Kameradschaft vor der Kamera

17. November 2015 • Forschung aus 1. Hand, Qualität & Ethik • von

NSU, Breivik, brennende Flüchtlingsheime: Wie können Journalisten über rechtsextreme Gewalt berichten, ohne zu weiterer Gewalt zu inspirieren?

Neonazi_2.4.2005_München

Neonazis bei einer Demonstration

Stefan B. sitzt in einem Café in München. Er wirkt gelassen, abgeklärt. Wenn er von seiner Vergangenheit rede, schäme er sich, wie er sagt. Heute sei er ein anderer Mensch, er habe aus seinen Fehlern gelernt und versuche, vieles wiedergutzumachen. Stefan war früher in der rechten Szene. Er war Kameradschaftsführer einer großen Gruppe in Süddeutschland, er hatte was zu sagen. Auch die Clique um Beate Zschäpe habe er gekannt, er sei gut vernetzt gewesen. Er sieht jung aus, doch wenn er erzählt, wirkt er wesentlich älter.

Stefan ist einer der wenigen, die den Absprung aus der Szene geschafft haben. Die Ausstiegsorganisation EXIT Deutschland hat ihm dabei geholfen. Heute ist Stefan freier Journalist und versucht, über die Gefahren der rechten Szene aufzuklären. Das sei nicht immer einfach, meint er. Neben den Anfeindungen von alten Kameraden muss er sich auch der Frage stellen, wie man über rechte Gewalt berichten kann, ohne andere Rechtsextreme auf „dumme Gedanken“ zu bringen. In diesem Dilemma ist er nicht alleine. Themen wie der Amoklauf des rechtsextremen Terroristen Anders Breivik, die NSU-Morde oder auch die Vielzahl an brennenden Flüchtlingsheimen der letzten Monate sind heikle Themen, die Journalisten vor eine große Herausforderung stellen. Wie kann man die Öffentlichkeit informieren, ohne ideologischem Gedankengut eine Plattform zu geben? Dass dieser Spagat durchaus schwierig sein kann, zeigt die Tatsache, dass in den Monaten nach dem Aufdecken der NSU-Morde die Anzahl fremdenfeindlicher Gewaltverbrechen sprunghaft angestiegen und bundesweit bis heute auf einem hohen Niveau verblieben ist. So ereignen sich in Deutschland laut aktuellem Verfassungsschutzbericht durchschnittlich drei rechtsextreme Gewalttaten pro Tag.

Doch welchen Handlungsspielraum haben Journalisten überhaupt? Welche Aspekte in der Berichterstattung bestärken Rechtsextreme, welche hemmen sie? Was regt zur Nachahmung an und was hält eher davon ab?  Mit diesen Fragen beschäftigte sich eine Masterstudentin des Instituts für Kommunikationswissenschaft-und Medienforschung der LMU München im Rahmen ihrer Abschlussarbeit. Mithilfe der Ausstiegsorganisation Exit Deutschland (ZDK/GDK) führte sie qualitative Interviews mit sieben Aussteigern aus der rechtsextremen Szene und befragte diese zu Medienwirkungen auf Rechtsextreme, die durch Berichterstattung über Rechtsextremismus ausgelöst werden.

Stefan ist einer dieser befragten Aussteiger und gehört wohl zu den wenigen Personen, die einschätzen können, was Medienberichte innerhalb der rechten Szene auslösen können. Schließlich hat er seine eigenen Erfahrungen in der Szene gesammelt. Er ist klein, hat dunkle Augen und dunkle, mittellange Haare, die er sich in regelmäßigen Abständen aus der Stirn streicht. Schwer vorstellbar, dass Stefan einmal Neonazi war. Doch dass Nazis schon lange nicht mehr an ihren Glatzen und ihren Springerstiefeln zu erkennen sind, macht Stefan schnell deutlich. Er erzählt von Mitgliedern verschiedener rechter Gruppierungen, die teilweise aussehen wie Punks, teilweise auch wie Banker. Er wird lauter, als er über die stereotype Darstellung der rechten Szene in den Medien spricht: „Die Leute werden als total dumm dargestellt, was aber nicht so ist. Es gibt Professoren, die in der rechten Szene sind. Es gibt ultraviele kluge Leute – es gibt auch ultraviele Dumpfnasen, das möchte ich auch nicht verheimlichen und die sind auch sehr gefährlich – aber man darf eben nicht vergessen, dass nicht nur die Nazis gefährlich sind, die irgendwo jemanden zusammenschlagen, sondern auch die, die strategisch und taktisch versuchen, die Gesellschaft zu unterwandern und unsere Gesellschaft umzukehren.“ Mit dieser Meinung ist Stefan nicht alleine.

Auch Markus und André waren in der rechten Szene aktiv. In Thüringen leiteten sie eine Gruppe autonomer Nationalisten. Eine rechtsextreme Strömung, die zumindest optisch eher an Linksextreme erinnert als an Neonazis. Auch sie halten es für gefährlich, dass Medien nicht über die vielen verschiedenen Gesichter der Szene aufklären. So spiele man der Szene in die Hände. Denn wenn Jugendliche Neonazis nicht als solche erkennen können, sei die ideologische Überzeugungsarbeit um einiges leichter.

