Abwehrreflexe statt Aufklärungsarbeit

7. Dezember 2012 • Qualität & Ethik • von

Stärker könnte der Kontrast im wechselseitigen Umgang von Medienbranche und Medienforschung kaum sein: In der Schweiz beschweigen die beiden größten Printverlage Tamedia und Ringier – als hätten sie sich abgesprochen – Forschungsergebnisse zum Zustand und zu den Aussichten des Journalismus, die 60 Medienforscher um Kurt Imhof mit ihrem „Jahrbuch Qualität der Medien Schweiz“ vorgelegt haben. Und der Präsident des Verbands Schweizer Presse, Hanspeter Lebrument, ließ seinen Geschäftsführer bereits gegen die Wissenschaftler heftig lospoltern, bevor er und seine Mitstreiter überhaupt eine Chance hatten, das Jahrbuch inhaltlich zur Kenntnis zu nehmen.

In der benachbarten Alpenrepublik dagegen übt man sich in Gemeinsamkeit. Der Verband Österreichischer Zeitungsverleger legte dieser Tage unter dem einprägsamen Titel „Mehrwert“ seinen „Public Value-Bericht“ vor, mit dem er die breitere Öffentlichkeit darauf aufmerksam machen möchte, welch wichtigen Beitrag Printmedien zur Medienvielfalt leisten und dass der ORF als öffentlich-rechtlicher Sender kein Monopol auf Qualitätsjournalismus hat. Zu den Verfassern zählen neben der Crème de la crème des österreichischen Journalismus und Verlagsmanagements auch namhafte Medienforscher.

Was sie zu sagen haben, ist auch nicht immer bequem für die Verlegerschaft – etwa wenn Matthias Karmasin die Medienunternehmer zu mehr „regulierter Selbstregulierung“ ermuntert, oder seine Klagenfurter Kollegin Franzisca Weder im „Erhalt eines öffentlichen Diskurses über die Wertigkeiten von Medienprodukten die wahre kommunikative Verantwortung von Medienunternehmen und –verbänden“ sieht: Aber dass solche Aussagen in den Band integriert wurden, lässt sich als Zeichen der Dialogbereitschaft werten.

Ärgernis für die Zeitungsverlage im anspruchsvollen Marktsegment in Österreich ist weiterhin, dass staatliche und andere öffentliche Einrichtungen, die letztlich mit Steuergeldern finanziert werden, bei ihren Werbekampagnen oftmals Medien begünstigen, die nicht eben dem Qualitätsjournalismus aufhelfen. Die Beträge, um die es bei solchen Inseraten geht, machen ein Vielfaches der bisherigen gesetzlich geregelten direkten und indirekten Presseförderung aus.

Sodann sind auch im Nachbarland Kolosse wie Google und Facebook den Verlagen ein Dorn im Auge. Sie machen nicht nur gute Geschäfte mit ihren Links zu Inhalten, die Printunternehmen finanziert haben, sondern setzen inzwischen auch auf dem Werbemarkt den traditionellen Medienanbietern heftig zu  – und verschieben darüber hinaus ihre Gewinne in Länder, wo sie so gut wie keine Steuern zahlen.

Immerhin ist der österreichische Public Value-Bericht ein beeindruckendes Dokument der Zusammenarbeit von Medienbranche und Medienforschung. Vielleicht besinnen sich ja jetzt, wo der Bundesrat die Eidgenössische Medienkommission unter Vorsitz des Medienforschers und Prorektors der Universität Zürich, Otfried Jarren, neu ein eingerichtet hat, auch die Schweizer Verleger darauf, dass Wissenschaftler mitunter sachkundige Kooperationspartner bei der Lösung ihrer Probleme sein können. Der frühere Presserats-Präsident Peter Studer hat recht: „Grabenkämpfe zwischen wenig kritikfähigen, ertragsversessenen Verlegern und gelegentlich allzu normativ-rigiden Wissenschaftlern bremsen den nötigen Dialog.“

Demokratische Gesellschaften sind kaum denkbar ohne professionellen Journalismus, der einen „Mehrwert“ an gesellschaftlich relevanten Nachrichten produziert. Dieser ist aber akut gefährdet, wenn niemand mehr für Journalismus bezahlen will und obendrein die Werbeerlöse wegschmelzen wie der Schnee im März. Es gibt also viel zu tun für die Medienpolitik, nicht nur in der Schweiz und in Österreich. Andererseits müssen sich die Verlage selbst endlich der kommunikativen Herausforderung stellen, den „Mehrwert“, den solide recherchierter Journalismus fraglos liefert, auch in den Köpfen der Publika zu „verankern“.

Das mag partiell mit Werbung und Öffentlichkeitsarbeit gelingen. Glaubwürdiger wäre aber allemal kompetenter Journalismus, der sich mit Medien und Journalismus (und auch mit Medienforschung) genauso kritisch auseinandersetzt wie mit Politik, Wirtschaft oder Sport.

P.S.: Auch so weit ist es inzwischen gekommen – ausgerechnet Österreichs Verlegerschaft hat mit ihrem Report den Marx’schen Begriff des Mehrwerts wiederentdeckt, „besetzt“ und ihm neuen Sinn eingehaucht.

Erstveröffentlichung: Werbewoche vom 7.12.2012

 

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