Eine Frage der Glaubwürdigkeit

29. Juli 2010 • Qualität & Ethik • von

Erstveröffentlichung: Message Nr. 3/2010

Transparenz

Zum journalistischen Handwerk gehört nicht nur eine gründliche Recherche, sondern auch der offene Umgang mit Quellen. Wie transparent arbeiten deutsche und US-amerikanische Qualitätszeitungen?

Informationen sind zu einer Massenware geworden. Journalisten haben die Aufgabe, Orientierung zu bieten – Daten und Fakten einzuschätzen. Je mehr Quellen im Netz verfügbar sind, desto wichtiger ist deren Beurteilung. Berichterstattung ist aber erst dann wirklich transparent, wenn Angaben zu den Quellen aus dem Text hervorgehen. Doch welchen Stellenwert hat die Tranzparenz der Quellen in Qualitätszeitungen? Nehmen US-amerikanische Zeitungen dieses Gebot ernster? Muss man deshalb von unterschiedlichen journalistischen Kulturen sprechen?

Diesen Fragen ging eine Abschlussarbeit an der Technischen Universität Dortmund nach. Analysiert wurden im Vergleich Beiträge aus zwei deutschen und zwei US-amerikanischen Qualitätszeitungen: Zum einen der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) und der Süddeutschen Zeitung (SZ); zum anderen der New York Times (NYT) und der Washington Post (WP). In der Untersuchung zeigte sich, dass Artikel der FAZ und SZ fast durchgängig eine geringere Quellen-Transparenz aufwiesen als Texte der NYT und WP – wobei die Unterschiede zwischen den Zeitungen und Ländern beachtlich waren.

Die Mehrheit aller Aussagen ist belegt

Zunächst wurden die faktischen Aussagen aus Aufmacher-Artikeln der vier Zeitungen im Verlauf von 14 Monaten untersucht. Bei NYT und WP waren jeweils 23,5 Prozent der untersuchten Aussagen nicht belegt, bei der FAZ 25 Prozent. Nur bei der SZ war knapp jede dritte Aussage (31,3 Prozent) ohne Beleg.

Ein etwas anderes Bild zeigte sich bei der Analyse der Berichterstattung zum gemeinsamen Thema, dem G-8-Gipfel 2008 in Japan. Hier waren durchgängig bei allen Blättern weniger Aussagen mit Quellen belegt als in den Aufmacher-Artikeln.

Den niedrigsten Anteil an Informationen ohne Quelle weist die NYT mit 29,4 Prozent auf, FAZ und WP liegen etwa gleich auf mit 38 und 41 Prozent. Die meisten Informationen ohne Angabe der Herkunft bot die SZ mit 43,7 Prozent.

Genauere Betrachtung offenbart Defizite

Zusammen waren mehr als die Hälfte und beim überwiegenden Teil der untersuchten Artikel sogar drei Viertel der Aussagen belegt. Damit scheint die Berichterstattung eine respektable Transparenz aufzuweisen, schließlich sind Presseartikel keine wissenschaftlichen Arbeiten. Doch so gut, wie die Unterscheidung zwischen belegten und nicht belegten Aussagen vermuten lässt, ist es um die Transparenz der untersuchten Berichterstattung doch nicht bestellt.

Eine genauere Betrachtung ergab nämlich, dass die Angaben zur Herkunft der Aussagen und Fakten unterschiedlich genau waren. Verschiedene Autoren (zum Beispiel: Ruß-Mohl 2003, Weischenberg 2001, Zschunke 2000) plädieren für eine Analyse von Quellenangaben nach folgenden drei Dimensionen:

Erstens den Urheber der Information, zweitens den Kanal, auf dem die Information den Journalisten erreicht, und drittens die Konkretheit, mit der der Urheber benannt ist.

Je nachdem, wie gut eine Quellenangabe diese drei Dimensionen erfüllte, ließen sich Aussagen von höchster, hoher, mittlerer und niedriger Transparenz unterscheiden.

Dimensionen der Transparenz

Anhand eines Beispiels für jede Zeitung sollen die Merkmale der verschiedenen Dimensionen verdeutlicht werden:

■ In einem Artikel der NYT wurde ein mit Vor- und Nachname sowie Dienstgrad und Position genannter Offizier der israelischen Armee zitiert. Zudem wurde erwähnt, dass der Journalist das Gespräch mit ihm telefonisch geführt hatte. Damit waren alle drei Transparenzdimensionen optimal erfüllt.

