Den Frieden im Sinn

5. Juli 2011 • Qualität & Ethik, Ressorts • von

Kriege und Konflikte sind ein wichtiges Thema der Medien. Dabei gibt es zwei Möglichkeiten darüber zu berichten: aus der Sicht des Militärs und aus der Perspektive der betroffenen Bevölkerung.

Eine amerikanische Flagge ziert den Uniformärmel, die Haare unter dem Helm sind kurzgeschoren, in den Händen hat der Soldat ein Sturmgewehr. Er zielt auf einen Sandhügel, dahinter haben sich ein paar Iraker verschanzt. Hinter dem G.I. steht ein Kameramann, er filmt über die Schulter des Soldaten. Wie in einer Videospiel‐Perspektive sehen die Zuschauer zu Hause am Bildschirm, wie die Kämpfe der amerikanische Armee im Irak verlaufen. Eine typische Kriegsszene, wie sie in den Fernsehnachrichten dargestellt wird.

Doch dies ist nur eine Ansicht des Krieges – die Bevölkerung, die Folgen der Kampfhandlungen und die Hintergründe werden in der Regel vernachlässigt. Das Militär steuert, was die Zuschauer zu sehen kriegen. Denn nur ausgewählten Reportern, den sogenannten „eingebetteten“ Journalisten, wird es von den Militärs ermöglicht, so nah wie möglich am Geschehen zu sein. Die Kehrseite der Medaille ist , dass diesen Journalisten nichts anderes übrig bleibt, als sich auf die Inszenierungen und Erklärungen des Militärs zu verlassen.

Nachrichten ohne Frauen

Das Buch „Peace Journalism, War and Conflict Resolution“ von Richard Lance Keeble, John Tulloch und Florian Zollmann stellt der Perspektive der eingebetteten Journalisten eine andere Sichtweise, den Friedensjournalismus, entgegen. Das Buch baut auf der Definition des Friedensjournalismus des norwegischen Mathematikers und Soziologen Johan Galtung auf. Schon 1970 definierte dieser Friedensjournalismus als eine Art der Berichterstattung, welche allen Parteien eine Stimme gibt, auf die unsichtbaren Effekte von Gewalt (Traum, Ruhm, Zerstörung) fokussiert und auf die Enthüllung von Lügen zielt. Vor allem aber soll Friedensjournalismus laut Johan Galtung menschen‐ und lösungsorientiert sein.

Weiter bietet das Buch eine aktuelle und kritische Übersicht über die Rolle der Medien bei Konflikt‐Lösungen und vereinigt Arbeiten von über 20 Schriftstellern, Journalisten, Theoretikern und Aktivisten im Feld des Friedensjournalismus. Eine kritische Betrachtung des Friedensjournalismus bietet Agneta Söderberg Jacobson. Sie fordert, dass der Friedensjournalismus nicht nur über Hintergründe und Folgen von Kriegen und Krisen berichtet, sondern dass auch Diskriminierungen gesellschaftlicher Gruppen in die  Berichterstattung mit aufgenommen werden. Dabei geht es vor allem um die Rechte der Frauen, welche laut einer Studie der schwedischen Stiftung Kvinna till Kvinna kaum bis gar nicht in den Medien vorkommen.

Kvinna till Kvinna setzt sich in verschiedenen Ländern und Regionen für die Rechte der Frauen ein und unterstützt Frauenorganisationen vor Ort. 2008 führte die Stiftung eine Untersuchung der Konfliktberichterstattung aller wichtigen schwedischen Nachrichtenanbieter durch. Dabei zeigte sich, dass obwohl Männer und Frauen Teil dieser Konflikte waren, nur 15 Prozent der Berichterstattung Frauen thematisierten. 85 Prozent der Quellen in den Berichterstattungen waren Männer, welche offizielle Ämter bekleideten oder die
Konfliktparteien repräsentierten. Frauen, so folgerte Agneta Söderberg sarkastisch, seien es offenbar nicht wert, in den Nachrichten erwähnt zu werden.

