Fachtagung „Afrika 3.0“: Zerrbilder im Wandel

21. Juni 2013 • Qualität & Ethik, Ressorts • von

Kriege, Krisen, Katastrophen und Krankheiten – über Afrika liest man vor allem negative Schlagzeilen. Für die meisten Medien rücken diese vier Ks automatisch in den Fokus, weil sich ihrer Ansicht nach schlechte Nachrichten besser verkaufen, weil die Mediennutzer sich für keine anderen Geschehnisse interessieren und weil Afrika so weit weg ist.

Experten kritisieren schon lange die einseitige Berichterstattung. Sie fordern die Medien dazu auf, ein objektives Bild Afrikas ohne Stereotype zu vermitteln und den Fokus auch einmal auf Positivbeispiele von dem vielfältigen Kontinent zu legen.

Ob das funktionieren kann, diskutieren heute die Teilnehmer der Fachtagung „Afrika 3.0 – Mediale Abbilder und Zerrbilder eines Kontinents im Wandel und deren Wirkung“ im Erich-Brost-Institut für internationalen Journalismus der TU Dortmund. Medienvertreter, Wissenschaftler, Akteure aus Politik und Wirtschaft, Vertreter von Diaspora-Organisationen sowie der Zivilgesellschaft erläutern die Wirklichkeit und Wirkung des vorherrschenden Afrika-Bildes.

Die Tagung wird veranstaltet vom Verein Africa Positive in Kooperation mit dem Erich-Brost-Institut und dem Institut für Kommunikationswissenschaft der Otto-Friedrich-Universität Bamberg.

Journalistik-Studierende des Seminars „Auslandsberichterstattung“ an der TU Dortmund haben im Vorfeld mit einigen Medienvertretern der Tagung aus Deutschland, Großbritannien und Ghana über das von den Medien vermittelte Afrika-Bild gesprochen. Birgit Virnich vom WDR, Abdulai Awudu von Multi TV aus Ghana, Silvia Liebrich von der Süddeutschen Zeitung, Ama Biney von den Pambazuka News und Claus Stäcker von der Deutschen Welle erläutern, wie sie die aktuelle Berichterstattung über Afrika sehen – und wie sie ihrer Ansicht nach verbessert werden könnte.

 

„Es geht darum, Afrika auf Augenhöhe zu begegnen“

Virnich_1Birgit Virnich hat Englische Literatur und Journalismus in Kanada und Amerika studiert und Internationale Politik an der LSE in London. Nach siebenjähriger Tätigkeit für diverse ARD-Anstalten, die BBC und Channel 4 in London ging sie zum WDR, war dort Redakteurin und Autorin, u.a. beim Morgenmagazin und bei Monitor. Heute arbeitet Birgit Virnich als Redakteurin und Reporterin in der WDR-Auslandsredaktion und in der Redaktion „die story“.

Der Schweizer Afrika-Korrespondent Georg Brunold hat vor einigen Jahren ein Buch mit dem Titel „Afrika gibt es nicht“ veröffentlicht. Eine These, der Sie zustimmen können?

Wenn er Bezug nimmt auf die Generalisierung, die viele Redaktionen oder Journalisten vornehmen, dann würde ich ihm Recht geben. Afrika ist ein Kontinent voller unterschiedlicher Kulturen und auch mit einem großen Gefälle in der Wirtschaftsleistung. Sicherlich gibt es dort aber auch gemeinsame Interessen und Schnittmengen. Aber diese Verallgemeinerung ist natürlich kontraproduktiv und auch nicht gut für den Kontinent. Es braucht eine Berichterstattung, die der Vielfalt und den Extremen Afrikas zwischen Wellblechhütten und Wolkenkratzern gerecht wird.

Das Afrikabild des Durchschnittsdeutschen teilt sich noch immer in Nord- und „Schwarzafrika“ plus vielleicht Südafrika. Ein trauriger Beleg dafür, dass die deutschen Medien mit ihrer Afrika-Berichterstattung versagt haben?

Aus Afrika kommen widersprüchliche Meldungen: In Zentralafrika wüten Unruhen, Mali tut sich schwer mit den Islamisten, während in den neuen Ölstaaten ein gewaltiger Investitionsboom herrscht. Afrika hat es schwer, seinem öffentlichen Zerrbild zu entweichen, das vor allem aus Armut, Konflikt und Entwicklungshilfe besteht. Es fällt uns schwer, dem Kontinent in seiner Komplexität und mit seinen Kontrasten gerecht zu werden. Wir tun uns auch schwer damit, differenziert zu berichten. Ich glaube, dass unser Verhältnis zu Afrika generell ein sehr karitativ geprägtes ist. Wir bevormunden Afrika. Das ist aber nicht nur auf Grund der Medien so, das ist geschichtlich gewachsen, geprägt durch die Kolonialgeschichte. Der Westen ist in seinem Verhältnis zu Afrika sehr stark von der Idee der christlichen Nächstenliebe getragen. Das unterscheidet uns von den Asiaten und trägt dazu bei, dass unser ganzes Verhältnis auf Entwicklungshilfe fußt, während vor allem China viel mehr auf die Wirtschaftschancen und den gemeinsamen Nutzen abhebt. Die deutsche Wirtschaft tut sich deshalb bis heute schwer, in Afrika zu investieren, ganz anders als etwa die Chinesen.

Ein gesamtgesellschaftliches Problem also?

