Ein Weckruf für den Journalismus

1. Februar 2017 • Qualität & Ethik • von

Regelmäßig wird eine Krise des Vertrauens in die Medien beschworen. Die Behauptung kann man empirisch nicht belegen. Allerdings lässt sich die Krisenstimmung erklären – und nutzbar machen.

Aus vielen Umfragen wissen wir: Über die Jahre hinweg ist das Verhältnis ziemlich stabil zwischen denen, die den Medien vertrauen, und denen, die den Medien nicht oder gar nicht trauen. In Deutschland haben etwa 40 Prozent großes oder sogar sehr großes Vertrauen in die Medien. Und etwas mehr als die Hälfte vertraut den Medien wenig, weitere rund 10 Prozent gar nicht. Das sind die Misstrauischen.

Auch in der Schweiz ist das Vertrauen in Medien recht stabil. Und es vertrauen sogar fast 60 Prozent den Medien. Weder in der Schweiz noch in Deutschland ist das Vertrauen im Zeitverlauf stark gesunken, wie die Vermutung einer Vertrauenskrise nahelegen würde. Sicher gibt es kurzfristige Ausschläge nach oben und nach unten. Und bei manchen Themen zeigt sich weniger Vertrauen, bei manchen mehr. Vor allem wird manchen Medien mehr vertraut als anderen. Qualitätszeitungen und öffentlicher Rundfunk haben einen Bonus, Privatsender und Boulevardblätter einen Malus.

Skepsis ist gesund

Ein großer Teil der Bevölkerung ist also skeptisch. Das ist gut so. Niemand kann ernstlich wollen, dass die Bürger den Journalisten vorbehaltlos trauen und folgen. Hinzu kommt: In vielen Umfragen wird den Befragten keine mittlere Kategorie angeboten, etwa ein „teils – teils“. Die Befragten sollen sich entscheiden – für Vertrauen oder für Misstrauen. Eine mittlere Position würden sicherlich sehr viele Befragte wählen, wie man in Befragungsexperimenten zeigen kann.

Von Bedeutung für die derzeitige Krisendiagnose ist ein weiterer Befund: Ein Großteil der etwa 10 Prozent Misstrauischen stimmt in Umfragen ausdrücklich dem Vorwurf der „Lügenpresse“ zu. Sie unterstellen also den Medien, dass sie über die Wirklichkeit verzerrt berichten, dass sie sogar bewusst die Unwahrheit sagen. Oft wird ihnen unterstellt, dass sie dabei gelenkt werden durch politische Kräfte.

Die laute Minderheit

Unter den 10 Prozent Misstrauischen gibt es einen harten Kern, eine Gruppe, die sich nicht nur in anonymen Umfragen zum Vorwurf der Lügenpresse bekennt, sondern diese öffentlich laut anprangert und in Kommentaren zu den Online-Angeboten der Medien zum Ausdruck bringt. Dieser harte Kern umfasst etwa 1 bis 2 Prozent der Bevölkerung. Denn auch das weiß man aus Umfragen: Die weitaus meisten derjenigen, die Kommentare bei den Online-Angeboten der Medien hinterlassen, tun das nur ab und an einmal, aber einige tun das sehr oft und intensiv.

Es ist dieser harte Kern der Misstrauischen, der öffentliches Aufsehen erregt und insbesondere im Journalismus für Unruhe sorgt. Man muss die 10 Prozent Misstrauischen und ihren harten Kern von 1 bis 2 Prozent ernst nehmen, aber man sollte sich von ihnen auch nicht treiben lassen.

Die Misstrauischen finden natürlich einiges in den Medien, was zu kritisieren ist: schlampige Recherche, arroganter Ton, deutliche Voreingenommenheit. Das gibt es auch in Qualitätsmedien.

Das ist aber nicht der wichtigste Faktor. Die Misstrauischen sind vor allem deshalb misstrauisch, weil sie sehr profilierte politische Ansichten haben. Und diese finden sie in den Medien kaum wieder, was sie ärgerlich bis wütend macht. Das ist aber bei allen Streitfragen so, nicht nur bei den derzeit diskutierten Themen. Deshalb ist es auch vielfach und seit langem untersucht worden.

Die Forschung hat immer wieder zeigen können: Je konsequenter jemand in einer Streitfrage für oder gegen eine Position ist, desto kritischer ist er gegenüber den Medien bei diesem Thema. Da kann eine Zeitung noch so ausgewogen berichten, beispielsweise über das Für und Wider von Schutzimpfungen – in den Augen der Engagierten auf beiden Seiten wird es immer unfair, verzerrt, falsch sein.

Politische Position entscheidet

Ausgewogener Journalismus kann es den jeweiligen Rändern nicht recht machen. Je mehr man gegen Schutzimpfungen ist, desto perfider findet man die Berichterstattung, auch wenn sie neutral und objektiv ist – von außen und mit Abstand betrachtet. Und je mehr man für Schutzimpfungen ist, desto verharmlosender findet man die Berichterstattung dazu.

Die politischen Positionen sind also der Hauptgrund. Die Radikalität der Position verstellt den Radikalen den nüchternen Blick auf den Bericht. Aus ihrer Sicht soll die Gegenseite keinen Fußbreit Raum bekommen. Denn dadurch könnten ja die Unentschlossenen und Unengagierten zur falschen Meinung verführt werden. Die Entschlossenen vermuten, dass die Medien die Menschen beeinflussen, und deshalb rennen sie so gegen die Berichterstattung an.

Diese Wahrnehmung von Medien als Feinden ist gut untersucht. 1985 haben Vallone, Ross und Lepper, drei Psychologen von der Stanford University, für den Zusammenhang von extremer Ansicht und Wahrnehmung einer verzerrten Berichterstattung den Begriff „hostile media phenomenon“ geprägt. Allerdings reicht die radikale Ansicht allein noch nicht, um die öffentlich gezeigte Wut des harten Kerns zu erklären: Wer öffentlich gegen die Lügenpresse zu Felde zieht, ist durch bestimmte Persönlichkeitsmerkmale gekennzeichnet: Er – zumeist ist es ein Mann – ist extrovertiert, egozentrisch, leicht erregbar.

In den letzten Jahren ist ein weiterer Grund hinzugekommen: Die Misstrauischen und ihr harter Kern können sich heute ganz anders untereinander austauschen und dabei aufschaukeln. Sie können sich sieben Tage die Woche 24 Stunden lang wechselseitig über Facebook bestätigen, wie schlimm die Berichterstattung ist. Das stärkt den Rücken und liefert Argumente. Es haben sich so Kammern gebildet, wo man nur noch das Echo auf die eigene Position hört – so auch Kammern der Medienverdrossenen.

Lernprozess erkennbar

Dennoch: Die Debatte um die Lügenpresse hat als Weckruf für die Medien gewirkt. Daraus kann und muss gelernt werden. Dieses Lernen kann man allenthalben sehen, nicht nur in den Qualitätsmedien, auch weit darüber hinaus. Es wird viel mehr als früher auf das Publikum geachtet. Es werden Fehler eingeräumt und korrigiert. Es wird die Transparenz verstärkt. Es wird penibler darauf geachtet, ob sich nicht eigenes Wunschdenken in die Berichterstattung einschleicht. Die Medienverdrossenen sind so Anlass und Ansporn, die eingeschliffenen Routinen und eigenen Vorurteile zu prüfen. Das ist verdienstvoll.

Erstveröffentlichung: NZZ vom 21. Januar 2017

Zum Thema auf EJO: Vertrauenskrise in den Medien untersucht

Bildquelle: pixabay.com

 

 

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