Dahr Jamail – ein Blogger wird zum Friedensjournalist

Neben der Kritik Agneta Söderbergs am Konzept des Friedensjournalismus zeigt das Buch auch auf, wie sich Kriegsberichterstattung ohne eingebettete Journalisten praktisch umsetzen lässt. Florian Zollmann, Autor und Mitherausgeber des Buches, zeigt anhand des amerikanischen Blogger und Reisejournalisten Dahr Jamail auf, wie sich das Konzept des  Friedensjournalismus verwirklichen lässt. Jamail fühlte sich während des Irak-Kriegs unter Präsident Bush falsch über die Vorgänge im Nahen Osten informiert. Er entschied sich, persönlich vor Ort zu recherchieren. Von 2003 bis 2008 war Jamail insgesamt acht Monate im Irak. Zu dieser Zeit waren Aufenthalte im Irak sehr gefährlich. Das Land wurde auseinander gerissen. Unabhängige Journalisten waren stets in Lebensgefahr, sie mussten auch mit der Aggressivität der amerikanischen Streitkräfte und ihrer Koalitionäre umgehen.

Freie Journalisten, die sich nicht von der Kriegspropaganda „infiltrieren“ ließen, hatten es im Irak noch schwerer: Die meisten Journalisten gingen ohnehin nur zu Pressekonferenzen oder begaben sich in Begleitung des Militärs an strategisch wichtige Punkte. Jamail wollte nicht zu dieser Propaganda‐Maschinerie gehören, so Zollmann, und
zog den Gefahren zum Trotz wie ein Lokalreporter los. Er konnte mit Zivilisten reden, über Zusammenhänge berichten und die Perspektive der Leute vor Ort einnehmen. Er berichtete über den Alltag der Iraker während der Besetzung, über Tote unter der Zivilbevölkerung, über die amerikanische Militärpolitik und über Folter und Terrorismus.

Dabei sprach Dahr Jamail nicht nur mit den offiziellen Quellen, sondern suchte nach den Fakten und Tatsachen, welche die Propaganda unterdrücken sollte. Im Gegensatz zu den meisten Massenmedien, die dazu tendieren, zu beschönigen und die Interessen des Militärs und der Regierungen in ihrer Berichterstattung bevorzugt würdigen, konnte Jamail den Hintergründen und Folgen des Kriegs nachspüren. Er gab ganz im Sinne von Johan Galtungs Definition allen Parteien eine Stimme, fokussierte auf die unsichtbaren Effekte von Gewalt und enthüllte auf allen Seiten viele Lügen. Durch Jamails Engagement als Friedensjournalist konnte er seiner Leserschaft eine andere Perspektive zeigen als die westlichen Massenmedien mit ihren eingebetteten Journalisten.

Jamail gewann für seine Reportagen und Berichte aus dem Irak mehrere Preise, unter anderem den „James Aronson Award for Social Justice Journalism“. Bis heute stehen die Massenmedien dem Friedensjournalismus eher skeptisch gegenüber. Dabei geht es vor allem darum, dass der Friedensjournalismus für den Journalisten die Aufgabe des objektiven Standpunkts und der Rolle des Beobachters und Informationsvermittler bedeuten kann. Doch so sagte schon der ehemalige ZDF‐Chefredakteur Nikolaus Brender: „Guter Journalismus hat immer den Frieden im Sinn“.

Weitere Informationen zum Friedensjournalismus finden Sie im Buch „Peace Journalism, War and Conflict Resolution“ von Richard Keeble, John Tulloch und Florian Zollmann,  erschienen bei Peter Lang Publishing, New York.

Quellen:

Keeble, R., Tulloch, J., Zollmann, F. (2010). Peace Journalism, War and Conflict
Resolution. New York. Peter Lang.

http://peace1.wordpress.com/2009/08/26/thursday‐sept‐3‐program‐with‐awardwinning‐journalist‐dahr‐jamail‐in‐minneapolis/

http://dahrjamail.net/

http://www.frankfurterpresseclub.de/157.0.html

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