Ja. Ich würde die Berichterstattung einreihen in eine gesamtgesellschaftliche Konstitution. Das hat alles miteinander zu tun: Wieso hat das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit zum Beispiel keine afrikanischen Berater? Die Leute sind oft sehr gut ausgebildet. In Holland, in England, da arbeiten die afrikanischen Einwanderer teilweise schon als Bürgermeister. Die sind uns um Lichtjahre voraus.

Sie haben jahrelang für die ARD aus Nairobi berichtet. Wie haben Sie versucht, gegen dieses einheitliche Afrikabild in Deutschland vorzugehen?

Ich bin in Südafrika zur Schule gegangen, bin schon als Jugendliche mit meinen Eltern durch Mosambik gereist, hatte als Studentin in London viele afrikanische Kommilitonen und habe dort die Anti-Apartheid-Bewegung unterstützt. Ich bin mit der Entwicklung Afrikas groß geworden. Für mich war es deshalb immer wichtig, denen eine Stimme zu geben, die kaum zu Wort kommen, nämlich den Afrikanern selbst. Also habe ich in meinen Filmen Alltagshelden porträtiert, Afrikaner, die den widrigen Umständen trotzen. Und auch in Krisen und Kriegen habe ich nicht über westliche NGOs berichtet, sondern afrikanische Helden gefunden und die Geschichten aus ihrer Sicht erzählt. Im Ostkongo habe ich über einen Arzt berichtet, der für 250 Dollar vergewaltigte Frauen operiert, während er in Brüssel oder Paris für ein Zehnfaches arbeiten könnte. Darüber hinaus habe ich auch immer wieder viele Positivbeispiele eingebracht: Zehn Jahre nach dem Völkermord in Ruanda habe ich zum Beispiel einen halbstündigen Film über Politikerinnen gemacht, die die Verfassung und die Wirtschaft Ruandas positiv geprägt haben.

Die Personalisierung ist also der Schlüssel zu einer besseren Berichterstattung?

Absolut. Es geht darum, Afrika auf Augenhöhe zu begegnen. Als ich 2oo8 über die Ernährungskrise und die Hungerrevolte in Westafrika berichtete, habe ich zum Beispiel auch über einen Gewerkschafter berichtet, der den Widerstand gegen die teuren Lebensmittelimporte organisiert hat, die dann in der Bewegung, „Mouvement contre la vie chère“ mündete – ein Afrikaner, der das Thema Lebensmittelspekulationen und die Auswirkung auf die Preise in seinem Land schon sehr früh erkannt hatte. Er plädierte für eine Rückbesinnung auf heimische, lokale Produktion. Oder im Senegal: dort haben Rapper die Wahlen 2005 gekippt. Sie waren das Sprachrohr einer ganzen Generation arbeitsloser Jugendlicher, die einzig ernst zu nehmende Opposition im Land. Mit dieser Art der Berichterstattung über fähige Afrikaner, die etwas bewegen, kann man gegen das Bild des hilfsbedürftigen Kontinents angehen.

Viele Journalisten berichten, dass sie solche Geschichten gerne erzählen würden, aber Probleme hätten, Sie in Ihren Redaktionen abzusetzen. Welche Erfahrungen haben Sie in der Hinsicht gemacht?

Natürlich ist das schwierig, weil man gerade in den Nachrichtenredaktionen mit anderen Themen konkurriert. Man muss sich gegen auf den ersten Blick eingängigere deutsche Themen durchsetzen. Aber steter Tropfen höhlt den Stein. Ich selbst habe sehr stark auf Hintergrundberichterstattung, auf Geschichten gesetzt, auch in den Nachrichten. Ich glaube, dass sie einfach geeigneter sind, die oft komplizierten Zusammenhänge zu verdeutlichen. Im ARD Weltspiegel haben wir die entsprechenden Flächen dafür. Gleichzeitig würde ich die Redaktionen auch nicht über einen Kamm scheren: In vielen Redaktionen gibt es Kollegen, die weit gereist sind und die sich ganz gut auskennen, vielleicht selbst Reporter waren. An die muss man sich dann halten.

In den Redaktionen gilt als ein Hauptargument gegen mehr Afrika-Themen, dass bei den Rezipienten wenig Interesse besteht. Wie ließe sich das Interesse steigern?

Zum einen wie schon erwähnt durch diese personalisierten Geschichten. Und zum anderen, indem ich immer den Bogen nach Europa spanne. Wir leben in einer globalisierten Welt, ob wir das wollen oder nicht. Die großen Themen wie der Islam oder Migration sind längst zu unseren Themen geworden. Wir müssen den Zuschauer da abholen, wo er ist. Darum war es für mich auch wichtig, nach ein paar Jahren als Korrespondentin wieder in Deutschland zu sein, um diesen frischen Blick auf afrikanische Themen einzubringen. Und – auch wenn ich das früher nie gemacht hätte: deutsche Protagonisten können helfen. Zumindest manchmal. Man muss versuchen, den Bezug der Themen zu uns in Deutschland herzustellen – und meistens geht das auch.

Die Realität der meisten Afrika-Korrespondenten ist, dass sie von einem Standort über dutzende Länder berichten müssen. Wie haben Sie es geschafft, sich ein differenziertes Bild von den Ländern zu verschaffen?

