Den Journalisten auf die Finger schauen

4. Juli 2016 • Digitales, Qualität & Ethik • von

Im Januar dieses Jahres ging die Medienkritik-Website „Übermedien“ von Stefan Niggemeier und Boris Rosenkranz online. Im Interview spricht Boris Rosenkranz über die Erfahrungen der ersten sechs Monate, Lügenpresse-Vorwürfe und lautes Gebell in sozialen Netzwerken sowie die Hoffnung, einen Einfluss auf die Arbeit der Journalisten zu haben.

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Boris Rosenkranz

EJO: Herr Rosenkranz, im Januar 2016 ist Übermedien gestartet. Wie fällt Ihr Fazit des ersten halben Jahres aus?

Boris Rosenkranz: Mit dem ersten halben Jahr sind wir sehr zufrieden. Wir hatten einen guten Start mit positivem Feedback. Wir sind jetzt bei 1.600 Abonnenten und das ist eine gute Zahl. Aber wir trommeln jetzt weiter. Wir brauchen wesentlich mehr Leute, die uns unterstützen, damit wir machen können, was wir alles machen wollen, auch weiteres Know-How dazu holen, zum Beispiel einen Grafiker oder einen professionellen Cutter. Und es gibt noch zwei, drei andere Baustellen.

Zum Beispiel?

Wir haben zu Beginn gesagt, dass wir nicht nur kritisieren, sondern auch empfehlen und auf guten Journalismus hinweisen wollen. Das läuft im Moment noch gar nicht. Das ist auch ein Zeitproblem. Wir haben zwar knapp zwanzig Gastautoren, aber der Großteil des Contents kommt von Stefan Niggemeier und mir. Die Empfehlungs-Rubrik auszubauen steht ganz oben auf unserem Zettel, weil uns das gerade in der allgemeinen Stimmungslage mit Lügenpresse-Vorwürfen sehr wichtig ist.

Wer sind Ihre 1.600 Abonnenten? Kommen sie hauptsächlich aus dem Mediengeschäft?

Dazu haben wir bisher keine Erhebung gemacht. Es sind natürlich einige Journalisten darunter, medienaffine Leute und durchaus auch medienkritische Nutzer. Mein Wunsch wäre es, dass wir über diese Grenze hinaus noch bekannter werden und uns Leute lesen, die nichts mit Medien am Hut haben. Um beispielsweise zu erfahren, dass die Überschrift, die sie in der vergangenen Woche groß in der Zeitung gelesen haben, so gar nicht stimmt. Wir hatten gerade schon von den Lügenpresse-Vorwürfen gesprochen: Gegen einen pauschalen und nicht zutreffenden Lügenpresse-Vorwurf würden wir Medien immer auch verteidigen. Wenn man aber anhand von Fakten nachweisen kann, dass etwas nicht richtig ist, muss man das kritisieren.

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Übermedien.de ging im Januar an den Start.

Schalten Sie Ihre Angebote auch deshalb nach einer Woche frei?

Wir packen nur einen Teil unserer Beiträge hinter eine Paywall. Denn natürlich möchten und müssen wir mit dem, was wir anbieten, gerne Geld verdienen, auch wenn wir damit niemals reich werden. Die Texte sind eine Woche exklusiv für unsere Abonnenten sichtbar und erst danach für alle frei. Auch das war unser Wunsch. Denn würden wir nur unsere Abonnenten beliefern, würden wir uns im Moment an 1.600 Leute richten. Das wäre zu wenig. Wir wollen natürlich, dass sich unsere Artikel verbreiten, weil Medienkritik ansonsten nicht viel Sinn hat. Aber natürlich bleibt das, was wir machen, eine Nische.

Können Sie sich vorstellen, in Zukunft Anzeigen zu schalten?

