Ukrainische Journalisten schlagen Alarm

26. September 2012 • Pressefreiheit • von

Stop Censorship!

Ein neuer Gesetzesentwurf bedroht die Pressefreiheit in der Ukraine.

Gleich zu Beginn des 64. Weltzeitungskongresses Anfang September in Kiew wurde den Teilnehmern deutlich gemacht, wie es um die Pressefreiheit in der Ukraine steht: Etwa ein Dutzend ukrainischer Journalisten erhob sich während der Eröffnungsrede und hielt Plakate hoch, auf denen die Medienzensur in der Ukraine angeprangert wurde – und zwar gerade, als Präsident Viktor Yanukovych den ausländischen Gästen versicherte, dass sich die Ukraine „– ohne Übertreibung – von einem totalen Zensurstaat zu einer offenen Gesellschaft gewandelt“ habe.

Yanukovychs Leibwächter hatten sich schon vor der Eröffnung bemüht, keine protestierenden Journalisten hereinzulassen und dann versucht, ihnen ihre Plakate abzunehmen; der Präsident aber reagierte mit keinem Wort auf die stillen Proteste der Journalisten.

Die Proteste wurden allerdings sofort von den meisten Kongressteilnehmern auf Twitter gepostet und und von anderen Twitter-Nutzern weiter verbreitet. Schließlich berichteten auch führende Nachrichtenmedien weltweit über die Proteste – darunter die The New York Times, The Washington Post und die Deutsche Welle. Die Aktivisten der ukrainischen Journalisten-Bewegung „Stop Censorship!“ hatten mit der Wahl des Orts ihres stillen Protestes voll ins Schwarze getroffen.

Während der ukrainische Präsident weiterhin versichert, dass das „Gerede“ über mangelnde Meinungsfreiheit in der Ukraine auf nicht haltbaren Informationen basiere, haben Journalisten sowie lokale und internationale Medien-NGOs eine lange Liste mit Verstößen gegen die Pressefreiheit nach der Wahl von Yanukovych zum Präsidenten im Februar 2010 erstellt.

Schon im selben Jahr attestierten Reporter ohne Grenzen der Ukraine einen Rückgang der Pressefreiheit, die 2011 und 2012 allerdings noch weiter abnahm, als die Regierung den ukrainischen Journalisten und Medien verschiedene Formen der Zensur auferlegte.

Die Organisation Freedom House stufte das Land von „frei“ („free“) zu „teilweise frei“ („partly free“) herab. Auch die internationale Organisation IREX hielt in ihrem Media Sustainaibility Index-2011 fest, dass die Redefreiheit in der Ukraine in Gefahr sei. Momentan belegt die Ukraine im jährlichen Pressefreiheitsindex von Reporter ohne Grenzen den 116. von 179 Plätzen.

Im ersten Halbjahr 2012 zählte das „Institute of Mass Information“, eine ukrainische NGO, bereits 35 Angriffe auf und Bedrohungen gegenüber Journalisten sowie 35 Fälle von Zensur.

Besonders streng ging die ukrainische Regierung dabei gegen den Rundfunksender TVi vor, der einer der wenigen Medien ist, die offen die Regierung kritisieren, weshalb er schon länger mit Problemen zu kämpfen hat. 2010 wurde dem Sender seine terrestrische Sendefrequenz entzogen, was für ihn einen großen Verlust an Reichweite bedeutete. Vor einigen Monaten führten Beamte der Steuerfahndung eine Razzia in den Redaktionsräumen durch und ermittelt nun gegen den Leiter des Senders wegen mutmaßlicher Steuerhinterziehung.

Einige Tage nach dem Weltzeitungskongress haben ukrainische Journalisten, von der breiten Öffentlichkeit unterstützt, mit Protesten auf den Druck der Regierung  auf TVi aufmerksam gemacht.

Öl ins Feuer gießt die regierende Koalition mit einem Gesetzesentwurf, der Verleumdung strafbar machen soll. Das ukrainische Parlament, das größtenteils von den Vertrauten des Präsidenten kontrolliert wird, hat in der ersten Beratung den Gesetzentwurf genehmigt, der sehr strenge Sanktionen gegen jeden vorsieht, der „falsche Informationen vorsätzlich verbreitet, die Ehre und Würde einer Person verletzt oder deren Ruf schädigt.“ Nun muss der Entwurf noch in die zweite Beratung und anschließend gegebenenfalls vomPräsidenten unterschrieben werden.

Die vorgesehenen Strafen reichen von 25.000 ukrainische Hrywnja (ca. 2.370 Euro) über das Ableisten gemeinnütziger Arbeit bis hin zur Höchststrafe von fünf Jahren Gefängnis.

Vor elf Jahren hatte die Ukraine Verleumdung entkriminalisiert, was als großer Schritt Richtung Demokratisierung gewertet wurde.

Dunja Mijatovic, Medienbeauftragte der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, rief die ukrainische Regierung dazu auf, den Gesetzesentwurf abzulehnen: „Das vorgeschlagene Gesetz würde in punkto Pressefreiheit einen herben Rückschlag für die Ukraine bedeuten. Es würde Debatten im Keim ersticken, Regierungsangehörige vor Kritik schützen und so zu einer Selbstzensur in den Medien führen.“

Ukrainische Journalisten kämpfen gemeinsam gegen den Gesetzesentwurf. Auch auf Facebook: In der Gruppe „Sag nein zum Gesetzesentwurf. Es geht jeden etwas an” haben sich schon über 2500 Gegner des Gesetzesentwurfs zusammengeschlossen, darunter viele angesehene ukrainische Journalisten. „Wir sind uns sicher, dass sich dieses Gesetz gegen diejenigen richten würde, die die Obrigkeiten kritisieren. Solch ein Gesetz würde die Pressefreiheit in der Ukraine zerstören, denn es würde viele Journalisten dazu bewegen, jegliche Kritik an der Regierung zu unterlassen, da sie als Verleumdung angesehen werden könnte“,  heißt es in der Stellungnahme der Gruppe auf Facebook.

Übersetzt aus dem Englischen von Tina Bettels

Original-Artikel auf Ukrainisch: Свобода слова в Україні 2012: що нового?

 

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