Ich bin etwa die Hälfte des Jahres gereist und in den verschiedenen Ländern unterwegs gewesen, habe mich über Al Jazeera und BBC auf dem Laufenden gehalten. Natürlich hatte ich auch Vorkenntnisse über mein Studium und ich habe immer schon afrikanische Literatur gelesen. So habe ich auf viele Länder einen fundierten Blick. Und: Man kann über den Standort Nairobi viel sagen, aber es ist schon ein Vorteil, dort mit der gesamten Medienwelt, den Kollegen von BBC und Al Jazeera zusammenzusitzen und sich auszutauschen. Und natürlich ist das auch eine Drehscheibe für Aktivisten und Politiker, die dort Themen setzen.

Welche Rolle spielen Netzwerke mit Einheimischen?

Eine immer wichtigere, wir haben mittlerweile fast überall unsere Kontaktpersonen. Viel erfährt man von Künstlern, Musikern, Aktivisten. Und auch unter afrikanischen Journalisten hat in den letzten Jahren eine enorme Professionalisierung stattgefunden. Sie sind mobiler geworden, internetaffiner, es wird gebloggt. In manche Länder kann ich heute fliegen, ohne dass ich ein Kamerateam aus dem Studio mitnehmen muss. Dort kann ich dann auch auf Leute zurückgreifen, die uns immer wieder auf Themen aufmerksam machen. Auch jetzt während der jüngsten Mali-Krise habe ich sehr viele Anstöße von Bloggern oder lokalen Journalisten bekommen. Es war ja viel zu gefährlich für westliche Journalisten, in den Norden zu reisen.

Das Interview mit Birgit Virnich führte Jannis Carmesin

 

„Soziale Medien können zu besserer Berichterstattung beitragen“

Abdulai picture_1Abdulai Awudu ist Programmdirektor des Satelittensenders Multi TV aus Ghana.  Er hat am National Film and Television Institute (NAFTI) in Ghana studiert. 

Mr. Awudu, welches Bild wird Ihrer Meinung nach von Afrika in Europa vermittelt?

Ich denke, das variiert. Es gibt verschiedene Organisationen und TV-Sender, die dieses Bild beeinflussen. Aber es scheint, dass sich die europäischen Medien auf die großen negativen Geschichten konzentrieren, auf Kriege und Hungersnöte, und deshalb scheint das Image von Afrika in Europa eher schlecht zu sein. Ab und zu bringen die europäischen Medien auch positive Geschichten aus Afrika. Aber im Großen und Ganzen denke ich, dass Afrika in einem sehr schlechten Licht dargestellt wird, oftmals sehr eindimensional, ohne dass die Gesellschaft und das Volk verstanden werden.

Wie stellen Sie sich die ideale Berichterstattung über Ghana und Afrika in europäischen Medien vor?  

Als Medienmensch weiß ich, dass es natürlich falsch wäre, zu kontrollieren, welche Geschichten aus Afrika in die europäischen Medien kommen und welche nicht. Auch Negatives über Ghana muss erzählt werden.  Aber ich wünsche mir eine ausgewogenere Berichterstattung. Das heißt, die Medien sollten nicht nur negative Geschichten über Ghana bringen, sondern auch mal etwas Positives über das Land berichten. Zum Beispiel, dass die dortige Regierung den Umweltschutz unterstützt. Die Geschichten müssen so erzählt werden, wie sie sind, egal ob sie negativ oder positiv sind, aber auf keinen Fall eindimensional.

Was sind Ihrer Meinung nach die Gründe für diese eindimensionale Berichterstattung?

Ich weiß ja selbst, wie Medienunternehmen funktionieren. Viele Medienunternehmen richten ihre Berichterstattung nach ihrem Publikum aus. Deshalb erfüllen die Geschichten über Afrika oftmals typische Klischees, die man seit Generationen kennt, zum Beispiel von alten Filmen oder von den ehemaligen Kolonialmächten. Diese Bilder werden seit Jahren in den Westen transportiert. Vor allem TV-Redakteure sind der Ansicht, dass ihr Publikum nicht die schönen Geschichten sehen will. Sie denken, es will die schlechten Geschichten sehen, es will die Kriege sehen.

Die europäischen Medien produzieren natürlich in erster Linie Inhalte für ein europäisches Publikum. Sie stellen sich die Frage, welche Geschehnisse eine direkte Auswirkung auf ihr Publikum haben. Aus diesem Grund spielt es keine Rolle, was in Afrika geschieht – es scheint zu weit weg zu sein. Europäische Medien konzentrieren sich deshalb auf Geschehnisse in Europa.

Welche afrikanischen Themen bekommen gar keine Aufmerksamkeit von europäischen Medien, obwohl sie sehr wichtig sind?

Es gibt so viele Themen aus allen Teilen Afrikas. Und das ist auch eines der Probleme der westlichen Berichterstattung über Afrika. Der Westen berichtet so über Afrika, als sei es ein Land und kein Kontinent. Aber jedes Land und jede Region in Afrika haben ihre eigenen Themen und Probleme, z.B. Missstände im Bildungs- und Gesundheitssystem, eine eingeschränkte Pressefreiheit und Ausbeutung.

Was muss sich ändern an der Art, wie europäische Medien über Afrika berichten?  

