Volkshochschule Leutschenbach

19. Oktober 2010 • Medienpolitik • von

Meinung

Eine unkühne Prognose: Dem Deutschschweizer Fernsehen steht eine ziemliche Talfahrt bevor.

Rudolf Matter, der neue Radio- und TV-Chef, gab der NZZ am Sonntag ein Interview. Das Interview war darum interessant, weil Matter wie eine Gebetsmühle seine Botschaft wiederholte und wiederholte. Gleich sechsmal wiederholte er dasselbe Wort, um sein künftiges Fernsehprogramm zu beschreiben. Das Wort hieß: relevant.

Für Leser, die sich bei Fremdwörtern nicht so gut auskennen, führen wir kurz die Synonyme für die Relevanz auf. Relevant heißt: bedeutungsschwer, tiefgründig, hochstehend, essenziell, ernsthaft, gehoben, hintergründig, gehaltvoll, substanziell und elitär.
Wir bekommen also nun ein bedeutungsschweres, tiefgründiges, hochstehendes, essenzielles, ernsthaftes, gehobenes, hintergründiges, gehaltvolles, substanzielles und elitäres Fernsehen.

“Und was geht mich das an?”, fragen Sie nun. “Dann schalte ich halt auf RTL, Sat 1, Pro Sieben oder 3+”, also auf jene Kanäle, wo es mehr Spaß macht und weniger bedeutungsschwer ist. Falsch. Es geht Sie mehr an, als Sie denken, aber darauf kommen wir noch.
Rudolf Matter hat sich in Sachen Relevanz mit seinem Chef abgesprochen, wie er sagt. Sein Chef ist Roger de Weck, der neue SRG- Generaldirektor.

Als Erstes wollen die beiden aus der angriffigen Streitrunde “Arena ” eine ausgewogene Salonsitzung machen. Dann soll es mehr tiefschürfende Podiumsdiskussionen geben. Bereits wird der Ausstieg aus der Formel 1 diskutiert. Dann gibt es natürlich auch mehr hohe Kultur im Hauptprogramm. Die Mitarbeiter im Studio haben für die Televisionen von Matter und de Weck bereits einen netten Slogan kreiert: Volkshochschule Leutschenbach.

Die Einschaltquoten des Schweizer Fernsehens werden also fallen. Kein Zuschauer will die Zerrissenheitsproblematik der Teilzeitkulturschaffenden zur Hauptsendezeit. Mit sinkenden Quoten könne er leben, sagt Matter. Da sind wir aber nicht so sicher.
Das Deutschschweizer Fernsehen kostete im letzten Jahr 417 Millionen Franken. Seine Einnahmen aus TV-Werbung und Sponsoring betrugen 220 Millionen. Das Deutschschweizer Fernsehen ist also zu 52 Prozent durch Werbung finanziert. Das ist eine extrem hohe Abhängigkeit.

Durch das Relevanz-Modell von Matter und de Weck werden die Zuschauerzahlen runtergehen – und damit auch der Marktanteil am Werbevolumen. Das kann recht schnell gehen, weil sich TV-Werbung leicht ersetzen lässt. Sie ist zwar nicht ersetzbar durch die Presse, weil diese nur eine spezifische Zielgruppe anvisiert. Über Plakate und Radiospots hingegen erreicht man genauso wie über TV das breite Massenpublikum.

Weil man bei SF stärker am Publikum vorbeiproduzieren will, werden die finanziellen Probleme wachsen. Erstaunlicherweise hat man für diese Strategie jedoch die Politik hinter sich. Der Nationalrat stimmte soeben zu, dass künftig jedermann Gebühren für den Staatssender zu bezahlen hat, egal, ob er einen Fernseher besitzt oder nicht.
Die SRG wechselt damit von einem Gebühren- zu einem Steuermodell. Gebührensysteme sind Dienste wie Post oder Telefon. Der Bürger bezahlt sie nur, wenn er sie nutzt. Steuersysteme sind Dienste wie SBB, Opernhaus und nun auch die SRG. Der Bürger bezahlt sie auch dann, wenn er sie nicht nutzt. Merken Sie jetzt, warum es Sie mehr angeht, als Sie denken?

Für die Relevanz-Apostel de Weck und Matter ist der Übergang vom Gebühren- zum Steuermodell ideal. Sie können so das Fernsehen machen, das ihnen vorschwebt, also bedeutungsschwer, tiefgründig, ernsthaft, hochstehend, essenziell, gehoben, hintergründig, gehaltvoll, substanziell und elitär. Vielleicht schaut dann keiner mehr hin. Dafür muss jeder zahlen.

Erstveröffentlichung: Weltwoche 41/2010

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