Das haben wir nie kategorisch ausgeschlossen. Aber bei der Planung der Seite haben wir auch nie Plätze für Werbung vorgesehen. Im Kern leben wir von unseren Abonnenten, Werbung wäre on top. Wenn sich so etwas ergibt, dann überlegen wir es uns. Was wir allerdings ausschließen können ist, dass Werbung bei uns blinkt oder aufploppt oder kleine Autos über die Seite fahren, die ein Werbebanner hinter sich herziehen Wenn dann sollte es Werbung sein, die nicht nervt. Andererseits ist auch denkbar, dass wir unsere Artikel weiterverkaufen, wenn andere Medienhäuser beispielsweise an einem Essay interessiert sind und das nochmal ihren Lesern weitergeben wollen. Dann agieren wir wie freie Journalisten.

Medienressorts sind meist die ersten Opfer von Sparmaßnahmen. Warum ist Medienkritik Ihrer Meinung nach immer noch – oder gerade jetzt – wichtig?

Es ist gerade eine gute Zeit , Medienkritik zu betreiben. Zum einen gibt es diese sehr laute, sehr pauschale Verurteilung der Medien. Zum anderen haben in den vorigen Jahren immer mehr Redaktionen ihren Medienteil eingestellt, wie etwa Der Spiegel vor nicht allzu langer Zeit, mit dem Versprechen, Medienkritik finde auch an anderen Stellen im Heft statt. Das ist bestimmt richtig. Trotzdem glauben wir, dass eine Fokussierung darauf wichtig ist. Wer sonst soll Journalisten auf die Finger gucken, wenn nicht Journalisten?

In Zeiten von Social Media kann das theoretisch jeder. Wofür spricht Ihrer Meinung nach eine professionelle Medienkritik?

Das stimmt. Man muss sich nur auf Twitter, Facebook und Co. umschauen. Nur die Kritik, die dort geäußert wird, ist sehr reflexhaft, sehr laut, teilweise überpolemisch. Auch wir sind manchmal böse, wenn uns etwas aufregt und manchmal hauen auch wir einen Tweet reflexhaft raus. Aber wir sind ausgebildete Journalisten. Wir wenden das Handwerk an, mit dem auch die anderen arbeiten. Dass es den Journalisten nicht besonders gefällt, kritisiert zu werden, ist auch klar. Aber da müssen sie durch.

Ihr Slogan heißt „Medien besser kritisieren“. Inwiefern kritisieren Sie die Medien besser als andere?

Man kann den Slogan auf zwei Arten lesen. Einerseits zielt er auf eine bessere Medienkritik ab, die auf Fakten konzentriert ist. Wir haben gemerkt, dass den Leuten die Fakten oft schon reichen, um sich dann eine Meinung zu bilden. Und wir können uns frei bewegen: Wir gehören nicht zu den Lügenpresse-Rufern, zu keinem Verlag, keiner Rundfunkanstalt. Wir sind unabhängig. Und es wäre natürlich schön, wenn sich etwas ändern würde. Manchmal resigniert man fast, zum Beispiel in der Suizidberichterstattung. Seit Jahren weiß man, dass eine zu detaillierte Berichterstattung Nachahmer auf den Plan ruft. Aber ich sehe sie immer wieder, wie detailliert darüber geschrieben wird, zuletzt bei Sascha Lewandowski. Da fragt man sich, wie oft man es noch sagen und schreiben muss. Aber es schwingt natürlich die Hoffnung mit, dass manche Journalisten einen Schritt zurücktreten und ihre Arbeit reflektieren.

Was steht bis zum ersten Geburtstag von Übermedien auf dem Plan?

Ziemlich viel. Wir wollen uns damit beschäftigen, wie wir unsere Paywall aufrüsten können, so dass der Nutzer neben dem normalen Abonnement von 3,99 Euro im Monat entscheiden kann, ob er uns vielleicht 6 Euro oder 10 Euro zahlen möchte. Wir müssen Abonnenten dazu gewinnen und wollen uns breiter aufstellen, was Autoren betrifft, um noch mehr Debatten anzuregen und eine Diskussion zu bewirken. Nach dem Veröffentlichen der Artikel soll es nicht ruhig sein, sondern lebendig.

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