen zu stellen. Man hätte zum Beispiel nach den Plänen der AfD für ihre Arbeit im Bundestag fragen können. Wenn die Berichterstattung über populistische Parteien gut läuft, versucht man, sie auf die Probe zu stellen. Das kann eventuell sogar Leuten die Augen öffnen, die die Populisten ursprünglich unterstützt hätten.

Auch vor der Wahl wurden die AfD und ihre populistischen „Aufreger“ oft thematisiert. Ein Kritikpunkt lautet aber auch, dass die Berichterstattung über den Wahlkampf einseitig gewesen sei und gewisse Themen – beispielsweise die Flüchtlingsfrage – andere Themen verdrängt hätten. Teilen Sie diese Ansicht?

C. H-B.: Erst einmal begann der Wahlkampf spät. Angela Merkel ist erst nach ihrem Urlaub eingestiegen. Richtig los ging es eigentlich erst mit dem TV-Duell, aber auch dann wurde es nicht wirklich spannend. Die AfD hat die Lücken genutzt, um sich in den Vordergrund zu drängen, auch medial. Es ist schwierig, dass der Bundestagswahlkampf quasi in den Ferien geführt wird. Schulz hat sich den ganzen Sommer „abgeackert“, aber es fehlte ihm ein Gegenüber. Das hat er selbst immer wieder beklagt. Was das Flüchtlingsthema angeht, das kam meiner Meinung nach im Wahlkampf erst spät auf den Tisch. Frau Merkel hat es erst in ihrer Pressekonferenz nach dem Urlaub angesprochen. Vielleicht gab es da einen Konsens, das Thema erstmal zu meiden?

Insgesamt gab es in der Wahlberichterstattung zum Glück nicht viel Klamauk, wie das sonst in der letzten Zeit manchmal der Fall war. Es ging eher um ernstere Politikberichterstattung.

Nun geht es an die Regierungsbildung. Mit der AfD im Bundestag wird es vermutlich immer wieder zu neuen Provokationen kommen. Das kündigt die Partei sogar in einem im Januar veröffentlichten Whitepaper an. Wie sollten die Medien Ihrer Meinung nach konstruktiv darauf reagieren?

C. H-B.: Man kann natürlich an dem Stil solcher populistischer Debatten, an den Provokationen, nicht vorbei sehen. Trotzdem sollten die Sachdiskussionen im Vordergrund stehen. Bei der Debatte, die wir jetzt gerade führen, denke ich immer daran, wie die Situation der Grünen bei ihrer Gründung und ihren ersten Erfolgen war. Damals schien es eine Art „Medienbarriere“ zu geben: Für die Grünen war es schwierig, in den Medien überhaupt Erwähnung zu finden, obwohl auch sie versucht haben, mit „Happenings“ auf sich aufmerksam zu machen. Bei der AfD ist das anders. Jetzt, wo sie im Bundestag ist, muss man ihr auf die Finger klopfen.

 

Das Interview führte Johanna Mack

 

Foto: Pixabay

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