Sie sollten mit mehr lokalen Journalisten vor Ort in Afrika zusammenarbeiten, die wirklich wissen, was dort wichtig ist. Dann wäre auch eine mehrdimensionale Perspektive gewährleistet. Das Publikum würde erfahren, was wirklich geschieht. Es würde die Kultur Afrikas und die gesellschaftlichen Auswirkungen verstehen lernen. Ich denke auch, dass sich in den Redaktionen der europäischen Medien ein Bewusstseinswandel vollziehen muss. Bislang erzählt jeder Journalist die Geschichte, die sein Auftraggeber hören möchte. Auch wenn man mit lokalen Journalisten vor Ort arbeitet, kann es passieren, dass der Auftraggeber sagt: das ist nicht sensationell genug, das ist keine Geschichte. Was macht man dann?

Sie sind also der Ansicht, dass afrikanische Journalisten die europäische Berichterstattung über Afrika positiv beeinflussen können?   

Ja, auf alle Fälle. Aber auch bei afrikanischen Journalisten muss sich ein Bewusstseinswandel vollziehen. Viele unabhängige afrikanische Medien haben die Tendenz, anti-autoritär und gegen die Regierung zu berichten. Die afrikanischen Journalisten neigen dazu, mehr über Negatives zu berichten, denn wenn sie über Positives berichten würden, würden sie als regierungstreu angesehen. Aber unser Job ist es, die Geschichte so zu erzählen, wie sie wirklich ist, auch wenn sie die Regierung in einem guten Licht darstellt. Wenn das den afrikanischen Journalisten gelingt und sie dann noch mit westlichen Medienunternehmen kooperieren, dann können sie die Berichterstattung positiv beeinflussen. Auch die Nutzung von sozialen Medien kann zu einer besseren Berichterstattung beitragen: es kostet nicht viel, die Journalisten können die Storys online stellen und Leute auf der ganzen Welt können sie lesen, auch in Europa. So hängt keiner von externen Geldgebern ab, die einem die journalistische Agenda diktieren.

Welche Rolle spielt Europa in der afrikanischen Berichterstattung?

In unserer Berichterstattung über Europa stützen wir uns auf Quellen von Nachrichtenagenturen wie Reuters und dpa oder auf unsere Kooperationen wie zum Beispiel die BBC oder France 24. Das Bild, das man in Afrika von Europa hat, wird dadurch indirekt von den Europäern kontrolliert. Es ist so, wie Europa es uns vermittelt. Unser Sender kann es sich nicht leisten, Korrespondenten in Europa einzusetzen. Das können die wenigsten, in Südafrika und Nigeria gibt es vereinzelte Medienunternehmen, die das machen und damit ihr eigenes Bild über Europa vermitteln können.

Das Interview mit Abdulai Awudu führte Leonie Schwarzer

Übersetzt aus dem Englischen von Tina Bettels

 

„Schlechte Nachrichten verkaufen sich eben besser als gute“

Liebrich_1Silvia Liebrich ist Wirtschaftsredakteurin bei der Süddeutschen Zeitung und Buchautorin.  Zuvor war sie für das Handelsblatt und die Deutsche Presse-Agentur (dpa) tätig, mit einer Zwischenstation in Südafrika. Sie hat Wirtschaftswissenschaften und Journalistik an der Universität Hohenheim studiert. Für die SZ berichtet sie unter anderem über Rohstoffe, die Nahrungsmittelbranche, Umwelt- und Handelsthemen und Afrika. 2010 erschien ihr Buch „Gold und Diamanten, kostbare Schätze und ihre dunkle Vergangenheit“.

Frau Liebrich, was waren ihre ersten Erfahrungen, die sie als Journalistin in Südafrika gemacht haben?

Mit Anfang 30 habe ich bei der dpa gekündigt, um mich neu zu orientieren. Ich wollte nach Afrika, aber dpa wollte das keinesfalls – angeblich zu gefährlich für eine Frau. Also bin ich auf eigene Faust gegangen. 1998 habe ich ein zweimonatiges Praktikum bei der Zeitung Business Day, einer Tochter der Financial Times, in Johannesburg gemacht. Südafrika war für mich spannend; ich wollte sehen, wie das Land den Umbruch nach dem Ende der Apartheid bewältigt. Mein Plan war es auch, zu sondieren, ob ich mich als freie Journalistin in Südafrika etablieren kann, aber das erschien mir dann doch zu schwierig. Heute bin ich froh, dass ich mich dagegen entschieden habe. Die meisten deutschen Medien haben ihr Korrespondentennetz stark ausgedünnt. Es ist schwierig, als freier Journalist auf dem afrikanischen Kontinent finanziell über die Runden zu kommen.

Woran könnte das Ihrer Meinung nach liegen? 

Afrika steht seit einigen Jahren nicht mehr im Fokus. Wir haben den Boom in China, der die Machtverhältnisse in der Welt verschiebt, dann haben wir die Finanzkrisen, durch die Europa und Amerika seit fast zehn Jahren schlittern. Darauf konzentriert sich die Berichterstattung. Zugleich mussten auch die Verlage sparen. Die Stellen in Afrika gehörten mit zu denen, die zuerst gestrichen wurden.

Hat denn die SZ heute noch Korrespondenten in Afrika? 

Ja, wir haben einen Korrespondenten vor Ort, Tobias Zick, der in Nairobi stationiert ist und von dort aus den Kontinent bereist und beobachtet. Die SZ gehört damit zu den wenigen deutschen Zeitungen, die das überhaupt noch machen.

