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30. November 2015 • Qualität & Ethik • von

Warum engagieren sich zwei Stiftungen beim hochrentablen Gratisblatt 20 Minuten? Warum bauen Universitäten ihre Kommunikationsabteilungen aus? Eine Analyse des Wandels der Wissenschaftspublizistik.

Forschung

Thematisch sind Medizin und Gesundheit die Spitzenreiter in der Wissenschaftskommunikation der Schweizer Universitäten.

In der öffentlichen Kommunikation über Wissenschaft und Forschung haben sich in den letzten Jahren die Gewichte verschoben. Nach einer kurzen Blütezeit des Wissenschaftsjournalismus gewinnt allenthalben die Wissenschaftskommunikation, also die Darstellung von Forschungsleistungen durch Universitäten und Forschungseinrichtungen selbst, an Bedeutung – sei es, dass letztere die ausgedünnten Redaktionen mit Medienmitteilungen versorgen und so die journalistische Berichterstattung mehr denn je „fernsteuern“, sei es, dass die Forscher und Forschungsstätten über Blogs und soziale Netzwerke selbst direkt mit ihren Zielgruppen kommunizieren.

So haben unseren Recherchen zufolge sieben der zwölf Schweizer Universitäten in den letzten Jahren ihre Kommunikationsabteilungen weiter ausgebaut. Die Zahl der Medienmitteilungen, die jährlich von den Schweizer Unis insgesamt versendet werden, hat sich zwar nur unwesentlich erhöht: 2008 waren es 671, 2014 dagegen 684 Pressemeldungen. Inhaltlich werden heute jedoch ganz andere Akzente gesetzt: 2008 widmeten sich noch rund zwei Drittel aller Meldungen der institutionellen Kommunikation – von der Hochschulpolitik über neue Studienangebote bis hin zu Pensionierungen von Professoren. Sechs Jahre später befassten sich sechs von zehn Meldungen mit Forschung und Forschungsergebnissen; der Anteil der institutionellen Kommunikation ist auf etwas mehr als ein Drittel geschrumpft.

Für den Kommunikationsverantwortlichen der Universität St. Gallen, Marius Hasenböhler, ist das „wenig erstaunlich“: Forschungsthemen und Experten seien nun einmal für die Medien „von viel größerem Interesse als institutionelle Nachrichten“, und so sei es schon seit Jahren Teil der Kommunikationsstrategie, die „Universität als Denkplatz“ zu positionieren, insbesondere durch Verweise auf „gesellschaftlich relevante Forschungsresultate.”

Thematisch sind in der Wissenschaftskommunikation der Schweizer Universitäten Medizin und Gesundheit weiterhin die Spitzenreiter, gefolgt von den Naturwissenschaften. Weit weniger Aufmerksamkeit finden in der universitären Wissenschaftskommunikation die Sozial- und Wirtschaftswissenschaften, wobei sich letztere um ein paar Prozentpunkte verbessern konnten. Hasenböhler macht allerdings darauf aufmerksam, dass „vieles – was nicht hoheitlich oder hochschulpolitisch ist – inzwischen dezentral kommuniziert“ werde. An anderen Unis gebe es inzwischen sogar Kommunikationsverantwortliche in den Instituten oder Fakultäten. Aber auch in St. Gallen ist es als Teil der Kommunikationsstrategie ausdrücklich „erwünscht“, dass „Forschende und Lehrende im Rahmen ihres Fachgebietes selbst gegenüber der Öffentlichkeit kommunizieren.”

Die Universitäten machen außerdem mit einer bunten Palette eigener Hochglanzmagazine, die gratis gestreut werden, den wenigen populärwissenschaftlichen Zeitschriften Konkurrenz, die sich weiterhin am Kiosk verkaufen müssen. Letztere könnten potentiell einen kritischeren, weniger vom Bedürfnis nach positiver Selbstdarstellung geprägten Blick auf Forschungsleistungen werfen – doch daran scheinen immer weniger Menschen interessiert.

Mit einer wohl weltweit einzigartigen Initiative versuchen die Gebert Rüf- und die Mercator-Stiftung dem Abbau des Wissenschaftsjournalismus in den Medien entgegenzuwirken. Sie finanzieren die Wissenschaftsberichterstattung des hochprofitablen Gratis-Blatts 20Minuten – in der Hoffnung, auf diese Weise bei neuen, vor allem jugendlichen und wissenschaftsfernen Zielgruppen das Interesse an Wissenschaft und Forschung wecken zu können. Für den Geschäftsführer der Gebert Rüf Stiftung, Philipp Egger, handelt es sich dabei nicht um eine Förderung der Gratiszeitung, sondern um einen „Leistungsaustausch“. Erst nach langen Verhandlungen sei 20Minuten bereit gewesen, „einen Vertrag abzuschließen“.

