Egal, wo du stehst, sag, wo du stehst

18. März 2011 • Qualität & Ethik • von

Die Formel für Journalisten ist einfach: Information minus Gesinnung gleich Wahrheit.

Emil, mein Großvater, war freisinniger Kantonsrat in Solothurn. Die Solothurner FDP war ein wirtschaftsnaher Partner der kantonalen Konzerne wie Autophon, Von Roll und Bally. Gleichzeitig war sie für eine vernünftige Sozialpolitik. Die AHV, die 1947 eingeführt wurde, entstand im Solothurner Freisinn.

Meine politische Haltung deckt sich in etwa mit jener meines Großvaters. Allerdings bin ich damit eher im rechten FDP-Flügel gelandet, weil die Partei seit Emil deutlich nach links gerutscht ist. Man weiß nun also, wo ich stehe. War das nun ein übler Eingriff „in die Privatsphäre und die verfassungsmäßig garantierten Freiheitsrechte der Journalisten“?

Mit der pathetischen Abwehr-Formulierung von Privatsphäre und Freiheitsrechten reagierten die drei Mediengewerkschaften SSM, Syndicom und Impressum auf die simple Frage eines Journalisten. Ein Redaktor der Weltwoche hatte seine SRG-Kollegen von Radio und Fernsehen schriftlich nach ihrer politischen Gesinnung befragt.

Stehst du links? Stehst du rechts? Das muss geheim bleiben, sagen die Journalistenorganisationen, die nahezu alle Medienakteure des Landes vertreten.

Seitdem gibt es in der Branche eine interessante Diskussion über politische Transparenz. Die Diskussion findet primär auf Internetseiten wie medienspiegel.ch und medienwoche.ch statt. Die gedruckten Blätter machen lieber einen Bogen um die Thematik.

Freimütig äußerte sich etwa David Sieber, der Chefredaktor der Tageszeitung Südostschweiz. Er bekannte, früher Mitglied der Linksaußenpartei Poch gewesen zu sein, und positionierte sich auch in der Gegenwart: „Politisch war und bin ich links der Mitte zu verorten.“ Der Applaus, den Sieber für seine Offenheit auch von seinen Lesern bekam, war bemerkenswert.

Von Sieber wissen seine Leser nun, wo er steht, und sie können es einordnen, wenn er in der Ausländerpolitik wieder die linke Harfe zupft. Kein Thema auch ist Res Strehle, der Chefredaktor des Tages-Anzeigers, der bekannt ist als links-grüner Realo. Kein Thema ist Markus Somm, der Chef der Basler Zeitung, der zu seiner SVP-Sympathie steht. Kein Thema ist NZZ-Kolumnist Beat Kappeler, von dem man weiß, wie er sich vom Gewerkschafter zum Wirtschaftsliberalen entwickelte. Das Thema sind jene, die ihre politische Überzeugung haben, diese aber verschweigen. Dies ist speziell unappetitlich, wenn sie von öffentlichen Geldern leben.

Denn machen wir uns nichts vor. Auch wenn Journalisten sich an ihre Standesethik halten, wenn sie sich also zu Werten wie Unabhängigkeit, Sachgerechtigkeit und Objektivität bekennen – die eigene politische Haltung lässt sich nie ausblenden. Viele linke Treibjagden, wie etwa die Kampagnen gegen die Swissfirst-Bank und die KPT-Krankenkasse, endeten ­darum fatal, weil die Journalisten die eigene Haltung stärker als die Branchenregeln gewichteten. Wenn wir hier von linken Treibjagden reden, dann nur darum, weil es in den Schweizer Medien bisher keine rechten Treibjagden gab.

Es ist kein Problem, wenn Journalisten eine politische oder parteipolitische Haltung haben. Das Problem besteht nur dann, wenn sie diese Haltung gegen außen verheimlichen. Sie verhindern damit, dass das Publikum die Formel für eine transparente Berichterstattung anwenden kann. Die Formel ist eine einfache Subtraktion. Sie lautet: Informationsmenge minus politische Gesinnung gleich Wahrheitsgehalt.

Wir geben unseren Lesern darum eine sozusagen chinesische Grundregel mit: Ein Journalist, der dir sagt, wo er steht, steht für Glaubwürdigkeit, egal, wo er steht. Hüte dich aber, wenn er schweigt.

Erstveröffentlichung: Weltwoche Nr. 11/2011

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