Die beiden Thüringer sitzen nebeneinander, die enge Vertrautheit ist zu spüren. Markus und André haben den Ausstiegsprozess gemeinsam durchlaufen, sich gegenseitig unterstützt und motiviert. Dass Medienberichte den Ausstieg eher verhindert als ausgelöst haben, machen beide deutlich. Markus bemängelt vor allem die Haltung vieler Journalisten, sich grundsätzlich nicht mit rechtsextremen Argumenten auseinanderzusetzen: „Weil es ja nie eine inhaltliche Auseinandersetzung gab, hielt ich mich für intelligenter. Ich dachte immer, die Medien haben Angst davor, sich mit mir politisch auseinander zu setzen, weil sie wissen, dass ich Recht habe.“ Auch die Erzählungen von André zeigen, dass Journalisten offenbar viel falsch machen. Er berichtet von rechtsextremen Gruppen, die gezielt Gewalt ausüben, um damit in die Medien zu kommen – bislang immer mit Erfolg: „Das ist dann auch so eine gewisse Marke, weil man dann weiß, man wird in den Massenmedien so gehandelt. Das ist für diese Gruppen ein extrem wichtiger Identifikationspunkt. Und zieht auch extrem viele Leute an, weil man weiß, da ist was los, die Leute sind zu allem bereit.“

Der Stolz über Berichterstattung rechtsextremer Aktionen gehe sogar so weit, dass Neonazis in Poesiealbum-Manier Berichterstattung über sich selbst sammelten, um damit anzugeben. Markus lacht und wirft André einen kurzen Blick zu: „Das wird dann oft als überheblich wahrgenommen, aber es wird auch oft danach gefragt.“ Die beiden werden schnell wieder ernst, als sie davon berichten, dass Medien nicht nur zur Selbstdarstellung, sondern auch für Drohungen gegen bestimmte Bevölkerungsgruppen instrumentalisiert werden: „Stell dir mal vor, irgendwelche Rechten beschmieren eine Synagoge mit Blut oder so, hauen da dann in die Fensterscheiben einen Schweinekopf rein und Massenmedien fungieren dann als Mittel dazu, dass das verbreitet wird. Es ist dann eben nicht nur die jüdische Gemeinde in diesem Ort, die betroffen ist, sondern die jüdischen Gemeinden allgemein. Also es geht auch darum, eine Gewaltkulisse zu schaffen.“

Es sind Erzählungen, die fassungslos machen. Aber welche Konsequenzen können Journalisten denn nun daraus ziehen? Sollte man am besten einfach damit aufhören, über rechte Gewalt zu berichten? Bloß nicht, meint der freie Journalist Stefan: „Polizeirepressionen, Kameradschaftsverbote, das ist nur durch den öffentlichen Druck durch Medienberichte möglich. Das schwächt die Szene sehr.“ Er selbst versuche, den Fokus seiner Berichterstattung eher auf die Opfer der Tat und die Bestrafung der Täter zu lenken. Das schrecke ab, denn in den Knast wollten auch Rechtsextreme nicht freiwillig.

Stefan spricht eindringlich, als er gefragt wird, was er anderen Journalisten raten würde: Es wäre gut, wenn in der Berichterstattung die Forderungen Rechtsextremer auch mal zu Ende gedacht werden. Zum Beispiel, wenn Menschen in der NPD einen Einwanderungsstopp wollen oder wenn sie eine Rückführung von Menschen mit Migrationshintergrund wollen, was bedeutet das? Wie sieht das aus? Und hat es vielleicht so etwas in der Geschichte schonmal gegeben?“ Eine solche Kontextualisierung würde zumindest verhindern, rechtsextreme Einstellungen zu festigen. Im besten Fall könne man so eine kritische Auseinandersetzung fördern, die vielleicht sogar zu einer Abkehr von rechtsextremen Einstellungen führen könnte.

Stefan schiebt seinen Stuhl zurück. Er müsse heute noch nach Dresden, um über eine Demonstration zu berichten. Dort werde er wahrscheinlich auch seinen alten Kameraden begegnen. Auf die Frage, ob er davor Angst habe, antwortet er: „Wenn die mir drohen, ist oft nicht so viel dahinter. Und wenn ich durch meine Arbeit aufklären und ein bisschen von meiner Vergangenheit wiedergutmachen kann, dann lohnt sich das Risiko.“

 

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Theoretische Basis: „Reziproke Effekte“

Als theoretische Basis der Masterarbeit diente das „Modell reziproker Effekte“ nach Kepplinger (2007; 2009). Dieses beschreibt jene besonders starken Medienwirkungen auf Einzelpersonen, die durch Berichterstattung ausgelöst werden, in der sie ad personam thematisiert werden (hierzu zählen z.B. Politiker oder Prominente). Es wurde angenommen, dass solche Effekte auch innerhalb von Gruppen zu beobachten sind, in denen die soziale Identität besonders stark ausgeprägt ist und entsprechend vermutet werden kann, dass ein Gefühl der persönlichen Betroffenheit von Berichterstattung auch dann entsteht, wenn Gruppenmitglieder nicht ad personam in der Berichterstattung auftauchen, sondern nur die soziale Gruppe thematisiert wird, der sie angehören.

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Bildquelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Neonazismus#/media/File:Neonazi_2.4.2005_M%C3%BCnchen.jpg

 

 

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