Manch ein Experte sieht hier allerdings medienpolitisch einen Kollateralschaden: die Stiftung finanziert damit ja auch den Platzhirsch auf dem Schweizer Medienmarkt Tamedia quer, der an anderer Stelle – zum Beispiel beim Tages-Anzeiger – eisern bei der Wissenschaftsberichterstattung spart. Egger verteidigt dagegen sein Engagement, indem er es mit Kinowerbung vergleicht: „Es mag auf den ersten Blick geradezu anstößig sein, wenn vor Unterhaltungsfilmen, die Gewalt, Umweltzerstörung und Sexismus bieten, Werbung für gemeinwohlorientierte Initiativen gezeigt wird. Aber im Kinosaal sitzen eben genau die Menschen, die es zu erreichen gilt.“

Beide Stiftungen betonen, dass es nicht ihr Ziel sei, den Journalismus per se zu fördern. Olivia Schaub, Projektmanagerin bei der Mercator-Stiftung ergänzt, dass „Kürzungen in der Wissenschaftsberichterstattung und im Qualitätsjournalismus kritisch beobachtet“ würden.

Im Blick auf bedrohte journalistische Unabhängigkeit heikler ist indes, dass die Schweizerische Depeschen-Agentur (sda) sich ihre Wissenschaftsredaktion weiterhin von Swissuniversities, der Nachfolge-Organisation der Schweizer Rektorenkonferenz, und von der ETH Zürich finanzieren lässt. Der stellvertretende sda-Chefredaktor Winfried Kösters betont, die redaktionelle Unabhängigkeit der sda sei „gewahrt und in den Verträgen festgeschrieben“, und diese Förderung sei auch „kein generelles Modell für die zukünftige Journalismus-Finanzierung“. Das lässt immerhin hoffen, dass weder die Schweizer Nationalbank noch die UBS oder die Credit Suisse in Zukunft die Wirtschafts- und Finanzberichterstattung der Schweizer Nachrichtenagentur sponsern werden.

Stärker als die Wissenschaftskommunikation selbst hat sich womöglich die Forschung zur Wissenschaftskommunikation gewandelt und ausdifferenziert. Man könnte fast schon meinen, der Wissenschaftsbetrieb widme ihr unverhältnismäßig mehr Aufmerksamkeit als der Wissenschaftskommunikation selbst. An der Universität Zürich ist zu diesem Themenfeld kürzlich ein eigener Forschungsschwerpunkt entstanden. Ein von Mike Schäfer, Silje Kristiansen und Heinz Bonfadelli herausgegebener Band zur „Wissenschaftskommunikation im Wandel“ gibt Zeugnis von dieser Verästelung und wartet dabei sogar mit ein paar Überraschungen auf. So zeigt eine Inhaltsanalyse von Anna Maria Volpers und Annika Summ (beide Universität Münster), dass die Sozial- und Geisteswissenschaften in der Berichterstattung der Medien gegenüber Naturwissenschaften, Technik und Medizin keineswegs vernachlässigt werden. Die Berichterstattung finde nur quer über die medialen Ressorts hinweg statt.

Besonders spannend ein Beitrag von Senja Post (Universität Zürich) zur Medienberichterstattung über Klimaforschung. Hier scheint ein eher verhängnisvolles Zusammenspiel von Medien und Forschern zu erheblichen Verzerrungen bei der Wahrnehmung des Klimawandels zu führen, wann immer es über Unsicherheiten der Forschung zu berichten gilt: Journalisten erwarten seit eh und je von Wissenschaftlern klare Aussagen und spitzen diese obendrein gerne zu. Das wiederum führt offenbar auf der Seite der Forscher zu einer Art Schweigespirale: Jene Klimaforscher, die es für wichtig halten, „Ungewissheit in der Öffentlichkeit kenntlich zu machen“, sprechen offenbar seltener mit Journalisten oder publizieren selbst in den Massenmedien. Dagegen suchten gerade jene Klimaforscher, die den Klimawandel für „menschengemacht, gefährlich, historisch einzigartig und berechenbar“ halten, häufiger den Kontakt zu Medien.

Auf zwei weitere ungelöste Probleme der Wissenschaftskommunikation weisen die Herausgeber in ihrer Einführung hin: Zum einen werfe „die Vielfalt des Online-Angebots Selektions- und Glaubwürdigkeitsproblematiken auf“: Gerade bei „lebensweltfernen Themen, zu denen die Menschen oft wenige Korrektive im Alltag haben“, wäre eine „Orientierungsleistung des Wissenschaftsjournalismus hilfreich“ – doch diese werde eben immer weniger erbracht.

Zum anderen sei die „Gruppe der an Wissenschaft Interessierten, für die Online-Umgebungen ein Schlaraffenland darstellen, recht klein“. Die größte Herausforderung der Wissenschaftskommunikation im Internet sei es demzufolge, „überhaupt ein nennenswertes Publikum zu erreichen“. Nicht-Interessierte könnten Wissenschaftsthemen, denen sie in traditionellen Massenmedien „wenigstens noch am Rande begegnet“ seien, online „gänzlich vermeiden“. Algorithmen würden dies verstärken, indem sie „auf Basis vergangener Nutzerpräferenzen nur noch Inhalte offerieren, die den Nutzerinteressen entsprechen“. Weil sich so jeder in seinem Kokon einspinnen kann, werde die „Wissenskluft“ zwischen Wissenschaftsinteressierten und Nicht-Interessierten vermutlich größer.

Mike S. Schäfer/Silje Kristiansen/Heinz Bonfadelli (Hrsg.): Wissenschaftskommunikation im Wandel, Köln: Herbert von Halem Verlag, 2015

Die Auswertung der Medienmitteilungen der Schweizer Universitäten hat Georgia Ertz übernommen.

Erstveröffentlichung: NZZ vom 28. November 2015

Bildquelle: Novartis AG / Flickr CC

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