■ Ein SZ-Text gab die Aussage einer Ministerin wieder. Sie wurde namentlich erwähnt, was die Dimensionen »Urheber« und »Konkretheit« optimal abdeckte. Unklar blieb der Kanal, auf dem die Aussage den Journalisten erreichte: Hat der Journalist die Zitierte aufgesucht und persönlich gesprochen? Hat er mit ihr telefoniert? Kommt das Zitat aus anderen Medien?

■ Die WP berief sich in einem Artikel zu den Terroran-schlägen von Mumbai auf eine Aussage der indischen Polizei. Damit war zwar der Urheber benannt (etwa in Abgrenzung zu Informationen von der Regierung oder der Aussage eines Hochschulprofessors), aber die Konkretheit ließ zu wünschen übrig. So wurde etwa nicht klar, ob ein Polizeisprecher oder ein hochrangiger Polizeifunktionär die Aussage machte. Völlig unklar bleibt der Kanal, auf dem die Information zum Journalisten gelangte.

■ Die FAZ berief sich in einem Artikel über ein Vorhaben der US-Regierung auf »Medienberichte«. Hier war der Urheber weder angegeben (welche Mediengattung) noch konkretisiert (welches Medium/welche Medien genau?). Auch der Kanal (Homepage einer Zeitung? E-Mail? Radio?) bleibt unklar.

Sonderfall: Investigative Recherche

Die Studie legte den Fokus auf einen Vergleich der Anteile von Aussagen mit hoher und höchster Transparenz. Denn bei der Erhebung zeigte sich, dass die Quellenangabe nicht in jedem Fall konkret sein kann, weil der Quellenschutz manchmal wichtiger sein kann. Gerade bei investigativer Recherche ist es mitunter unmöglich, Informanten zu benennen, etwa, wenn eine Enthüllung von Geheimdienstquellen lebt, die Interna preisgeben und deshalb anonym bleiben müssen.

In einer solchen Situation muss der Journalist abwägen und Abstriche bei der Genauigkeit der Quellenangaben machen. Somit kann in Sachen Konkretheit nicht die höchste Transparenzstufe erreicht werden – die entsprechenden Aussagen sind dann unter hoher statt höchster Transparenz einzuordnen.

Dies ist unter den gegebenen Umständen aber immer noch ein sehr gutes Transparenzniveau. Deshalb erscheint die Betrachtung der beiden höchsten Stufen der Transparenz im Zusammenhang sinnvoll.

Unterschiedliche Quellen-Kennzeichnung

Was ergab nun die differenzierte Betrachtung der belegten Aussagen in diese höchsten Stufen? Bei den Aufmachern nimmt die SZ hier den letzten Rang ein. Bei ihr wiesen 76,8 Prozent aller belegten Aufmacher-Aussagen hohe oder höchste Transparenz auf. Darüber liegen die FAZ mit einem An-teil von 82,2 Prozent sowie die NYT (86,5 Prozent) und an der Spitze die WP (87,9 Prozent). Zwischen der Zeitung mit der in diesem Sinne transparentesten Berichterstattung (WP) und derjenigen mit den am wenigsten transparenten Artikeln (SZ) liegen 11,1 Prozentpunkte. Auch der Abstand zwischen der FAZ und der NYT ist mit 4,3 Prozentpunkten nennenswert.

Ein etwas anderes Bild zeigt sich bei der Berichterstattung zum gemeinsamen Thema G-8-Gipfel. Drei Zeitungen lagen im Bereich um 80 Prozent: Bei der FAZ lag der Anteil von Aussagen mit hoher oder höchster Transparenz bei 84,3 Prozent. Die WP kommt auf einen Anteil von 85,1 Prozent, bei der SZ lag der Anteil bei 87,7 Prozent.

Den größten Anteil von Aussagen mit hoher und höchster Transparenz hatte bei G-8-Themen die NYT. 95,7 Prozent der belegten G-8-Aussagen lagen auf einem dieser beiden Transparenzniveaus. Wenn innerhalb der Texte auch nicht jede Aussage im Sinne der Definition mit einer Quellenangabe versehen war – bei den Illustrationen der Artikel war die Quellentransparenz tadellos. Für Bilder und Grafiken war nicht nur fast immer detailliert angegeben, was zu sehen war, sondern auch, woher die Motive beziehungsweise die optisch aufbereiteten Informationen stammten. In den untersuchten Artikeln fanden sich insgesamt 322 illustrative Elemente (FAZ: 32, SZ: 22, NYT: 115, WP: 153).

