Die Monstranz EU

1. Juli 2016 • Internationales, Qualität & Ethik • von

Zum Brexit liest man fast nur panische Kommentare. Denn es kommentieren die Tempelwächter.

europe-1456246_1280Adjektive und deskriptive Substantive sind für Journalisten gefährlich. Wer sie verwendet, offenbart einen Blick in seine Emotionen.

Es ist darum aufschlussreich, was die NZZ am Sonntag über den Stil von David Cameron schreibt, den sie beim Brexit für hauptschuldig hält. Der Mann agiert jämmerlich, kurzsichtig, töricht, tragisch und absurd.

Über den Stil von Boris Johnson, den die NZZ am Sonntag beim Brexit ebenfalls für hauptschuldig hält, schreibt sie ähnlich. Der Mann agiert unberechenbar, ehebrecherisch, abseitig, gierig und verlogen.

Es ist nur ein Beispiel, welchen Katzenjammer der britische EU-Abschied im Journalismus ausgelöst hat. Ich habe keinen einzigen abgeklärten Artikel darüber gelesen, dass nun halt ein Vereinsmitglied aus einem Verein ausgetreten sei. Nein, ich las nur über Apokalypse und Düsternis.

Die Journalisten philosophierten über Zusammenbruch (Blick), Angst vor dem Untergang (Sonntagszeitung), eine echte Katastrophe (Spiegel), über ein Europa, das auseinanderzufallen droht (Tages-Anzeiger), über Auflösung (FAZ), Abgrund (Aargauer Zeitung) und Zerfall (20 Minuten).

Wie immer in dramatischen Medien-Zeiten musste auch eine neue Worthülse her, um das Geschehen plakativ zu verdichten. Brexit-Schock hieß die Worthülse. Über den Brexit-Schock las ich unter anderem in: NZZ, Tages-Anzeiger, Basler Zeitung, Blick, St. Galler Tagblatt, Berner Zeitung, Tages-Anzeiger, Freiburger Nachrichten, Zürcher Oberländer, Zürcher Unterländer, Zürichsee-Zeitung, Bieler Tagblatt, Landbote, 20 Minuten und Bund.

Das Wort Schock steht für eine akute, nicht kalkulierbare Bedrohungssituation. Er kann eintreten bei einem plötzlichen Todesfall, einem Schlangenbiss oder einem Terroranschlag. Ein Schock ist immer unerwartet.

Für die Medien hingegen ist ein Schock nicht ein unerwartetes Ereignis, sondern ein unerwünschtes Ereignis. Darum reagieren sie dann mit Dramatik und Untergangspathos.

Der sogenannte Frankenschock beispielsweise war über Monate absehbar. Es war klar, dass die Nationalbank irgendwann zur währungspolitischen Normalität zurückkehren musste. Dennoch taten die Medien so, als hätte ein Blitz aus heiterem Himmel eingeschlagen.

Der sogenannte Brexit-Schock war ebenso über Monate absehbar. Es war klar, dass es in Großbritannien eine enge Entscheidung zum EU-Referendum geben würde. Dennoch taten die Medien nun so, als wäre mitten in friedlicher Nacht ein Großbrand ausgebrochen.

Es hat damit zu tun, dass der Franken und noch mehr die EU in den Augen der Journalisten keine ökonomischen Konstrukte sind. Es sind vielmehr kultisch-angebetete Instanzen der Weltenrettung.

Der Franken ist in den Medien nicht einfach ein Faktor unter vielen, der neben Qualität, Produktivität, Ausbildungsniveau und Steuerbelastung den ökonomischen Erfolg bestimmt. Nein, er ist, vor allem bei den Linken, der alleinige Götze, der die Volkswirtschaft steuert.

Die EU wiederum ist in den Medien nicht einfach ein supranationaler Interessenverband zwecks Erhöhung des Inlandprodukts. Nein, sie ist ein religiös verklärter Vatikan der multikulturellen Integration, eine permanente Synode der Pax Mundi.

Die Journalisten glauben, was die EU-Politiker – respektive deren Ghostwriter – an hymnischen Verklärungen ihres Zweckbündnisses abliefern. Sie glauben an die liturgische Monstranz EU.

Wer einer Monstranz dann einen Kratzer zufügt, der begeht Blasphemie. Dann reagieren die Tempelwächter mit Verstörung. Dann hyperventilieren sie.

Erstveröffentlichung: Weltwoche vom 30. Juni 2016

Bildquelle: pixabay.com

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