Aber ist es nicht dennoch ziemlich wenig, einen einzigen Korrespondenten für einen so großen Kontinent einzusetzen? Kann ein Journalist allein eine entsprechende Berichterstattung überhaupt leisten? 

Natürlich ist das zu wenig. Afrika ist ein riesiger Kontinent mit mehr als 50 Ländern. Schon die kulturellen Unterschiede innerhalb der Länder sind gewaltig. Nur wenige Themen schaffen es da bis in die europäischen Medien.

Stattdessen beschäftigen die Zeitungen hier in den Heimatredaktionen dann Journalisten, die – so wie Sie – Afrika aus der Ferne beobachten? 

Das ist dann die zweitbeste Lösung. Bei mir hat sich das ergeben. Ich interessiere mich für den Kontinent, reise auch privat gern dorthin. Ich habe Erfahrungen und Kontakte. Deshalb bot es sich an, dass ich auch in der SZ-Wirtschaftsredaktion ein Auge darauf habe. Ein Schwerpunkt sind dabei Rohstoffe, die es in vielen afrikanischen Ländern reichlich gibt. Wenn ich vor Ort bin, nutze ich die Gelegenheit, um Reportagen zu schreiben, etwa über den Kakao-Anbau in Elfenbeinküste, seine Umweltauswirkungen und welche Rolle die Regierung dabei spielt. Solche Reisen sind aber die Ausnahme, öfter als einmal pro Jahr gelingt mir das meist nicht.

Wie gelangt man da an verlässliche Informationen, wenn man einen Großteil der Arbeit vom Schreibtisch aus leisten muss? 

Man muss selbst ein Gefühl dafür entwickeln, welche Themen gerade relevant sind. Das ist dank neuer Medien wie Twitter inzwischen einfacher als noch vor ein paar Jahren. Zum Beispiel folge ich der südafrikanischen Oppositionsführerin Helen Zille, da bekommt man einen ganz guten Eindruck, was gerade in dem Land diskutiert wird. Für die wirtschaftliche Lage sind etwa die Weltbank, die Afrikanische Entwicklungsbank,  Unternehmensberatungen und UN-Organisationen wichtige Quellen. Für Recherchen vor Ort muss man aber immer etwas mehr Zeit einkalkulieren, das ist manchmal im Tagesgeschäft ein Problem.

Warum ist es so schwierig, an diese Informationen zu gelangen?

Meistens brauche ich Informationen gleich. Und in vielen afrikanischen Ländern dauert es einfach länger, einen Gesprächspartner zu bekommen.  Wenn das nicht gelingt, muss ich ausweichen und mir einen Experten in Deutschland suchen. Für Wirtschaftsthemen ist der Afrika-Verein der deutschen Wirtschaft eine Anlaufstelle. Eine wichtige Quelle sind auch die NGOs. Allerdings sind Informationen aus dritter Hand immer mit Vorsicht zu genießen, jeder hat da seine eigene Agenda. Das macht die Einschätzung aus der Ferne schwierig.

Man muss auf jeden Fall immer mehrere Quellen haben und prüfen, ob das gesagte plausibel sein kann. Optimal ist es natürlich, wenn ich mit unserem Afrika-Korrespondenten zusammenarbeiten kann, wie etwa vor einiger Zeit beim Thema Landraub. Er war in Äthiopien und konnte direkt einordnen, ob das, was NGOs, Banken und andere zur Lage sagen, auch wirklich stimmt. Eine Reportage aus einem Land sagt meist mehr als zig Studien, Fakten und Zahlen.

Was halten Sie persönlich von der Berichterstattung in den Medien zum Thema „Afrika“? Wird Ihrer Meinung nach zu wenig darüber berichtet?

Die Berichterstattung konzentriert sich sehr einseitig auf bestimmte Themenfelder. Einmal sind es Bürgerkriege und andere kriegerische Auseinandersetzungen, dann sind es Hungersnöte, aber vom normalen Leben erfährt man fast gar nichts. Auch weil das nicht gefragt ist. Schlechte Nachrichten verkaufen sich eben besser als gute. Das ist oft nicht der Fehler der Korrespondenten vor Ort, sondern häufig die Einschätzung der Heimatredaktionen.

Und warum ist das so? 

Weil ihnen vieles zu weit weg ist und uninteressant erscheint. Beispiel Ruanda: 1994 gab es dort einen fürchterlichen Völkermord, bei dem bis zu eine Million Menschen getötet wurden. Das war eines der heftigsten Ereignisse der Neuzeit in Afrika überhaupt. Der Genozid hat monatelang die Medien beherrscht. Doch danach ist das Land schnell von der Medienbildfläche verschwunden. Dabei ist es interessant zu erzählen, wie dieses Land nach der Katastrophe den Neuanfang geschafft hat. Heute gilt Ruanda als eines der afrikanischen Vorzeigeländer, obwohl es dort kaum Rohstoffe gibt. Aber das wird dann nicht weiterverfolgt und es ist schwierig, Ruanda überhaupt ins Blatt zu bringen. Über andere Länder ist hierzulande fast gar nichts bekannt. Ein Grund dafür ist auch, dass Afrika insgesamt wirtschaftlich gesehen im weltweiten Vergleich keine große Rolle spielt. Rohstoffe dominieren die Ökonomie und dann kommt lange nichts.

Welche Rolle spielen kulturelle, ethnische oder historische Hintergründe bei der Afrika-Berichterstattung?