Bei den deutschen Zeitungen war zu jedem Bild-Element die Quelle und der Fotograf genannt sowie ein Text eindeutig zugeordnet. Bei der NYT fehlten in einem Fall diese Angaben zu einem Foto, in einem weiteren die Bezeichnung der Herkunft einer Grafik. Einmal gab es keinen Bildtext. Bei der WP fehlten je einmal bei einem Foto und einer Grafik die Quellenkennzeichnung, zudem hatte eine Abbildung keinen erklärenden Text. Offenbar ist die Quellenangabe bei Illustrationen weitaus gängiger als bei Informationen im Text.

US-Zeitungen arbeiten transparenter

Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass die Berichterstattung der US-Zeitungen mit zwei Ausnahmen in quantitativer (Anteil belegter Aussagen) und qualitativer Hinsicht (Transparenzniveau belegter Aussagen) transparenter war als die der deutschen Zeitungen.

Bei den Aufmachern, die die Mehrzahl der untersuchten Artikel ausmachten, galt dies immer.

Ausnahmen traten bei der G-8-Berichterstattung auf. Dort schob sich die FAZ beim Anteil belegter Aussagen zwischen NYT und WP. Die SZ schließlich verdrängte beim Transparenzniveau der belegten G-8-Aussagen die WP von Rang zwei.

In dieser Untersuchung nahm die NYT die Spitzenposition ein. Ihre Berichterstattung wies in den meisten Fällen in quantitativer und in qualitativer Hinsicht die höchste Transparenz auf – bei den Aufmachern und der G-8-Berichterstattung. Insgesamt gaben die US-amerikanischen Zeitungen ein besseres Bild ab als die deutschen. Auf was lassen diese beobachteten Tendenzen schließen?

Verschiedene Journalismus-Kulturen

Die Suche nach Ursachen für die Unterschiede zwischen deutschen und US-amerikanischen Zeitungen geht über die vorliegende empirische Untersuchung hinaus. Es war in der konkreten Studie kein einzelner Faktor auszumachen, der für die Differenz zwischen den Zeitungen und vor allem zwischen den Ländern verantwortlich ist. So lässt sich nicht etwa sagen, dass mehr Quellenangaben automatisch zu einem höheren Transparenzniveau bei diesen führen.

Sowohl innerhalb der Berichterstattung einzelner Zeitungen als auch im Vergleich der Blätter untereinander gab es Artikel, die hohe Transparenz aufwiesen, aber nur wenige Quellen – etwa Artikel, die im Wesentlichen aus paraphrasierten Interviews bestanden. Umgekehrt gab es Texte, in denen viele verschiedene Quellen vorkamen, die aber trotzdem einen hohen Anteil nicht belegter Aussagen enthielten. Häufige Beispiele hierfür sind investigative Geschichten.

Ein vielversprechender Erklärungsansatz scheint die Betrachtung der unterschiedlichen journalistischen Kulturen im deutschen und angloamerikanischen Raum zu sein. Zahlreiche Forschungsprojekte haben bereits Differenzen zwischen deutschen und US-amerikanischen Journalisten konstatiert – sei es in Bezug auf Rechercheverhalten (Cario 2006, Redelfs 1996) oder professionelle Werte (Weaver/Wilhoit 2003, Hallin/Mancini 2004). US-amerikanische Journalisten haben demnach ein engeres Verständnis des neutralen Berichterstatters, der im Bemühen um Objektivität den Ursprung seiner Informationen so genau wie möglich kennzeichnet. Die Erklärung hierfür ist unter anderem in der unterschiedlichen Entwicklung der Mediensysteme zu suchen.

Transparenz bedeutet Qualität

Mehrere Gründe legen nahe, dass Zeitungen mehr Wert darauf legen sollten, den Ursprung ihrer Informationen offenzulegen. Denn Quellentransparenz ist zahlreichen Autoren zufolge (beispielsweise Ruß-Mohl und Weischenberg) ein explizites Qualitätsmerkmal von Texten. Sie kann zusätzlich als interne Qualitäts-Kontrollinstanz fungieren. Wer gut recherchiert, sollte zeigen, dass er es getan hat und seine Quellen nennen.