Da gibt es ja so etwas wie den Fluch des Kontinents: Seine schwierige Vergangenheit, die natürlich immer eine Rolle spielt. Erst die Sklaverei, dann die gnadenlose Ausbeutung der Ressourcen durch die Kolonialmächte, dann von heute auf morgen die Entlassung in eine Unabhängigkeit, auf die kein Land wirklich vorbereitet wurde. Soziale, ökonomische, politische Strukturen sind weggebrochen und davon hat sich ein Teil der afrikanischen Staaten bis heute nicht erholt. Es verändert sich nur langsam etwas zum Besseren. Seit einigen Jahren gilt Afrika sogar als Kontinent der Hoffnung und des Aufschwungs – nicht zuletzt dank seiner Rohstoffvorkommen. Auch hier muss man vorsichtig sein bei der Bewertung. Die meisten Länder schaffen es bis heute nicht, ein vernünftiges Wachstum und Wohlstand zu generieren – Afrika ist bis heute gefangen in einem Teufelskreis aus Armut und Korruption. Um den zu durchbrechen braucht es viel Zeit und Geduld.

 Das Interview mit Silvia Liebrich führte Helene Seidenstücker

 

„Alternative Medien können positivere Berichterstattung vorantreiben“

Biney

Ama Biney hat an der School of Oriental and African Studies der University of London studiert und promoviert. Sie ist Chefredakteurin der alternativen Online-Plattform Pambazuka News und seit mehr als 15 Jahren im Weiterbildungssektor in Großbritannien tätig. Auf der Afrika 3.0-Konferenz spricht sie über den Bedarf an positiver Berichterstattung über Afrika und fragt, in welchem Maß der Westen ein berechtigtes Interesse daran hat, Afrika zu orientalisieren.

Mrs. Biney, inwiefern ist die Berichterstattung über Afrika orientalisiert?  

Der Begriff der Orientalisierung stammt von Edward Said, einem palästinensischen Literaturprofessor. Ich habe seine Gedanken aus seinem Buch „Orientalismus“ von der arabischen Welt auf Afrika übertragen.

Können Sie das näher ausführen?

Ich argumentiere, dass im Westen gegenüber Afrika trotz Dekolonisation und Unabhängigkeit immer noch negative und rassistische Ansichten herrschen. Afrika wird noch immer als das Land wahrgenommen, das ein nigerianischer Journalist „PIDIC“ genannt hat. P steht für „poverty“ (Armut), I für „instability“ (Instabilität), D für „disease“ (Krankheit), I für „illiteracy“ (Analphabetismus) und C für „corruption“ (Korruption). In diesen Stereotypen liegt schon ein Fünkchen Wahrheit – aber der Westen sieht Afrika nur durch diese Klischee-Brille und das ist sehr gefährlich. Wir im Westen bekommen immer nur eine Sorte Geschichten aus Afrika geliefert.

Welche immer wiederkehrenden Geschichten sind das?

Zum Beispiel die Berichterstattung über Korruption. Die Korruptionsfälle in Afrika werden oftmals sensationalisiert. Korruption ist immer – egal ob im Westen oder in Afrika – verachtenswert und unmoralisch. Bei der Korruption in Afrika sind oftmals transnationale Konzerne aus dem Westen involviert, die sich mitschuldig machen. Aber Journalisten aus dem Westen stellen sich nur sehr selten die Frage, wie es dazu kommen konnte, dass zum Beispiel Banken aus dem Westen Komplizen von afrikanischen Diktatoren geworden sind.

Sie sind also der Ansicht, dass der Westen eine begrenzte Sicht auf Afrika hat. Wie können alternative Medien das ändern?

Ich denke, dass alternative Medien eine andere Berichterstattung von einem anderen und progressiven ideologischen Standpunkt präsentieren. Sie versuchen, einen größeren kontextabhängigen und geschichtlichen Hintergrund zu liefern. Sie versuchen, den Mediennutzern zu erklären, warum Dinge in Afrika so sind, wie sie sind und damit ein größeres Verständnis beim Publikum zu erzielen. Diese Rolle vernachlässigen Mainstream-Medien meistens.

Können wirklich nur alternative Medien diese Rolle ausfüllen?

Für Mainstream-Medien ist diese Rolle schwierig, da sie oft finanziellen Interessen unterliegen. Sie denken profitorientiert. Oftmals diktieren auch die Interessen der Werbetreibenden die journalistische Agenda. Außerdem müssen Mainstream-Medien ihr Publikum unterhalten und Storys bereithalten, die es auch interessiert. Nicht selten werden sie vom Human Interest-Faktor beeinflusst – und dann geht es wieder um Elend und Hungersnöte in Afrika, denn so etwas interessiert die Leser. Natürlich könnte man sagen, dass die Berichterstattung über Hungersnöte und NGOs, die dem afrikanischen Volk helfen, eine gute Sache sind, aber es gibt auch eine negative Seite dieser Berichterstattung über humanitäre Katastrophen: Es wird vermittelt, dass Afrikaner immer Hilfe brauchen und vom weißen industriellen Komplex abhängig sind. Ich denke, letztlich schädigt dies Afrika.

Wie berichten afrikanische Medien über Afrika?