Hohe Transparenz in der Berichterstattung ermöglicht zudem die Profilierung gegenüber anderen Medien. Es ist wohl kein Zufall, dass die NYT, oftmals als beste Zeitung der Welt bezeichnet (Ruß-Mohl 2001), auch in Sachen Transparenz der Berichterstattung die Spitzenposition der untersuchten Blätter einnimmt.

Drittens ist Transparenz ein gutes Instrument zur Steigerung der Glaubwürdigkeit beim Leser. Auf einen Vertrauensvorschuss der Rezipienten sollten sich die Blätter nicht verlassen – zumal Leser heute selbst viele Informationen leicht überprüfen können.

Und viertens leistet transparente Berichterstattung einen wichtigen Dienst für eine aufgeklärte Leser- und damit Bürgerschaft. Der Leser hat ein Recht darauf zu erfahren, woher Aussagen und Informationen stammen.

Wissenschaftliche Methode

Die Untersuchung war als Inhaltsanalyse angelegt und verknüpfte quantitative mit qualitativen Elementen. Untersucht wurden je zwei deutsche (Frankfurter Allgemeine Zeitung und Süddeutsche Zeitung) und zwei US-amerikanische (New York Times und Washington Post) Qualitätszeitungen. Die Stichprobe umfasst insgesamt 283 Artikel, davon 232 Aufmacher der vier Zeitungen von über 14 Monate verteilten Tagen und 51 Artikel zu einem gemeinsamen Thema, der Berichterstattung über den G-8-Gipfel 2008 in Japan. Es wurden dementsprechend Aufmacher von 59 Tagen und Artikel über den G-8-Gipfel aus dem Zeitraum einer Woche ausgewertet.

Auf diese Weise wurden die Berichterstattungscharakteristika aller Zeitungen in der Untersuchung gewürdigt. Gleichzeitig war aber durch die Berichterstattung über ein gemeinsames Thema auch eine Binnenvergleichbarkeit gegeben. Die Analyse erfolgte in mehreren Schritten. Zunächst wurden formale Eigenschaften der Artikel (etwa Erscheinungstag und Länge) erhoben. Dann wurde jede im Text gegebene Aussage (definiert als abgeschlossene Informationseinheit) im Hinblick auf ihre Quellentransparenz untersucht. »Transparenz« war dabei in drei Dimensionen aufgegliedert: Urheber der Information, Konkretheit seiner Benennung und Kanal, auf dem der Journalist die Nachricht erhielt. Insgesamt wurden damit für 11.120 Aussagen 33.360 Codes vergeben.

Literatur:

Cario, Ingmar (2006): Die Deutschland-Ermittler. Investigativer Journalismus und die Methoden der Macher. Berlin u.a.: Lit Verlag

Hallin, Daniel/Mancini, Paolo (2004): Comparing Media Systems. Three Models of Media and Politics. New York:Cambridge University Press

Redelfs, Manfred (1996): Investigative Reporting in den USA. Opladen: Westdeutscher Verlag

Ruß-Mohl, Stephan (2001): Benchmarking. Transparenz und Interaktivität bei führenden amerikanischen Zeitungen. In: Kleinsteuber, Hans (Hrsg.): Aktuelle Medientrends in den USA. Wiesbaden, S. 109-125

Ruß-Mohl, Stephan (2003): Journalismus. Das Hand- und Lehrbuch. Frankfurt am Main: Frankfurter Allgemeine Buch

Weaver, David/Wilhoit, G. Cleveland (2003): Journalists in the United States. In: Weaver, David H. (Hrsg.): The Global Journalist. Cresskill: Hampton Press, S. 395-414. Weischenberg, Siegfried (2001): Nachrichten-Journalismus. Wiesbaden: Westdeutscher Verlag

Zschunke, Peter (2000) : Agenturjournalismus. Nachrichtenschreiben im Sekundentakt. 2. Auflage, Konstanz: UVK Medien

Dieser Artikel erschien in zuerst in message – Internationale Zeitschrift für Journalismus, Ausgabe 3/2010, S. 90 bis 93

Benjamin Schulz studiert Journalistik und Politikwissenschaften an der Technischen Universität Dortmund und arbeitet als freier Journalist für Spiegel Online.

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