Wir dürfen nicht vergessen, dass viele Medienunternehmen in Afrika das Ausbildungssystem für Journalisten von ihren ehemaligen Kolonialmächten übernommen haben. Viele Journalistenschulen sind deshalb sehr europazentriert, zudem sind viele Medien aus westafrikanischen Ländern bei ihrer Berichterstattung von den Quellen CNN, Reuters oder BBC abhängig. Es gibt aber auch kleinere alternative Medienunternehmen in Afrika, die ihre eigene Agenda festlegen und mehr lokale Storys bringen und näher am Bürger berichten können. Allerdings leiden die alternativen Medienhäuser oftmals unter Geldmangel.

Könnten alternative Medien eine Hauptquelle für westliche Mainstream-Medien werden?

Ich denke schon, dass das möglich wäre. Es gab schon immer progressive Leute im Westen, die die Mainstream-Medien eher kritisch betrachten und auch andere Quellen heranziehen. Allerdings glaube ich kaum, dass die kapitalistische und imperialistische Presse Interesse an einer Berichterstattung hätte, die sich gegen sie richtet.

Gibt es Ihrer Ansicht nach im Westen ein genügend großes Publikum, das Interesse an einer reflektierteren Berichterstattung über Afrika hätte?  

Ich denke, dass westliche Journalisten eine Verantwortung tragen und weniger sensationalisierte und klischeebeladene Geschichten aus Afrika erzählen sollten. So wissen im Westen nur wenige Leute, dass es in Afrika die meisten weiblichen Abgeordneten gibt. Die Berichterstattung, die im Westen ankommt, präsentiert afrikanische Frauen immer nur als unterdrückte Opfer. Trotz der furchtbaren Dinge, die in Afrika passieren, gibt es aber auch Positives zu berichten.

Aber gibt es auch ein Publikum für solche Geschichten?

Ich hoffe es, aber ich kann Ihre Frage nicht wirklich beantworten. Man müsste eine Umfrage starten und das Publikum fragen, was es interessieren würde. Aber ich denke schon, dass Geschichten wie die von den afrikanischen Parlamentarierinnen den Mediennutzern eine andere Perspektive auf Afrika vermitteln würden.

Das Interview mit Ama Biney führte Bastian Pietsch

Übersetzt aus dem Englischen von Tina Bettels

 

„Wir brauchen ein funktionierendes Korrespondentennetz“

Stäcker_1Claus Stäcker leitet bei der Deutschen Welle die Afrika-Programme. Er war zuvor ARD-Korrespondent für das südliche Afrika in Johannesburg (Südafrika).

Herr Stäcker, was ist Ihre Motivation an der Konferenz „Afrika 3.0“ teilzunehmen?

Das Thema ist total spannend und trifft den Zeitgeist. Es begegnet uns auch bei der Deutschen Welle täglich. Auch wenn wir ein ganz anderes Programm machen als inländische Medien, schwingt bei diesem Thema auch immer ein gewisser Vorwurf mit. Es ist die Art, wie über Afrika geschrieben, geredet und gerichtet wird. Das ist nicht immer partnerschaftlich, sondern immer noch vereinnahmend, paternalistisch, von oben herab.

Warum ist das Ihrer Meinung nach so?

Das hat tief verankerte sozialpsychologische Ursachen. Wir dürfen nicht vergessen, dass wir vor 100 Jahren ein völlig anderes, nicht infrage gestelltes Apartheid-Modell in den Köpfen hatten. Also hier die Europäer, die Aufklärer, Eroberer, die den Fortschritt nach Afrika gebracht haben, auf der anderen Seite die „Wilden“, die „Buschneger“, die „Primitiven“. So wurden sie bezeichnet. Ich habe in meiner Arbeit in Afrika oft festgestellt, dass das Minderwertigkeitsgefühl bis heute sehr verbreitet ist, auch wenn das aus aufgeklärten europäischen Augen erschreckend ist. Die letzte noch lebendige Form des Paternalismus ist in meinen Augen die Entwicklungshilfe. Es ist immer noch so, dass wir  den Afrikanern sagen, was sie zu tun und zu lassen haben. Das wirkt bis heute nach und ist eine der Ursachen für diese heutige Schräglage. Das werden nur die Afrikaner selbst lösen können, indem sie sich definieren und behaupten gegen die Europäer. Sie müssen in Diskursen in den Medien und in politischen Verhandlungen den Europäern ihre eigene Rolle klar machen.

Was hat sich seit dem Beginn Ihrer Arbeit in und über Afrika in den frühen 90er Jahren bis heute verändert?

Ich glaube, dass langsam durchsickert, dass sich die Afrikaner nicht mehr von den Europäern sagen lassen, wo es langgeht. Das hat zum einen mit der Verschiebung der Gewichte in der Welt zu tun. Es sind jetzt auch Chinesen in Afrika unterwegs, oder auch Inder und Türken. Aber auch Südafrika mit seiner Rolle in der BRICS-Staatengemeinschaft ist deutlich aufgewertet worden. Es sucht viel mehr Rat auf der Südhalbkugel, nämlich in Partnerländern, die vergleichbare Entwicklungen genommen haben, wie Indien oder Brasilien. Europas Rolle schwindet dadurch. Diese Aufwertung Afrikas ist schon sehr positiv. Negativ auf der Medienseite ist, dass das Korrespondentennetz in der Berichterstattung in den vergangenen Jahren deutlich ausgedünnt worden ist, nicht nur in Deutschland, sondern weltweit. Und es herrscht auch eine allgemeine Verflachung der Medieninhalte, die wir auch in Deutschland erleben. Ein positiver Gegenpol ist die erwachende Zivilgesellschaft, der Citizen Journalism, die Blogger und Sozialnetzwerker, die sich auch in Afrika äußern und emanzipieren. Die bilden heute mit jedem technischen Fortschritt neue globale Netzwerke, die gleichberechtigter im Umgang sind. Ich glaube, da ist etwas Neues gewachsen und das wird hoffentlich die Meinungsbildung beeinflussen.

Welche Themengebiete wären  interessant, um die Kontinuität der Berichterstattung zu wahren oder sie zunächst erst einmal herzustellen?

Wie soll unsere Gesellschaft des 21./22. Jahrhunderts aussehen mit unserer Alterspyramide und mit einem wachsenden Anteil an Migranten? Wir wissen, dass Afrika ein besonders junger Kontinent ist und ein enormes Bevölkerungswachstum hat. In 20 Jahren werden wir mit 500 Millionen jungen Afrikanern konfrontiert sein, die nur sehr vage Perspektiven auf ihrem eigenen Kontinent haben und womöglich auch den Weg nach Norden suchen. Darauf sind wir überhaupt nicht vorbereitet. Wir sehen ja jetzt schon, was auf Lampedusa los ist und wie sich die Schuh-Berge der ertrunkenen Flüchtlinge an den spanischen Küsten häufen. Wie lange werden wir das aushalten und wie lange werden wir das verdrängen können? Hier besteht schon allein aus Eigenschutz die Notwendigkeit, solche Prozesse kritisch zu begleiten und in voller Dimension zu reflektieren. Das ist aber ein Wunschbild, das ist bis jetzt leider noch nicht Realität.

Was wünschen Sie sich für die deutsche Afrikaberichterstattung?

Ich denke, dass wir ein funktionierendes Korrespondentennetz haben müssen. Das sage ich natürlich nicht ganz unbefangen, weil ich selber so lange Korrespondent war. Aber ich glaube, anders geht es nicht. Natürlich kann man auch stärker afrikanische Mitarbeiter mit einbeziehen und Stringer-Netze sind sowieso unerlässlich. Ohne die kann eine Berichterstattung gar nicht funktionieren. Allerdings glaube ich auch nicht, dass sie unser Problem lösen. Denn das Problem fängt ja eher in Deutschland, in Europa, an. Wie sehr sind wir überhaupt als Konsumenten bereit, uns über Themen aus Afrika informieren zu wollen. Da stelle ich ein erschreckendes Desinteresse fest. Man beschäftigt sich mit seiner eigenen Nachbarschaft, man beschäftigt sich mit der Eurokrise. Aber schon die Schicksale der Griechen und Spanier sind uns ja relativ egal, um es mal zynisch zu formulieren. Und ähnlich verhält es sich mit Afrika. Da liegt auch der Hase im Pfeffer, wann immer es um Stereotypen, um Klischees geht, die man entkräften möchte. Indem man sie bestätigt, fühlt man sich auch gleich ein bisschen sicherer als Rezipient. Man fühlt sich in seiner Welt wieder zu Hause und freut sich, dass diese immer noch gerade steht und das schlechte Gewissen kann man ja beruhigen mit einem Altkleidersack oder einer Geldspende.

Was reizt Sie am meisten an der Berichterstattung aus Afrika?

Die Berichterstattung aus Afrika finde ich deshalb so spannend, weil man dort als Journalist immer mit elementaren Problemen konfrontiert wird. Egal, ob es Armut ist, Ernährungsunsicherheit oder Krankheiten sind, ob Kriege oder Umweltprobleme, Havarien, Katastrophen: In Afrika hat das immer sofort unmittelbare Auswirkungen. Das heißt, man kriegt fast immer direkt und komprimiert die Probleme der Menschheit serviert. Und wir hier in Deutschland wiegen uns da in einer vermeintlich sicheren Welt, die uns – auch via Medienvermittlung – einen schönen Schein vorspielt, der nicht real ist. Dieser Schein trügt halt und in Afrika ist man mitten drin.

Also sind es doch die vier Ks  – Kriege, Krisen, Katastrophen, Krankheiten?

Nein. Mich fasziniert vor allem die Dynamik Afrikas. Mich hat schon immer die Herausforderung gereizt, Afrika als einen völlig verschiedenartigen Kontinent darzustellen. Denn in Deutschland hat man so eine folkloristische Perspektive auf Afrika und kann sich gar nicht vorstellen, dass es ähnliche Unterschiede gibt wie zwischen Schottland und Bosnien-Herzegowina. Wir wissen, dass Europa sehr vielgestaltig ist und das müssen wir auch hier begreifen, dass Afrika ebenso heterogen und vielgestaltig ist. Und genau diese Palette hat mich immer enorm gereizt.

Das Interview führte Maximilian Planer

 

Die Interviews wurden vor der Fachtagung „Afrika 3.0“ von Journalistik-Studierenden der TU Dortmund im Rahmen des Seminars „Auslandsberichterstattung“ unter der Leitung von Prof. Dr. Susanne Fengler und Marcus Kreutler geführt.

 

Bildquellen: waterdotorg/Flickr, Julia Neumann (Foto von Ama Biney), Africa Positive (Fotos von Birgit Virnich, Silvia Liebrich, Abdulla Awudu und Claus Stäcker)

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